AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
601
10. September 1868

Lieber guter Freund!

Ich hab einen großen Verlust erlitten. Furchtbar tief ist so eine Wunde und man empfindet sie wie einen Riß durch sein ganzes Wesen. Meine Freunde haben sich alle in rüh­render Besorgniß um den Trostlosen bemüht, die beste Trö­sterin aber war mir die Selige selbst. Ihr Hinscheiden ahnend verwies sie mich auf meine großen Aufgaben und versprach mir und den Kindern unser Schutzengel zu werden. O sie hält Wort! Immer mehr ists mir, ob sie mich umschwebe. Gott ladet keinem mehr auf, als er mit redlichem Willen tra­gen kann und schickt wieder gute Menschen, die uns an ihn glauben, ihm trauen lehren durch den Schatz von Liebe, den sie uns erschließen. Zu diesen gehörst auch Du, Du lieber guter Tröster. Für Deinen letzten Brief hätt ich Dich gleich umarmen und küssen mögen.

Doch Du wirst nun vor allem wissen wollen, wie es bei mir zu Hause stehe. Zwar fehlt das Wible, die Mutter überall, aber auch da haben Gott und gute Menschen geholfen, so gut es möglich war. In Au lebte ein Mädchen, das ich als Sonderling unter einer strengen Stiefmutter, einer Schwester meines Wible heranwachsen sah. Als mein Wible starb, war es unter meinen Freunden, auch der Adjunct war mit im Rath u das wieder bekehrte Dökterle - eine ausgemachte Sache, daß dieses Wesen am besten neben mich und zu mei­nen Kindern passen würde. Nur meine Kenntniß ihres guten Herzens und ihres bisher unbefriedigten Bildungsdrangs gab mir den Muth sie, die nicht zu dienen braucht, zu fragen, ob sie zu mir kommen, und einstweilen neben dem düstern Mann für seine Kinder sorgen wolle. Sie sagte mit bewun­dernswerthem Muth, daß wirs ja zusammen und nebenein­ander versuchen könnten. Schon am ändern Tag ist sie mit Ihrem Bündelein gekommen und ich kann Dir nicht sagen wie mir dabei zu Muthe gewesen ist. Sie hat ein Herz für die Kinder, die neben ihr nur selten der Mutter gedenken, und mir ist es ein Trost und Zeitvertreib geworden, der Lern­begierigen von unsern großen Männern zu erzählen oder etwas vorzulesen. Ich bin demütig und dankbar, daß Gott mir wieder so geholfen hat, daß ich auch wieder an die Zu­kunft zu denken wage. Dein Vorschlag, eine Biografie zu schreiben, kommt mir wie eine höhere Eingebung. Das ließ Gott Dich denken. Schon heut hab ich mich oft an dem Ge­danken erbaut. Etwas muß ich gleich nach dem Heuen an­fangen, und zu künstlichen Geweben fehlt mir die gehörige Spannkraft.

Die fragliche Stelle in Reich u Arm - ich habe den Brief erst jetzt erhalten weil auf der Adresse Vorarlberg fehlte - soll die Worte vor mir, nicht von mir enthalten.

Lebe recht wol, grüß mir Deine Frau und alle, wünsch Ihnen langes gesundes Leben zusammen und schreibe bald wieder

Deinem armen aber nicht verlassenen Freund

Franz M Felder

Deinen lieben Brief hat auch Mariann gelesen. Heut muß ich heuen, nächstens mehr.

Keine