AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
221
19. August 1866

Lieber verehrter Herr Hildebrand!

Ich zweifle sehr, ob den Helden des G. Freytag'schen Romans das Finden der „verlorenen Handschrift" so glücklich ge­macht hätte als mich gestern ein von Ihnen überschriebener Brief gemacht hat. Und nicht nur mich. - auch die Meinen ­die Zeugen dessen was ich in den letzten Monathen litt ­tadelten mich heute, daß ich sie nicht gestern Abends noch wekte um ihnen meine Freude mitzutheilen. Etwas müd ge­heuet, gieng ich nach dem Abendessen um nachzusehen was der Bothe wol wieder gebracht habe. Bei der Arbeit und am Schreibtisch gehöre ich noch ganz mir selbst, den neuesten Nachrichten vermag ich nicht mehr ruhig entgegenzusehen. In solchen Zeiten hat es etwas furchtbar Quälendes, die Zei­tungen so langsam zu erhalten. „Was wirds noch geben?" fragte ich mich immer langsamer gehend. Am Ende noch gar eine französisch-österreichische Allianz? Das wäre doch ­wie so manches andere. Kommen wir Schmerzenskinder dann aus dem Ausnahmezustand nie und nirgends mehr heraus. Ist unsere Abgeschlossenheit von Allem das Bild unserer Zu­kunft? In solcher Stimmung traf mich Ihr Brief wie ein recht lieber Freund dem es stets gelingt den Trübsinn zu zerstreuen da ja schon sein Kommen erfeulich ist. Wir haben viel gelit­ten in der letzten Zeit. Wir trauerten mit den Unsern und bedauerten unsere Gegner, wir konnten in diesem Kriege nicht siegen und doch mußten unsere Söhne mitziehen um gegen die Zeit, den Geist des Jahrhunderts zu kämpfen und zu bluten für eine ihnen fremde - Sache. Wir haben ver­loren, wir, das Volk mußte verlieren auch wenn es gewon­nen hätte. Das ist kurz meine jetzt von vielen getheilte An­sicht gewesen. Die Bauern, die sich stets fleißiger bei mir einfinden sind noch muthloser als ich, ihnen gefiel der Wie­ner Brief „aus dem Wiener Leben" / Beilage zur A. Allgemeinen Zeit. Nr. 216 gerade so gut wie den Herren in Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und Bludenz obwol sie ihn nicht ganz verstehen mochten. Das Gerücht, Baiern werde für seine Saumseligkeit mit Vorarlberg belohnt werden entstand sicher nur aus dem Wunsch, bei Deutschland zu bleiben, denn für die bairische Regierung schwärmen die Nachbarn de$ Länd­chens sonst gerade nicht. Unsere deutschen Blätter wissen nicht was anfangen. Die Feldkircher Zeitung sagte neulich es bleibe uns nur eine Allianz mit Ungarn um stark zu werden und auf gesetzlichem Boden etwas zu gewinnen, wofür denn die Zeitung vom Volks?Blatt gewaltig abgekanzelt wurde. Das Volks?Blatt ist die dritte Zeitung in Vorarlberg, sie ist einen Monath alt, und kann wie das bei so jungen Wesen zu erwarten, noch nichts thun als schreien. Das Blättchen ist ein Kind der Tirolerstimmen und soll von den Geistlichen groß und stark gezogen werden. Seine Geburt hat sehr viel „Wehtagen" gemacht. Man wollte dann dem Armen das Vor­arlberger Wappen auf die Stirn drücken wo ich das Frag­zeichen gesetzt habe, doch das hat überall so viel böses Blut gemacht, daß auf Verwendung maßgebender Personen das Wappen schon auf der dritten Nummer weggelassen werden mußte. Zu Ihrer Erbauung werde ich Ihnen einmal einen Fetzen schicken. Sonst wird bei uns neben der A. Allgemei­nen Zeitung die neue freie Presse am liebsten gelesen obwol nur wenige wissen daß der Redakteur Dr Lecher ein Vorarl­berger (Bregenzerwälder) ist. Doch nun von etwas Anderem. Der Aufsatz „Auf dem Tannberg" schildert meine Reise dort­hin, wie ich sie im letzten Winter unternahm um dort einer Hochzeit beizuwohnen. Ich zeichne meine Gesellschaft und er­zähle, mich treu gebend wie ich bin was ich dort sah und hörte. Der noch zu breite Aufsatz entstand in den letzten Regenwo­chen. Etwas Größeres anzufangen war ich nicht aufgelegt und doch wollte, mußte ich die Gegenwart wieder einmal verges­sen. Ich rief meinen Lieblingsgestalten und sie sind gekom­men. Es entstand manches ich könnte selbst kaum sagen wie. Schon das letz[t]e Mal glaube ich Ihnen geschrieben zu haben daß ich Verse „mache". Mir hat das recht frohe Stunden ge­macht, ob es auch andere freut weiß ich nicht, doch leg ich eine Probe bei die Sie beliebig verwenden können. Sie sehen darin wenigstens, wie ganz ich mich einem einmal gefaßten Bilde hingeben kann. Ich. bitte, mir Ihr Urtheil über meine Silbenstecherei mitzutheilen.

