VON JOSEF NATTER AUS UNTERÄGERI

lfndenr: 
505
15. März 1868

Lieber Freund!

Ich habe heute gerade gute Zeit, Dir zu schreiben, u. Du auch am St Josefstag, einen Brief von mir zu lesen. Ich hingegen muß dann arbeiten, wie an einem ändern Werktage, denn die liberalen Schweizer haben mir die Feier meines Namenstags verhunzt, nebst noch fünf ändern Feiertagen.

Doch weiß ich eigentlich nicht viel, wenn ich schon einen Tag länger auf der Reise war, als recht gewesen wäre. Von Dir weg ging ich in einer halben Stunde zum Dorfe hinaus, u. zwar so bewegt, wie sonst noch selten. Ich hatte aber mein Gepäck nicht so schwer geschätzt, als es wirklich war, daher war es mir in der Au schon beinahe zu schwer, allein ich dachte mir, hättest Du Deine Kräfte früher richtig beurtheilt, jetzt muß es gehen bis nach Bezau u. wanderte getrost vorwärts. Doch mußte ich manchesmal absetzen u. rasten. Sonst hatte es einen eigenthümlichen Reiz, mitten in der Nacht so durch diese Dörfer hindurch in die Welt hinaus zu marschiren. Es war alles so ruhig u. still, kein Mensch hätte geglaubt, daß diese friedliche Stille durch so schrille Mißtöne unterbrochen werden könnte, wer nicht die verstimmten Instru­mente gewisser Leute kennt.

Auf der Schnepfegg schaute ich noch einmal zurück u. sagte allen Guten u. Lieben hinter mir noch einmal Lebewohl, u. vorwärts mit frohem Muthe! über das Bitzauerfeld nach Bezau, damit ich ja nicht zu spät komme.

Doch was ist das? vor dem Posthause ist alles still, weder Feuer noch Licht, bin ich etwa noch viel zu früh oder zu spät? Ich stand eine gute Weile vor dem Posthause, bis es halb fünf Uhr schlug. Nun fragte ich einen Vorbeigehenden, ob die Post schon abgefah­ren? ja, hieß es. Also hast Du das schwere Gepäck umsonst bis nach Bezau heraus geschleppt, war mein erster Gedanke. Doch über­wand ich den Ärger bald, klopfte ein paar Minuten später beim Gamswirthen, da ich im Keller ein Licht sah. Eine Stimme fragte barsch: Wer ist draussen? Ein Reisender, antwortete ich, der gern etwas essen möchte. So früh wird nicht geöffnet, war die Antwort, u. ich konnte wieder abziehen. Nun gieng ich weiter, zu Leous Isabell, trankdortden Kaffee, u. rathschlagte, was nun zu thuen sei. Ich wußte nun nichts Besseres, als das Gepäck auf die Post zu thun u. einstweilen nach Bregenzzu laufen. Ich kam Abends spät dort an u. ging sogleich ins Bette. Am ändern Morgen spazierte ich in der Stadt herum, bis um 11 Uhr, wo es aufs Dampfbot ging. Abends halb fünf war ich in Zürich, wo ich zwei Stunden warten mußte, die ich zu einem Spaziergang durch die Stadt benützte. Das Wetter war dunkel u. regnerisch, so daß man eigentlich nicht viel sah. Abends halb neun war ich in Zug u. um 10 Uhr in Unterägeri. Der Strolz empfing mich mit Freuden, er schien froh zu sein daß ich gekom­men. Gleich am ändern Tag schlössen wir einen Vertrag mit einander, wodurch ich Theilhaber an dem Geschäft wurde. Ich verdiene auf diese Art denn doch mehr, als wenn ich Gesell wäre, u. kann nebenbei noch manches lernen, das ich sonst nicht könnte. Bis dato arbeiten wir selbander.

Ich habe mich schon ziemlich in meine neue Lage gewöhnt, wenn der Unterschied schon ziemlich stark ist. Ich habe hier keine geistige Unterhaltung, als mit meinen Büchern, die ich aber soviel möglich benütze. Hier haben im Winter auch Wahlkämpfe stattge­funden. Eine eigenthümliche Bezeichnung hat man hier für das Agitiren, oder wie man bei uns oft sagt, werben. Wenn nämlich Jemand für Etwas agitirt, so heißt es, er „dröhlt".

Dieses „Dröhlen" bei den Wahlen soll schon lange im Gebrauch sein, so daß es nichts Neues mehr ist, wie bei uns. Hier stehen das Stockbauernthum als die Conservativen u. die modernen Liberalen einander gegenüber. Diese sind vertreten durch die Fabrikherren, ihre Arbeiter u. was sonst noch gebildet heißen will, so daß sie die Tüchtigen Kräfte, die mehreren für sich haben. Diese siegten denn, auch, wie das bei dem grossen Einflüsse der Fabriken nicht anders möglich war. Anlaß zu dem Kampfe gab die Sekundärschule, die hier besteht u. die die Bauern abgeschafft wissen wollten. Diejeni­gen Gemeinderathmitglieder nun, die diese Ansicht unterstützten, oder vielleicht auch sonst nicht gefielen, wurden „ussigheit", u. andere dafür gewählt.

Das wäre das Wichtigste, das ich weiß. Was gibt es Neues bei uns? Grüße mir Koarado Buobo u. seine Frau, u. Oberhausers, sage dem Kaspar, ich wisse ihm für dießmal nichts Besonderes mehr zu schreiben.

Du kannst ihn dieses lesen lassen, wenn er im Stande ist, es zu lesen. Der Eine von Euch beiden wird mir dann wohl antworten, wenn es Etwas Neues gibt. Es grüßt Dich u. die Deinigen herzlich

Dein Freund Josef Natter

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