FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
89
1. Juli 1863

Geliebter Freund!

Durch Sturm und Regen vom Heuen vertrieben, komme ich endlich dazu, Dir zu schreiben. Der schöne Frühling und das gemütliche Hopfreber-Leben sind nun zu Ende. Die Rosen sterben und die Menschen sterben und alles stirbt: Alles vergeht, nur manches sehr langsam, z. B. die Klauen­seuche. Hie und da bricht sie wieder von Neuem aus. Letzte Woche im Schalzbach und auf Sännou, gestern beim Hermann in Lugen. Auch dieser Hermann bestätigt den Satz: Alles ver­geht, nicht dadurch, daß er vergangen ist, aber ihm ist manches vergangen. 1. Früher lebte er wie Michel im Him­mel, hatte Zug und Sacha, und nun hat er die Säge und die Rosse, kurz, das Haus ausgenommen, alles verkaufen müssen. Der Ritter hat ihm alles abgekauft, um sich bezahlt zu ma­chen, und die andern Gläubiger? - bekommen gar nichts, alles verliert, alles begehrt auf über den Ritter, der sich ins Fäustchen lachen kann, und aus dem Hermann ist ein Bettel­mann geworden: Alles vergeht.

2. Der sogenannte Lorinzlar auf Krumbach oder eigentlich dessen Kühe haben die Klauenseuche gehabt, doch ist es jetzt auch vorüber und ein besonderer Glücksfall zu nennen, daß die Kühe der Eurigen nicht angesteckt worden sind. Jok hat jetzt keinen Kummer mehr, obwohl er auf Krumbach das Haus voll Maurer und Zimmerleute hat. Er läßt Dich freund­lich grüßen: Der Kummer sei vergangen. Der Jurist Jochum ist von Wien wieder zurück, nachdem er dort nun seine Studien völlig beendet, er war die letzte Zeit bei mir in Hopfreben, der arme Tropf hat ja keine Heimat und keine Verwandte, nichts als eine arme Mutter, die sogar Knecht sein muß. Eine Charakteristik von ihm werde ich Dir jetzt keine liefern, nur soviel sage ich:

3. Daß er sich sehr verändert hat, nicht im Äußern, aber sein Jesuitismus und sonst noch vieles ist ihm vergangen. Er weiß von manchem bösen Tag, den er in Wien erlebte, zu erzählen, vielleicht teile ich Dir später noch Auszüge mit, seine Mitteilungen sind für mich, der immer daheim beim Ofen war, sehr interessant. Er erzählt alles, was er von seinem Wienerleben mitteilt, mit bitterem Humor, mir kommt es vor, ob er es bereue, nicht Theolog geworden zu sein, nicht aus Durst nach seinem Heile, sondern aus Hunger nach Brot scheint diese Reue entstanden zu sein. Seinen Koffer hat er noch in Wien, und zwar aus Gründen, die Du als ehemaliger Studio wirst einbilden können.

Letzten Sonntag war ich mit ihm in Au und wir verlebten bei Leouosa einen gemütlichen Abend. Dr. , Walsersowie die andern, lassen Dich grüßen. Die Ludmilla wird, wie ich hörte, bis in etwa 14 Tagen nach Au kommen, was, wie ich hörte, dem Witwer sehr erwünscht sein soll, da er, seiner früheren Bekanntschaft wegen, die er mit ihr wenigstens dem Schein nach hatte, bei seinem Auer Schatz (Auborans Mariles Motlo) ohnehin schon in den Stand der Ungnade kam. Der Mariles Motlo wäre jetzt 4. die Eifersucht vergangen, aber lei­der auch dem Witwer seine Liebe. - Doch ich habe mir vor­genommen, über solche Auer Angelegenheiten nicht mehr zu reden, ich teile Dir daher nur noch mit, daß die Deinigen gesund und wohl sind, die Mutter ist bisher immer daheim gewesen und Mariann bei ihr, und so wird es vermutlich den ganzen Sommer bleiben.