Auch den Aufsatz „Tannberg" hab ich in dieser Zeit entwor­fen und mit Bleistift unausgearbeitet niedergeschrieben wie die Sonderlinge. Auch diese hab ich erst nur flüchtig ausge­worfen und erst beim Reinschreiben gehörig durchgearbeitet. Das Abschreiben wäre mir unerträglich, wenn es dabei gar nichts mehr zu köpfen gäbe. Diesen Bleistiftentwurf hab ich allerdings da, doch ist er im Ganzen eben zu ungenau um dabei etwas ändern zu können. Die von Ihnen erwähnten Kapitel habe ich da vor mir und ich will sehen was mir ein­fällt. Könnte Franzens Monolog gekürtzt werden, ohne den Faden zum Traum und zum Folgenden abzuschneiden? Kann er sich in seiner Lage kürzer fassen? Ich werde über diese Frage nachdenken. Auch Ihre Meinung möchte ich hören. Jedenfalls wäre es genug, mir die betreffenden Bogen zu schicken. Die Scene im Walde aber glaube ich nicht zärtlicher machen zu dürfen wenn Mariann eine Wälderin bleiben soll. Wissen Sie, wie man hier den Kuß nennt? Nein, ich wills dann sagen, wenn einmal das Wörterbuch so weit ist, denn ich hoffe bis dahin noch oft an Sie zu schreiben. ­Jetzt hab ich gerade keine Wörter ausgeschrieben, doch sol­len Sie bald wieder solche erhalten. Auch den oben erwähn­ten Aufsatz werde ich abschreiben so bald ich Zeit finde. Jetzt bin ich jeden schönen Tag mit Rechen und Sense auf den Bergen und im Vorsaß Hinterhopfreben, wohin ich Mitte September auf einige Wochen mit sammt den Meinen ziehen werde. Sollten dann Ihre werthen Freunde kommen, so wird man dafür sorgen daß ich es erfahre. Ich werde ihnen dann mit Freuden entgegeneilen. Sie dürfen nur beim Rößle in Au oder beim Kronenwirth dahier sagen daß sie mich zu sprechen wünschten. Es würde mich freuen, doch auch dieses Jahr noch einen Besuch zu bekommen nachdem ich so manches vergebens hoffte. Auch ein Herr Gustav Wagner Oberlehrer an der Lehranstalt für erwachsene Töchter hat mir von Leipzig geschrieben er werde kommen. Ich habe auf seinen freundlichen Brief geantwortet und möchte nun gerne wissen, ob der Brief, den ich nicht genau adressiren konnte, nicht ins Unwetter gekommen sei. In der letzten Zeit habe ich einiges von Spielhagen gelesen. Ich lese ihn außerordent­lich gern, diese Klarheit der Zeichnung, die schöne Sprache, alles gefällt mir und thut mir wol, wenn er nur nicht durch etwa eine Übertreibung machte, daß man sich zwingen muß, ihm nicht mehr treulich und glaubend zu folgen. Diesem Briefe lege ich die früher gewünschten Nummern un­serer Landeszeitung bei, sammt einer Entgegnung meines Schwagers, den der Aufsatz so geärgert hat wie mich. In der erwähnten Tannbergschilderung spielt dieser mein Freund als Bureaukrat eine traurige Rolle, ich habe nicht ihn gezeich­net, aber ihn genommen, damit ich in keine Verlegenheiten komme. Sein Name kommt nicht vor und wenn auch der vorkomme, er würde mit Leib und Seele lachen wie nur der Gute es kann. Er war lange in Ungarn und hat viel erfahren. Wir haben viel zu thun und zu streiten, da ihm der Bücher­wurm nie Ruhe läßt.

