VON HEINRICH HIRZEL AUS ZÜRICH

lfndenr: 
605
14. September 1868

Mein lieber Herr Felder!

Seit wir im Mondscheine, vor dem Rößli in Au, uns die Hand zum Abschiede drückten; ist kein Tag vergangen, an dem wir nicht Ihrer gedacht, über Sie gesprochen u. verhandelt hätten. Als thatsäch­lichen Beweis davon übermache ich Ihnen meine Feuilleton = Arbeit für die N.Z.Z. Natürlich bin ich begierig, was Sie zu derselben sagen. Fürdie Freimütigkeit, mit der ich mich in ihr über Sie ausspreche, entschuldige ich mich nicht: als freie Männer werden wir dieselbe stets nicht nur einander gestatten, sondern geradezu von einander verlangen. Hingegen bitte ich um Entschul­digung u. angelegentlich auch um Berichtigung da, wo ich sei es in Darstellung von Fakten, sei es im Urtheilen geirrt u. wider Willen gefehlt habe. Boten mir auch Hrrn Hildebrands Arbeit in der Gartenlaube u. Ihre eigenen freundlichen Mittheilungen ein schö­nes Material: so habe ich doch noch hie u. da selbst kombinieren, auch etwa durch Schlüsse des Verstandes u. Thätigkeit der eigenen Phantasie eine Lücke ergänzen müssen; u. da kann schon Unrichti­ges mit untergelaufen sein. Im Ganzen werden Sie den guten Willen u. dann auch die aufrichtige Verehrung für Sie u. von uns gefaßte Affektion für Ihr Ländchen wohl aus Allem herauslesen. Ihre bisherige schriftstellerische Thätigkeit erschien mir mehr u. mehr im Lichte einer innerlich bestimmten u. Sie selbst bestimmen­den Nothwendigkeit. Die 3 bisherigen größern Werke stellen einen in sich abgeschlossenen, in drei Stufen sich gliedernden Entwick­lungsprozeß dar. Daß Sie nach diesem vorläufigen Abschlüsse nun etwas ruhen, kommt mir ebenfalls begreiflich u. nothwendig vor, so wie das, daß diese Ruhe nicht in Thatlosigkeit, sondern in der Ausarbeitung kleinerer Novellen besteht, für welche Sie Ideen u. Material bis jetzt schon bei der großen Arbeit beinebens gesammelt haben. Die „Liebeszeichen" als kleinere Arbeit hat uns wieder unbedingt gefallen. Das sittliche Thema, welches Sie behandeln; die Aufgabe, die Ihnen durch das Leipziger=Urtheil über die Kuß= Leere Ihrer Romane gestellt war, sind vortrefflich u. gewiß auch zur vollsten Zufriedenheit Ihrer Leipziger=Freunde gelöst. A propos der Berspuchner=Brücke, bei der diese Novelle anhebt: das Mädchen, welches von ihr hinunter sich stürzend den Tod suchte u. fand, möchte auch ein reiches Motiv darbieten zur Darstellung mehr des grübelnden, melancholischen Elementes, das immerhin im reichen Naturell des Wälders u. der Wälderinnen

 

Keine