FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
71
6. Januar 1863

 

Mein teurer Freund und Götte und Schwager und alles! Wenn Du Dich noch in der Au aufhieltest, so würde ich jetzt bestiefelt und behütet zu Dir hinabwandern, um Dir meinen herzlichsten Glückswunsch in natürlich ausgezeichnet gelungenen Versen, wie man sie von mir immer hört, darzubringen. „Das könntest Du auch schriftlich tun!", wirst Du denken. Und ich tue es auch; zwar nicht in Versen, aber deswegen nicht minder aufrichtig:

„Immer möge Dir, wie Deinem Namenspatron, der Stern des Glückes leuchten und Dich zum glücklichen Ziele führen; aber - kehre nicht mehr zurück zum Herodes, sondern opfere Deine Schätze dem Gotteskinde Humanität, wie Du es bisher getan, und kehre, mit dem erhebenden Gefühl, die Wahrheit gefunden zu haben wie die drei Könige, wieder ins Land Deiner Väter zurück!"

Das ist der wesentliche Inhalt dessen, was ich heute gedacht habe, sollte Dich etwa der befehlende Ton befremden, so bitte ich Dich, zu bedenken, daß es eben ein Wunsch ist, den ich gerade so ausspreche, wie ich ihn habe. Bloß einfach einen Glückwunsch schreiben - das tut jeder Lapi, aber dabei sagen, was man denkt, das tue nur ich - verstanden. Ich bitte, Ton und Schreibart zu entschuldigen, denn ich habe erschröckliches Zahnweh -.

Wenn man mit zwei Hämmern auf einmal auf einen leeren Kessel schlägt, so tönt der Kessel, eben weil er leer war; ich brauche dieses Bild, um Dir im Kessel mein ereignisleeres Leben und durch die Hammerschläge den Eindruck darzustellen, den die zwei Briefe, die ich am 28. Dezember erhielt, auf mich gemacht haben. Der eine war vom Uhrenmacher Felder in Bordeaux. Der zweite von Dir, und beide haben mich herzlich gefreut.

Der Uhrenmacher schreibt mir im besten Humor von der Welt, daß es ihm gut gehe und weder an Geld noch an Kredit fehle. Er hat mir eine Karte geschickt, die, so viel ich herausbringe, von der Industrieausstellung in England kommt, ich habe sie hier beigelegt und bitte Dich, mir diese samt Erklärung wieder gelegentlich zurückzuschicken. Dein beigelegtes Schreiben an J. S. habe ich selbst abgegeben und dabei, wie Du es wünschtest, gar nichts gedacht, und dafür um so mehr beobachtet; seit damals bin ich nie mehr in die Au gekommen und weiß Dir daher nicht viel Neues von dort mitzuteilen. Das Wichtigste von dort ist, daß der Muxels Hans mit Veris Michlers Motlo und Vorstehers Bub mit Rüflis Bablo Hoziglüt seand. Bero Michol (der Bruder der Sonnenwirtin) ist endlich gestorben. Auch hört man in der Au hie und da die Neuigkeit, daß Jauko Franz Michol vu Schauponnou a Werk in a Buochhandlung gschickt und daß man's ganz gut aufgenommen habe! Der Ritter hat diese Neuigkeit „vu Breagaz" -, wer sie ihm dort mitgeteilt hat, weiß ich nicht, hier in Schoppernau weiß bisher noch kein Mensch etwas davon. Herr Stettner hat mir für die erste [Ausgabe] meines Nümmamüllers 100 fl. Honorar versprochen und ich habe es angenommen, da ich auch mit seinen sonstigen Bedingungen zufrieden war. Deine Schwester Barbara in Mellau hat vor acht Tagen einen Franzsepp überkommen, aber leider ist er gestern wieder in den Himmel, worüber die Mutter, wie ich heute hörte, sehr betrübt ist. Mein Wible ist vor einer Stunde zu ihr, um morgen das Kind begraben zu helfen. Hier erlaube ich mir, Dich mit einem Dir sicher noch unbekannten Wälderbrauch bekannt zu machen. Wenn ein sogenannter „Engel" stirbt, so hat an ihm hauptsächlich auch der Götte einen Fürsprecher im Himmel, der Götte muß oder sollte daher demjenigen, der ihm den Tod eines solchen Kindes meldet, das

sogenannte Möttibrod geben und dieses besteht in je

mehr, desto lieber, die Nutzanwendung hievon lasse ich Dich selbst machen. - Jetzt ist es die höchste Zeit in den Stall und ich beeile mich noch, daß mir alle vier Kühe gekalbet haben und gut geraten sind, Dir mitzuteilen.

