AN DEN VERWALTUNGSRAT DER DEUTSCHEN SCHILLERSTIFTUNG IN WIEN [ENTWURF]

lfndenr: 
646
19. Dezember 1868

Dem Verwaltungsrath der Schillerstiftung

Vor allem ist es die Sorge um meine unerzogenen fünf Kindern, welche mir den Muth gibt, mich an eine Stiftung zu wenden, welche sich die Unterstützung dürftiger Schriftsteller zur Aufgabe gemacht hat.

Mit blutsaurer Arbeit hab ich [mir] seit Jahren durchgeholfen, ohne irgend eine fremde Geldunterstützung zu suchen oder zu verwer­ten. Im Bregenzerwalde im engsten Aachthal geboren und schon im zweiten Lebensjahr durch Ungeschicklichkeit eines Artztes, der mein krankes Auge behandeln wollte um das andere gesunde gebracht, ließ man mich nur noch die Dorfschule in Schoppernau besuchen und meine Lernbegierde blieb unbefriedigt, weil meine Kurzsichtigkeit den Besuch höherer Schulen unmöglich zu machen schien. So ward ich Bauer wider Willen und arbeitete auf dem verschuldeten Anwesen meines frühverstorbenen Vaters um mich und die Mutter zu erhalten. Durch Taglöhnerarbeit verschafte ich mir Bücher von denen jedes eine Geschichte blutsaurer Erwerbung hat. Freundlos, meiner Umgebung ein gemiedenes Räthsel konnte ich meinen Drang, mich auszusprechen, nur in stillen Stunden der Nacht mit der Feder befriedigen. Als meine Mutter mehr als 60 Jahre und zur Verrichtung der meisten Arbeiten unfähig war verehlichte ich mich mit dem einzigen Mädchen, das, im Thale aufgewachsen mich ganz verstand und in den Stunden die wir unserer Berufsarbeit abkargten, meine Bestrebungen theilte und unterstützte wie nur ein liebendes Weib es vermochte. Durch meine Gattin hab ich auch die Liebe zu der früher ängstlich gemiedenen Bevölkerung und einen lebhaftem Verkehr mit dersel­ben wieder gewonnen. Ich begann über meine Landsleute zu schreiben und ihr Leben dichterisch zu gestalten. Drei größere Erzählungen, die neben strenger Bauernarbeit und in stillen Näch­ten auf Unkosten meines schwachen Auges geschrieben wurden, sind bereits veröffentlicht. Das zweite davon, im vorigen Jahr erschienen, hat eine Übersetzung ins Holländische erlebt und ich erfahre eben, daß auch eine ins Französische bevorstehen soll. Die materiellen Erfolge meiner schriftstellerischen Thätigkeit aber sind keine derartigen, daß sie mich auch nur der bittersten Sorge enthöben. Ich habe eine mehr als siebzigjährige Mutter und fünf unerzogene Kinder, das älteste 6 - das jüngste Xt Jahr alt, zu erhalten und alle Sorge liegt auf mir alein, denn mein liebes Weib die Freundin, die Haushälterin hab ich im letzten Sommer durch den Tod verloren. Ich stehe alein und nur der Gedanke, daß die Gesellschaft keinen Redlichstrebenden verläßt. Besonders hoffe ich auf Unterstützung einer Stiftung die sichs zur Aufgabe gemacht hat, die Sorge nothleidender Schriftsteller zu erleichtern. Über den Werth meiner Schriften haben angesehene Kritiker sich günstig ausgesprochen. Ist mir selbst ein Wort hierüber erlaubt, so möchte ich ihre Mängel theilweise mit meinen Verhältnissen entschuldi­gen. Das Gespenst der Sorge ist überall. Es macht mir nicht nur das Anschaffen von Büchern zur weiteren Ausbildung schwer und oft unmöglich; es verscheuchte auch oft die Gestalten, die mir erschei­nen wollten, wenn abends die arbeitsmüde schwielenbedeckte Hand die Feder ergriff. Und doch ist mir jetzt schriftstellerisches Schaffen einzig mein Trost und meine Erhebung. Noch bin ich nicht 30 Jahre alt und fühle die Kraft in mir, noch bedeutenderes zu schaffen, wenn nur das blasse Gespenst der Sorge von meinem Arbeitstische verscheucht würde

Keine