Mit meiner Genossenschaft wärs wol gegangen, wenn der Krieg den Leuten nicht allen Muth genommen hätte. Doch der Gedanke lebt noch. Sogar im Walserthal redet man viel davon und hat extra einen Bothen hergeschickt der mich um die Geschäftsordnung bath da ich bisher noch nicht dazu ge­kommen bin sie zu veröffentlichen. Ich erwarte viel von den Waisern. Es sind unternehmungslustige tüchtige Leute, dem Tannberger, dem Vetter, in allem überlegen. ­Jetzt stehen die Bauern schlecht. Wir haben in jeder Hinsicht ein schlimmes Jahr. Die Cholera nimmt dem uns so wichtigen Käshandel alle Aussicht, sie schadet uns in der Beziehung mehr als der Krieg, dazu wenig Verdienst, wenig Heu, auf den Alpen schlechtes Wetter und das Beste, der Mut, die Hoffnung, das Vertrauen nach allen Seiten, ohne welches der ruhige Bauer nicht sein kann, sind dahin und nach nirgends regt sich etwas, das diese Gefühle wieder weken könnte. Ich gehöre nicht zu den [Ärmsten] dahier aber ich fühle wie die­sen zu Muthe sein muß. Es [wäre mir] sogar aus finanziellen Gründen lieb, wenn die Sonderlinge bald veröffentlicht wür­den. Das deutsche Wörterbuch werde ich später bestellen und muß leider fast noch froh sein, daß Sie mit Hirzeln noch nicht unter der von mir früher gemachten Bedingung unter­handelten. Aber so muthlos wie meine Landsleute bin ich doch noch nicht.

Wol hab ich keine Hoffnung aber Kraft, ich will! das ist noch immer genug gewesen. Leben Sie wol. Ich gehe an die Ar­beit, zu der ich da bin, durch die ich die meinen erhalte. Mit tausend herzlichen Grüßen von mir und den meinen, Sie um baldmöglichste Antwort bittend

Ihr Franz Michael Felder

Das weiße Hüttchen hinterm Baum.

 

Das weiße Hüttchen hinterm Baum Das

Gärtlein dort, das Kleine, Das Gütchen bis zum

Waldessaum ­O Schatz, das ist das Meine!

 

Das Gärtlein, gelt, versorgst du bald? Und ich

indeß das Gütchen; Zum Mahle winkt mich

aus dem Wald Der Rauch ob unserm

Hüttchen.

 

Und dann geht das Erzählen an Was

uns gelang, uns freute. Beim Mahl, das

unser Fleiß gewann Sind wir die

frohsten Leute.

 

Das kleine Hüttchen wird vom Neid

Vom Hochmut übersehen Drum kann

von Außen uns kein Leid Kein böser

Streich geschehen.

 

Und drinn? - O du wirst drinnen sein

Mein Engel auf der Erde! Ich fürchte daß

dem Glück zu klein Das kleine Hüttchen

werde.

 

Doch dann gehn jubelnd wir hinaus

Und großes soll geschehen; Wenn du es

willst wird bald ein Haus Auf diesem

Platze stehen.

Franz  Michael  Felder

Keine