Und nun nach Schoppernau zurück, von hier könnte ich Dir sehr viel und vielerlei erzählen, aber nur wenig davon wird Dir vielleicht interessant sein. Nun - ich will versuchen, ob ich das rechte treffe. Unser Gottle, die sogenannte Nautare, fürchtet man allgemein, werde um den Micholar kommen, denn dieser hat sich, als das Margarethle eine reiche Witwe wurde, bedacht: Das Margarethle war nüd so leaz! - Es prüfe, wer sich ewig bindet, ob Geldsack sich zu Geldsack findet u.s.w. -

Seit ich ein Büchermacher bin, sehen mich die Schoppernauer Freunde und Gegner mit ganz andern Augen an. Und es hat, wie alles auf der Welt, auch sein Gutes, wenn es etwas Gutes ist, daß ich etwas mehr Einfluß habe als früher, entweder weil man mir Einsicht zutraut oder auch weil man mich nicht zum Gegner haben mag. Ich glaube, den Schoppernauern schuldig zu sein, Dir folgendes zu erzählen: Du wirst Dich noch erinnern, daß ich letzten Winter vereint mit meinem Vetter J. J. Felder eine andere Verteilung der Gemeindekosten beantragte und daß mein Antrag einstimmig verworfen wurde. Im letzten Monat wurde dieser Antrag auf mein Drängen hin nochmals vorgelegt, ich war selbst bei der Verhandlung. Die Herren Gemeinderäte sahen mich mit großen Augen an, aber keiner sagte ein Wort dagegen, weil sie, wie ich nachher vernahm, fürchteten, sie - könnten sonst in ein Buch kommen. Mein Schriftstellertum trägt also Früchte, wo ich es gar nicht, oder wenigstens nicht so schnell, er­wartete, und mein Ärger über das Schoppernauertum ist mir nun wenigstens in etwas vergangen.

9. Juli morgens

Aber Wetter haben wir prächtiges! Man muß das Gras nur mähen, dann kommt die Heuerin Sonne und macht alles strohdürr, die Heuer und das Heu. Die Heuernte ist eine über­aus reichliche, auch das Vieh gäbe sehr viel Milch, wenn nur die Klauenseuche nicht war, aber die ist und ist, je länger desto ärger. Seit ich diesen Brief anfing, ist sie ausgebrochen in den Alpen: Schodauna, Bergunten, Annalp, Sekel und noch mehreren. Man hat gefunden, daß auch Gemsen und Rehe krank sind, und so muß, da genannte Tiere sich dieses Jahr nicht in den Höhen aufhalten, die Seuche, die ungemein an­steckend ist, überall hin kommen. Jetzt kann man Volksstu­dien machen; selbst unser Pfarrer gesteht zu, daß er die Wäl­der erst jetzt kennen gelernt habe, welches aber, nach dem, was er mir mitteilte, zu urteilen doch auch wieder nicht wahr ist.

Freilich wird auch die Klauenseuche vergehen, aber ihre Folgen! - ! Feindschaft, Unfrieden und, ich mag nicht reden von dem, was sie alles zurücklassen wird, kurz, sie hat alle Bauernleidenschaften wach gerufen.

Diese Zeit habe ich geheuet und bin daher so lange nicht mehr zum  Schreiben  gekommen.  Der Jochum   ist jetzt  in Warth,  wird  aber  bis   in  einigen  Tagen  wieder  kommen. Unser Vetter Ingenieur Elmenreich ist jetzt als beinahe ein­ziger Kurgast im Hopfreben-Bad und hat lange Weile. Aber jetzt muß  ich  machen,  daß  ich  wieder zum  Heuen komme, denn die paar Minuten, die ich für mich hatte, sind nun auch vergangen. Alles vergeht, nur meine Freude am Dorf-Freimaurer und meine Liebe zu Dir nicht. Stets werde ich bleiben

Dein treuer Freund

F. M. Felder.

Ich bitte Dich, mir bald einmal zu schreiben, wie es Dir im Montafon gefällt. Und sonst recht vieles. Bald werde ich wieder mehr Zeit zum Lesen und Schreiben haben.