FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSSRUCGER

lfndenr: 
102
17. November 1863

Geliebter Freund!

Willst wissen, Du mein/
lieber Christ,/

Wie einem dann zu Mute ist,/
Wenn ihn verbrüllt ein jeder/
Brüller,/
So schreibe einen Nümmamüller!/

Oder wenn Du glücklicherweise etwas Besseres zu tun weißt als das, so setze Dich auf ein Minütchen und lese mit Geduld und Aufmerksamkeit, was ich, der in diesem Stück Erfahrene, Dir mitteilen werde.

Am 1. d. M. ist das Werkchen im Bregenzerwald erschienen. Trotz allem Vorhergegangenen hätte ich doch nie geglaubt, daß hier ein Buch so viel Aufsehen machen könnte. Freilich war es nur die Neugierde, die fast jeden Bemittelten trieb, es zu kaufen und zu lesen, und wer keines kaufte, der ent­lehnte, und wer nicht las, der redete wenigstens davon, und die am liebsten, die am wenigsten davon verstanden. Aber wie wurde es dann aufgenommen? Die Bibel gibt darauf die Antwort:

1.          Kann von Nazareth etwas Gutes kommen?

2.          Kein Prophet ist angenehm in seinem Vaterlande.

Zuerst mußte es den und den und diese gemeint sein, und da zuletzt auch die, welche keine Brillen hatten, einsahen, daß eben alles gemeint sei - da ging das Be- und Verurteilen an. Wo sollte ich Zeit und Papier hernehmen, Dir alles mitzu­teilen, was die Leute aus dem Buch heraus- und in das Buch hineingelesen haben, doch von sogenannten Gebildeten muß ich Dir einiges sagen, und als guter Schoppernauer fange ich mit unserem Pfarrer an. Dem gefiel das Buch außerordentlich gut, was mich anfangs sehr überraschte. „Die Witze", äußerte er sich, „sind ausgezeichnet und die über die Unter­dörfler die besten; die Gemeinderäte, die Greth und mehrere sind unübertrefflich gezeichnet." Jetzt lacht der Pfarrer die Unterdörfler aus, wo er einen antrifft, und sagt: sie sollen nur recht Exemplare kaufen, denn die Bücher, welche sie kaufen, kommen nicht mehr in die Welt hinaus, das sei noch ihr einziges Rettungsmittel. -

Der Doktor ist im Ganzen mit dem Buch zufrieden, nur hätte ich - o Kunstansicht! - das Reuthe Wirtle - und mithin die Winkeladvokaten - nicht so loben sollen! Ist denn mein Wirt das Lümple von Reuthe? Oder ist es nicht viel mehr mein Ideal von einem Mann, wie wir wirklich recht viele haben sollten.

Ähnlich der Behauptung des Doktors ist auch die des Kurats. Ritter und Genossen haben natürlich gar kein eigenes Urteil. Ein Schoppernauer ist böse auf mich, weil er sich und weil andere ihn für den roten Michel halten - und wirklich: wenn ich an ihn gedacht hätte, so würde ich ihn nicht ganz so gezeichnet haben, so überraschend trifft alles ein. - Als er am vorigen Sonntag in der Predigt saß und - schlief, fing fast alles zu lachen an.

Heut hat der Adlerwirt in Au Hochzeit, und ich muß abends den Abdanker machen und das Wible holen, bei dieser Ge­legenheit hoffe ich dann zu erfahren, was man weiter draußen über mein Buch sagt.

Ein gedrucktes Urteil habe ich bisher noch keines gelesen. Und nun lieber Freund, neige Dein Ohr zu mir und höre meine Worte:

Ist's nicht eitel und vergebens,/
Torheit nur und leerer Wahn/
durch den Wüstensand des Lebens/
sich zu wühlen eine Bahn./

Denke nur, Dein Freund ist schwermütig worden, nicht des Unangenehmen wegen, das er die letzte Zeit her erleben mußte, sondern aus ihm selbst kommt all die Bitterkeit, an der er jetzt zu schlucken und zu würgen hat. Für den verirrten oder in eine unbekannte Gegend ge­kommenen Wanderer auf dem Lebenswege ist es gut, zu­weilen einen Hügel zu ersteigen und von da zu sehen, woher er eigentlich kommt und wohin er soll. Auf so einen Hügel habe ich mich, hinweg vom lärmenden Markt des Lebens, geflüchtet und sehe mich. Zurückschauend erblicke ich eine Vergangenheit, wo ich zwischen zwei Berufen stand, wie zwischen Tür und Angel, zwischen zwei Gegensätzen, wo jeder den ändern verdrängen und mich mitreißen will, und wenn das noch lange so fort geht, dann, bei Gott, werden sie mich zerreißen! -

Nicht wahr, es ist ein eigenes Wort, mit dem ich meinen jetzigen Zustand und meine Gefühle bezeichne, aber es ist das rechte.

