AN JOHANN JOSEF FELDER [FRAGMENT]

lfndenr: 
72
Fehlt
1. März 1863

[. ..] Unsere Losung sind die Worte Herders: Zur Arbeit, Liebe und Veredlung war das Leben uns gegeben. Fehlen diese, was hat der Mensch am Leben; hat er diese, was fehlt ihm noch, worüber will er klagen? Die besten Schriftsteller Deutschlands sind unser Gemeingut. Meine Bibliothek ist mir ein wahrer Schatz und zwar kein kleiner. Wärest auch du da, würde zu meinem Glücke nichts mehr fehlen und freudig würden wir dich begrüßen und aufnehmen als den dritten im Bund, aber nicht den letzten. [...] Ich habe in meinem Leben schon manches gute Buch gelesen; aber ich habe dabei auch immer ein offenes Auge gehabt für alles, was um mich her vorging; ich bin kein Bücherwurm geworden, habe mir meine eigene Ansicht von allem bewahrt und dadurch, daß ich fremde Urteile hörte und las, meine Ansicht nicht verloren, sondern nur ausgebildet. (Ich schreibe das nicht aus Stolz, sondern weil ich offen sein will gegen meinen Freund, wie es bei uns ja immer gewesen.) Ich habe meine Heimat, ihre reli­giösen und sozialen Verhältnisse kennen zu lernen versucht, ich habe ihre Sprache studiert, so weit mir das mit den sprach­wissenschaftlichen Schriften, die ich besitze, möglich war. So habe ich nach richtiger Auffassung aller Verhältnisse gestrebt. Und was ist nun die Folge? Ich habe manches Gute, das geför­dert zu werden verdiente, gefunden, aber auch viele Übel­stände, die sich wie schwarze Schatten über das liebliche Bild des idyllischen Wälderlebens hinziehen. Wer hier etwas tun könnte durch Wort und Tat zur Förderung der Volksbildung und mithin des gemeinen Wohles, der, dachte ich, der hätte nicht umsonst gelebt. Du erinnerst dich noch, daß ich früher nichts Höheres kannte und wünschte, als Dichter und Schrift­steller zu werden, und noch jetzt schätze ich mich glücklich, daß mir nun dieser Wunsch erfüllt wird. Ich habe nämlich im letzten Jahre eine Dorfgeschichte aus meiner Heimat geschrieben, da ich mich dieser Aufgabe gewachsen glaubte, und habe dann meine literarische Arbeit an eine Buchhand­lung zur Beurteilung geschickt. [...]