7. Jänner

Das Zahnweh hat mich wieder verlassen und ich fühle mich recht wohl im warmen Stühle, während es draußen furchtbar stürmt und so warm ist, daß der Schnee schmilzt wie im Frühling. Es hatte hier im Dezember sehr viel Schnee gemacht und auch deine Brüder samt dem Vieh hat es auf Krumbach eingesperrt und sie haben bisher noch nicht herausziehen können. Jok war vorgestern da und sagte, am Donnerstag werden sie kommen, aber wenn es so warm bleibt, so werden sie morgen wohl noch nicht kommen, schon jetzt hört man alle Stunden die Lawinen krachen, und dazu heult und tost der Wind, daß man es noch selten so gehört hat. Der Schnee auf den Dächern ist bereits geschmolzen, und wenn es noch lange so fortstürmt, so werden unsere Dächer abgedeckt werden, wie vor Zeiten den Bauern, die sich von ihren Weibern mißhandeln ließen. Es ist fast, [als] ob unser Dörfchen heuer immer von Stürmen heimgesucht werden solle, der Anfang wenigstens ist stürmisch genug. An der Gemeinderechnung kamen die Oberdörfler mit warmem, die Herrn Unterdörfler aber mit kaltem Wind zum Kronenwirt, aus diesen ungleichen Winden entstand natürlich ein tüchtiger Sturm, dieser Sturm riß schonungslos die deckenden Wände von den hiesigen Verhältnissen hinweg - und wer Augen hatte, konnte sehen, wer Ohren hatte, hören und - lieber Freund! ich sah und hörte. Was? Davon ein andermal. Für jetzt nur so viel, daß sich die Oberdörfler gar nicht zu ihrem Lobe gezeigt haben, aber gezeigt haben sie sich! Ich habe meinem Ärger - denn Ärger hatte ich ein wenig, obschon ich im Grund nichts anderes erwartete, als was auch wirklich geschah, - in einem Gedicht Luft gemacht, das ich Dir gelegenheitlich mitteilen werde.

Die Nachricht der Zeitungen, daß jetzt in Österreich überall alles vom Landtag sich unterhalte, verdiente eine Berichtigung, denn der Bregenzerwald wird wohl auch zu diesem „überall" gehören, und hier hört man kein Wort davon. Letzthin sagte man in der Sennhütte: Die Malefiz Diontoschleakar hukod iz schu anderthalb Jaur z'Wien und hint nu subor nix usgmachot, äs a Gsetz, wau Geischlis und Weltlis dorweoder gsin ist und daß ma mehr Stur zahlo müoß. Mit dem Gsetz meinte man den Mühlfeldschen Entwurf. Von der „Glaubenseinheit" sagt unser Pfarrer kein Wort, auch der Bischöfliche Hirtenbrief ist nicht verlesen worden, denn es ist Grundsatz unseres Pfarrers, die Bauern, wo nicht gerade ganz von der Welt abzuschließen, ihnen doch jedes Mittel zu nehmen, das sie mit dieser bekannt machen könnte. Auffallend ist mir, daß er einige Nummern der Allgemeinen Zeitung behielt, bis sie so alt waren, daß er hoffte, ich werde sie nun nicht mehr lesen. Aber er hat sich geirrt! Jetzt hat er, der Pfarrer, Krieg mit den Kegelgräben, und da hat er ganz Recht, aber er wird sicher nicht viel ausrichten, da man ihn im Ganzen als Feind aller Vergnügungen betrachtet, und nicht ganz ohne Grund, er hat das Tanzen in Bauernhäusern und alle Unterhaltungen, denen sich früher hier die jungen Leute hingaben, unterdrückt, so viel ihm möglich war, das war die Ursache, daß in meinem Dorf in einem Jahr drei neue Kegelgräben entstanden und gewiß auch das nächste Jahr wieder stark besucht werden.

Von meiner zweiten literarischen Arbeit weiß ich Dir jetzt noch nichts mitzuteilen, als daß ich damit sehr langsam vorwärts komme, sonst lebe ich wie der „Mann, der Gott fürchtet", Psalm Davids 111. Auch mein Jakob nimmt täglich zu an Alter und Weisheit vor Gott und den Menschen. Soeben erhielt ich ein Schreiben von Jochum in Wien, er ist jetzt gesund und es geht ihm erträglich. Sonst weiß er nicht viel Wichtiges, und es geht auch mir nicht viel besser. Die gesamte Seelenzahl von Schoppernau ist 508, davon 254 männliche und 254 weibliche Individuen. Also kann unser Pfarrer, wie einst Joh. Josef Bischofsberge r, singen:

Alles, alles paaret sich als ich allein bleib' übrig.

Dem Gottfriedles Josef hat die Muttergottes zum Neujahr einen Buben gebracht. Soeben kommt das Wible wieder von Mellau. Es hat dort mit noch vierzehn Personen die Nacht gewacht, wie das bei den Toten der Brauch ist. Es erzählte, was es da hörte, und das war ein Unsinn, wie ich ihn wahrhaft noch nie hörte. Für jetzt will ich Dich damit verschonen, doch wirst Du etwas davon in meinem ,Dorf-Freimaurer' zu lesen bekommen. Deine Schwester Babol läßt Dich herzlich grüßen, so wie all die Deinen. Lebe wohl, lieber Kaspar, nicht Bürokrat, und vergiß nicht Deinen alten Freund

Franz Michel

N.S. Das verlangte Möttibrod will ich Dir für diesmal erlassen, wenn Du mir dafür bald eine Antwort auf diesen langweiligen Brief schickst.