FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
641
11. Dezember 1868

Lieber Freund!

Heut ist großer Briefschreibetag. Schon mehr als ein halbes Dutzend liebe Menschen hab ich angeredet. Du kommst zuletzt, gerade wo das Plauderstündlein angeht. Mein Reich und Arm hast Du etwas mitgenommen. Ich muß mir das schon gefallen lassen, denn Bücher werden geschrieben, daß man sie lese und überlege. Sie sind daher schon nicht umsonst, wenn sie nur Material bringen und Fragen anregen. In der Beziehung tadelst Du mich nicht und hättest wohl auch keinen Grund, denn es dürfte kaum ein Blatt, ja wohl keine einzige Seite sein, worauf der Titel nicht paßte. Auch mensch­liche Gerechtigkeit - die des Geschichtschreibers findest Du geübt, indem Licht und Schatten ziemlich gleich auf beide Seiten verteilt sind. Am grellsten hab ich die Mitte - d. h. die Kluft zwischen Reich und Arm beleuchtet, die Entsittlichung, die der gesellschaftliche Gegensatz schon auf den einfachsten Menschen ausübt. Das hätte von Dir Erwägung verdient. Wenn Du das Ganze von diesem Gesichtspunkt betrachtest, könntest Du zugestehen: Es ist alles gesagt oder doch an­gedeutet.

Aber die Lösung ist Dir zu - ästhetisch? Du wolltest auch dort noch die Entartung des Menschen gezeigt, Du forderst jene höhere göttliche Gerechtigkeit, welche man dem Dichter zuspricht und mit Recht, denn wenn sie nicht da ist, fehlt alles.

Ich hoffe und wünsche daher, daß wir sie finden. Freilich suche ich mit dem Auge des Ästhetikers, aber laß mich jetzt machen.

Du gibst schon zu, daß in Wirklichkeit eine Verbesserung der sozialen Ordnung in einem Kunstwerke nur innerhalb der sittlichen Weltordnung gezeigt und angestrebt werden kann. Diese Weltordnung beruht auf dem Satze: Was du nicht willst, tu ändern nicht, auf den Pflichten gegen den Nächsten und auf den Verboten, z. B. du sollst nicht töten. Sage mir, welchen Eindruck machte es, wenn das Volk sich rächte, statt daß den Krämer die Furcht vor dem selbstgeschaffenen Ge­spenst ins Verderben treibt. Ich bleibe dabei, das ist Arbeit des Dramatikers, das große Trauerspiel der Gegenwart zu schreiben. Heute würde das Pfaffentum auf dem Grabe jubeln. Ein Trauerspiel war's noch trotz dem Jubel am Aus­gang, aber wer gewinnt, wenn man es schreibt? Die Bour­geoisie.

Wenn das Volk mein Buch läse, könnte es denn nichts daraus lernen als warten, bis ein Krämer ins Feuer springt? - Dann war's freilich umsonst, im Roman eine Frage zu bearbeiten. Ich denke, man sollte dem Volk nicht zu sehr voraus eilen. Und der Bourgeoisie und dem Pfaffentum möchte ich keine Waffen in die Hand geben. Ich schrieb auch das Kapitel „Im Wald", aber ich stellte es nicht an den Schluß. Die Leiden­schaft des Rachegefühls wecken wollte ich, sie auch befreien durfte ich nicht.

Unser Vetter Bruggmüller in Egg ist nun zweimal nach Amerika und zweimal zurück und ist noch immer groß vor dem Herrn, obwohl er am Vater zum Mörder, an der Mutter zum Dieb wurde und Weib und Kind dem Schicksal preisgab. Und der Kronenwirt in Bezau!

Aber ich will Dich verschonen mit unsern ungestraften Er­bärmlichkeiten und auch zu Ende eilen mit meiner Selbst­kritik, obwohl ich Dir noch vieles sagen möchte und nicht ungern meinen Roman dem Schweizerschen gegenüber­stellte. Der reißt alles nieder und läßt am Schluß die Bour­geoisie obenauf, um im Leser das Gefühl der Rache zu wecken. Dabei zeigt er die Erbärmlichkeit der Bourgeoisie in ihrem gegenwärtigen Stadium. Das ist nicht ästhetisch, und wirken tut es schon darum nicht, weil es nicht gelesen wird, obwohl der Preis auf 1/4 herabgesetzt wurde. Schweizers Kapitalisten sind nur Unmenschen, Narren, Wüstlinge und Wucherer, Menschen sind es nicht, und der Roman will doch auch einige Menschlichkeit, damit das Interesse erhalten bleibt. Der Krämer geht unter im Kampfe gegen das Menschliehe in sich, weil ihm die Umgebung noch nicht gewachsen ist. Hättest Du es gerechter gefunden, die ändern Mörder werden zu lassen, daß denn ihre Tat Böses gebärend fort­wälze nicht nur in ihrem Leben und auf die Kinder, sondern auch aus meinem Buche durch alle Blätter auf die Sozial­demokratie.

Vor fünf Wochen kündete Pfarrer Birnbaumer im Kasino für nächsten Sonntag einen Vortrag über Reich und Arm an. An besagtem Sonntag sagte er: Er müsse das Buch noch besser durchgehen in den nächsten 14 Tagen. Dann sagte er nach 14 Tagen, er möchte nicht zu viel sagen auf keine Seite, man solle ihm noch 14 Tage Bedenkzeit gönnen. Endlich am letzten Sonntag kam das Urteilchen so zahm und lamm­fromm, als ich, sonst niemand, es erwartet hatte. Meine Ge­danken über die soziale Frage seien Perlen, Hiebe wären vom Verfasser der Sonderlinge zu erwarten. Das Buch be­zeichne diesem gegenüber einen großen Fortschritt. Es stehe auf katholischem Boden und sei zwar gerade nicht zu emp­fehlen, doch auch nicht zu verwerfen.

Birnbaumers Stellung in Au hat sich sehr verschlimmert, und man würde ihm noch einmal kränzen, wenn er ginge. Daß ich an vielem schuld sein soll, versteht sich. Übrigens ist man gegen mich, wie Du siehst, sogar mehr als vorsichtig. Ministerialrat Hamm hat mir einen freundschaftlichen Brief geschrieben, der mich sehr freut und den ich Dir nächstens schicke mit einem Brief von Hirzel, den ich bisher schon in Deinen Händen wähnte.

Die Frau des Baron Seyffertitz schickt meinen Kindern Klauso­züg und mir Bücher. Meine Selbstbiographie wächst, und schon gewinne ich wieder Mut zu freiem dichterischem Ge­stalten.

Mariann liest mir fleißig vor, tut die Arbeit und lernt mit mir und von mir. Die Kinder haben sie recht lieb und ich auch. Schreibe bald wieder. Es grüßt Dich mit Brudergruß und Handschlag Dein Freund           Felder.

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