AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
611
1. Oktober 1868

Lieber Freund

Ein Monat ist nun vorüber seit dem Traurigsten Tag, der trau­rigsten Zeit meines Lebens, das doch nicht arm war an innern und äußern Kämpfen. Es ist ein langer Monat gewesen Freund, aber doch nicht so, wie ichs mir hätte denken müssen, wenn ich überhaupt an so etwas einmal gedacht hätte. Aber das alles kam ja, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, ungerechnet und unbegründet. Ja ich hätt einmal mit allem hadern, von allem weglaufen mögen. Nanni starb so still weg, daß ichs lang nicht glauben konnte. Der Tod hatte ihrGesicht so schnell entstellt, daß man sie nicht mehr gekannt hätte nach wenigen Stunden und das war mir noch fast lieb. Ich schied leichter von ihrem Sarge.

Zur Beerdigung hatten sich trotz der drängenden Feldarbeit viele Theilnehmenden eingefunden. Es war einer jener tief­blauen Tage, denen die Selige so froh entgegenzujubeln pflegte. Während mehrere Priester in der Kirche sangen und Messen lasen für das Honorar von Reich und arm. (Nur wer unsere zusammen ausgestandene Noth kennt, kann sich die­sen Gedankengang erklären.), über das Nanni sich so sehr gefreut hatte, standen ich und Moosbrugger auf dem frischen Grab und weinten. Ich mußte an den sauern Weg bitterster Entbehrung denken, den sie mir fröhlich und vertrauensvoll herauf klimmen half. O wie wenig hatte ich ihr zu biethen vermocht für den stolzen Glauben, die feste Hoffnung auf mich. Wol konnte ich mir nichts vorwerfen. Wir haben uns keine einzige böse Minute gemacht, aber immer wars der Sporn meines Strebens gewesen, einmal mit ihr aus düsterer nebliger Tiefe heraus zu kommen in liechtere Höhen. Nun fehlte mir alle Lust zum Leben und Schaffen, es fehlte mir alles, alles. Mehr als mein Schwager hat mich der Anblick meiner Kinder getröstet. Gleich nach dem Gottesdienst gieng ich mit den Angehörigen Nannis nach Au. Im Rößle aßen wir Mittag, dann suchte ich mit Moosbrugger Mariannen auf. Eine wohlgesetzte Anrede vermochte ich nicht zu halten an das Mädchen, aber es versprach zu kommen und ist nun da und ich danke Gott daß es da ist.

Mit Hirzels Artikel in der Zürcher Zeitung hat mir derselbe einen herzlichen Brief und Scheffels Ekkehard zugeschickt, den mir dann Mariann sofort vorlas. Nächstens - sobald wir mit Lessings Nathan fertig sind, gehen wir an Reich und Arm. Mit meinen Erinnerungen (Selbstbiografie) hab ich angefan­gen, und zwar recht gründlich. Wenn ich meine Entwickelung und Verwickelung durchweg so gebe, wirds wol ein so um­fangreicher Band, wie Reich und Arm. Und doch glaub ich das zu sollen wenn ich überhaupt etwas geben will. Übrigens geht die Arbeit doch etwas langsam, wenns mir schon gerade nicht an Zeit fehlt. Ich werde wol nicht in einem Zuge fertig machen, denn hundert Gestalten und Bil­der drängen sich mir auf. Vergessene Freunde besuchen mich in meiner Einsamkeit und rufen allerlei wehmütige Stimmun­gen in mir wach, denen ich Gestalt und Form geben möchte. Gern will ich hören, was unterdessen Du und Flügel erlebt. Ich hab Euch in Gedanken begleitet. Laß mir ihn und alle grüßen, die sich mir freundschaftlich erwiesen, besonders die Deinigen, das Hinterhaus von A bis Z und den Klub. Kasinomitglied bin ich nicht und auch meine Freunde haben sich ganz nach meiner Weisung verhalten. Die Geschichte nimmt hier überhaupt - wie es scheint - in kurzer Zeit ein schäbiges Ende. Ich denke das Ganze gelegenheitlich in einem politischen Tagblatt zu schildern. Die Grenzbothen würdens schwerlich aufnehmen, obwol der Kasinoschwindel gerade für Euch da oben recht interessant sein müßte. Daß ich mir so eine Versammlung selber bei Liechte besah, kannst Du Dir noch eher denken als das Aufsehen vorstellen welches mein Erscheinen machte. Pfarrer Birnbaumer, der Gründer sah mit Zähneknirschen, wie meine frühern, von ihm übertölpelten Freunde sich um mich versammelten und in ihrer Unschuld mich mit drin haben wollten um jeden Preis, daß es doch ein wenig Leben gebe. Ich aber will der Sache kein Leben geben und vermeide daher jede Opposi­tion. Jetzt ist das überhaupt die Haltung der Freisinnigen bei uns. Auch die der Feldkircher Zeitung, die nun wieder einen besseren Leiter hat.

Wenn einmal dem Schillerverein gegenüber etwas geschieht, so sei so gut, es mir zu melden. Früher aber hoffe ich etwas von Deiner Zukunft zu hören. Vergnügungsreisende hielten die Unterstützung des Wörterbuchs für eine ausgemachte Sache. Schreib mir doch, wie es steht.

Es dunkelt, aber ich muß Dir doch noch sagen, daß - mich nun auch der Uhrenmacher verläßt. Er verdient hier nicht viel im Winter und zieht daher nächste Woche nach Alber­schwende. Er ist Vater geworden und sein wenige Tage nach Wibles Tod geborenes Kind heißt Nanni. Also wieder eine treue Seele weniger, dafür ! aber zählt sich das Dökterle zu aller Erstaunen wieder zu meinen Freunden und begegnet mir wirklich in der herzlichsten Weise.

Seine Schritte gegen mich und den ins Kasino nennt es öffent­lich Dummheiten eines gutmütigen Tröpfleins. Nun, das ist hier noch manchem so gegangen, aber das Dökterle hätte doch klüger sein sollen.

Dein letzter Brief sammt Beilage hat mich sehr gefreut. Ich will Dir Letztere bald übersenden. Könntest Du mir nicht meinen Grenzbothen-Artikel noch schaffen. Seyffertitz hat das letzte meiner Exemplare dem Minister Herbst gegeben, und sich einfach entschuldigt.

Mariann bittet, Dich grüßen zu lassen. Herzlichen Gruß auch von mir Dir, Deiner Frau und allen den unsern, Karl, Lipold. Lotze, Hirzel Thieme u a von Deinem

Franz M Felder.

Keine