Nun so entschließe dich zu dem einen und laß das andere, könnte man mir sagen, Du aber sagst das hoffentlich nicht. Ich habe als Dichter mein Glück versucht, was ich geleistet, mögen andere beurteilen, aber nicht nur die, die mich zu kennen glauben und von Vorurteilen sich leiten lassen; von meinen Landsleuten, für die ich wirken und meine beste Kraft brauchen wollte, werde ich, das merke ich, schon nur Stank ernten für Dank, und dieser Gedanke wirkt wie ein Nasen­stüber, den man einem Sänger gibt.

„Kehre dich nicht an die Urteile der Dummköpfe und die Vernünftigen sind ja auf deiner Seite." Das ist schön gesagt und auch beinahe wahr, aber eben so wahr ist, daß ich gerade mit denen, die Du Dummköpfe nennst, leben muß, so lang diese miserable Maschine noch zusammenhält. Da muß ich leben und so manche Arbeit verrichten, die meinem nicht gerade zum Holzknecht eingerichteten Körper fast zu streng ist und des Geistes Kräfte lahmt; lahmt, aber nicht tötet. O, daß ich sie töten könnte und ein rechter Klotz von Bauer werden könnte!

So weit kann einer im Bregenzerwald, in Vorarlberg, im Lande der Intelligenz kommen, und vielleicht noch viel weiter, ich will für heute abbrechen, da Du Dir alles einbilden kannst, was ich noch sagen möchte, wenn ich es sagen möchte. Fragst Du noch, was ich seit Deiner Abreise in dem gemüt­lichen Hopfreben geschrieben habe, so antworte ich Dir, kein Wort, und Hopfreben ist nur gemütlich, wenn man es selbst auch ist.

Mache mir nur nicht den Vorwurf, es sei Schwäche und Feig­heit, müßig dazustehen und zu hadern. O, ich bin nicht müßig dagestanden, gearbeitet habe ich, daß mir die Hände bluteten und jeden Abend hundsmüde heimkam wie jeder Taglöhner oder noch müder. Und in anderer Beziehung bin ich doch auch nicht müßig dagestanden, habe gekämpft mit der Umgebung, und kein Mensch weiß mit was allem. Und was habe ich nun errungen, erkämpft? Ich habe Dir ver­sprochen, aufzuhören - und ich werde auch Wort halten.

18. Nov.(ember) (63)

Gestern abends holte ich das Wible, das ist die kurze Lösung des gestern angefangenen - Romans aus der Wirklichkeit. Es wäre mir heute noch gerade wie gestern, wenn ich daran denken möchte. Auf Adlerwirts Hochzeit ging es lustig zu, ich machte aber nicht mit, am liebsten war mir - das Heimgehen. Daheim ist mir am wohlsten, ich sah in Au manches Lächerliche. Gegen mich waren alle Hochzeitgäste freundlich. Hie und da hörte ich von meinem Buch reden, Gutes und Böses, Richtiges und Falsches. Im ganzen darf ich mit der Aufnahme zufrieden sein, und mein Ärger kommt nicht von dieser Seite her, gegen Dich habe ich ihn ausgesprochen; Du kannst nun mich auslachen oder bemitleiden. Ich werde indes fortleben und sehen, ob es mir wieder anders zu Mute wird. Den Liebig habe ich erhalten, werde ihn aber, wenn Du nichts dawider hast, zuerst lesen und ihn Dir dann zusenden. Wo bist Du? Wie geht's Dir, was macht's Moatle? Grüße es mir herzlich. Der Gropper ist Hochzeiter, am kommenden Montag werde ich ihm beim Sonnenwirt abdanken. Den beiliegenden Bogen bitte ich Herrn Vonbun zu geben, damit er das ganze Werkchen hat. Höre, was er sagen wird und wie man es sonst aufnimmt. Kaplan Sieber findet es unreligiös auf Seite 52 und 53. Willam in Wien hat mir eine günstige Aufnahme in einem eigenhändigen Schreiben zuge­sichert.

Bald Mehreres. Von Dir hofft auf baldige Antwort Dein Freund

Felder

Das beiliegende Buch  ist für Dich,  lese es in  Frieden  mit Deiner Therese.

Keine