FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
537
30. Mai 1868

Lieber Freund!

Nach Deinem letzten Schreiben könntest Du bei Ankunft dieses Briefes bereits mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt sein. Mir nun wäre das lieb, denn ich dürfte fast sagen, daß ich auf Dich warte. Ich denke nämlich an Leipzig, wo ich schon in ziemlich kurzer Zeit einzutreffen versprach. Ich unternehme die Reise auf Unkosten meiner dortigen Freunde. Schon im letzten Sommer war's ausgemacht, daß mir, wenn das Vaterland nichts für mich tun sollte, und so lang ich nicht unabhängig sei, von Leipzig ein jährlicher Aus­flug möglich gemacht werden müsse. Gern freilich war ich in diesem Jahr nach Wien, aber das ist schwer oder gar nicht möglich zu machen. Mit meinen Mitteln kam' ich augenblick­lich kaum bis zu Dir und dabei hab ich für 9 teure Käm­pen [?] zu sorgen. Hoffentlich wird ,Reich und Arm' etwas Hübsches einbringen; der Zustand gänzlicher Tatenlosigkeit wird umso peinlicher, da er mir weder den Reiz der Neuheit hat noch recht zu einer Gewohnheit werden will. Dazu kommt noch, daß einige Fromme, denen wir seit Jahren Zins zahlen, als letzter Notschuß und Rachestich mir für den Herbst aufkünden. Daß mir das besonders schwer macht, könnt ich nicht sagen. Zum Teil freut es mich sogar und gibt mir vielleicht Stoff zu einer originellen Erzählung. In Feldkirch tagen die Verfassungsfreunde in aller Herrlichkeit, wohl keiner hat so sein ganzes Sein und Können einsetzen wollen fürs Volk als ich, und nun steh ich wie allein - während sie auf gebahnten Pfaden groß und herrlich daher kommen.

Leicht ist's, folgen dem Wagen, Welchen

Fortuna führt! Auf gebahnten Wegen Hinter

des Fürsten Einzug.

Goethe

Das und noch viel hat sich tief, tief in mich gefressen. Aber ich empfinde es nicht schmerzlich. Es ist mir zur Erscheinung, zu einem Stück Zeitgeschichte geworden, an dem nun meine Gestaltungskraft ohne Verbitterung, ja mehr mit Humor zu arbeiten beginnt. Hildebrand sieht in mir Anlagen zum Dra­matiker. Nun, dann müssen sie sich jetzt zeigen. Man sollte glauben, aus dem in letzter Zeit Erlebten ein Lustspiel mit Hinterstichen zu machen, müßte nun eine Kleinigkeit sein. Nehmen wir einmal den Griffel und schwingen wir die „Geißel der Satire" zu Schutz und Trutz. Freilich ist der Schau­platz eng, den ich übersehe, doch was sind unsere Kräh­winkeliaden anderes als Miniaturbilder der weiten fortge­schrittenen Welt. „As Lütolot" (Menschelt) überall, wenn man für das Kleine ein so scharfes Gefühl hat, wie mir bald lobend, bald tadelnd nachgeredet wird. Ich schreibe Dir diesen Brief vom schönsten Platz in Schop­pernau. Vorige Woche war ich mit der Feldarbeit fertig, und nun plagte ich mich mit einem Artikel für ein belletristisches Blatt, den ich armer Teufel, offen gesagt, nur ums liebe Honorar nach dem Geschmack des Wundertums [?] Publi­kus zusammenschmieren wollte. Ein schön Stück Arbeit, nicht wahr, ich saß da wie in weißer Halsbinde und Handschuhen und Frack und Zylinder und schwitzte und kaute an den Fingern, draußen sang und duftete der Frühling. Ringsum war Sonntag.

Der Winter sucht die schnelle Flucht

Im Bach zum Tal hinaus,

Und jedes Tier und Tierlein sucht

Im Freien seinen Schmaus.

Unversehens fiel das mir wie die zephyrgeküßte Blüte vom rauschenden zitternden Baum auf meinen Bogen, und im Hui lag der Artikel im Frack - unterm kalten Ofen. Zehn Minuten später lag ich hier unter diesen Buchen im schattigen Moos und gab den Vögeln Audienz. Nachmittags trug ich mir meinen Schreibtisch nach, und seitdem steht er auf dem Felsen vor meinem Haus. Allerlei Gestalten stehen drum herum, und an jedem Aste der Buchen, die mich be­schatten, blüht eine Erinnerung aus der Knabenzeit. So bin ich dem Dorfe versteckt hinter Blüten der Erinnerung, und Du kannst es Dir erklären, warum ich so wenig aus der Gegen­wart berichte. Es ist ja Frühling, und man darf und muß sich berauschen an dem Hauch, welcher den Baum zittern macht, den Rosen die Röte verleiht und alles zum Duseln bringt. Daß er meiner Tinte das Wasser auszieht, wirst Du ohne Mühe bemerken. Sie wird nachgerade dick genug zu recht groben Zügen. Helfe Gott dem, der mir nachmittags unter die Feder kommt. Vermutlich ist's der Sonnenwirt in Bühelkirchen, von dem ich der Welt ein wenig etwas erzählen möchte. Von dem ist's nur noch ein Sprung ins Gasthaus zum Rößle in Au. Dort hab ich Pfarrer Birnbaumer schon zweimal getroffen und mich gut mit ihm unterhalten. Es war zwischen uns, Herzog und mehreren strebsamen Burschen schon die Rede von regelmäßigen Zusammenkünften. Birnbaumer war in Au sehr willkommen, und man hofft von ihm alles, was man wünscht. Der Käsverein wird sich nur zu bald in eine Handels­gesellschaft verwandeln, wenn die Bauern solche Spanfudler bleiben. Auch Galli muß jetzt für die Milch mehr zahlen, und das nun ist den dummen Tröpfen genug. Der Verein aber kann ohne Käse nicht bestehen. So wirkt jeder Fortschritt am Ende nachteilig für die Angefrorenen, weil er sie noch weiter von denen bringt, mit welchen vereint sie etwas erreichen könnten.

Doch genug für heut. Ich erwarte, Dich recht bald hier zu sehen.

Mit Gruß und Handschlag Dein Freund

F. M. Felder

Keine