AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
252
18. November 1866

Lieber Freund!

Es hat mich recht von Herzen gefreut, endlich doch wieder einmal ein Briefchen von Ihnen zu erhalten. Ja lieber ver­ehrter Freund lassen Sie es mich offen sagen Ihr Brief hätte mich gefreut, wenn er das von Ihnen besorgte Nein schon enthalten haben würde. Freilich wärs mir lieb gewesen, wenn meine Sonderlinge gleich bei Hirzel freundliche Aufnahme gefunden hätten. Das Werk ist zu sehr ein Stück von mir selbst, als daß mich sein Schicksal ganz gleichgültig lassen könnte. Für gewöhnlich gilt mir Klopstoks - sonst gerade nicht meines Lieblings Grundsatz: „Wer nicht fürchtet, nicht hofft, nur der ist glücklich", doch bin ich noch zu wenig Stoiker, um auch für meiner Kinder Schiksal gar nicht besorgt zu sein. Daß aber Herr Hirzel Pathenstelle vertretten werde, hab ich schon länger bezweifelt, denn mir ist doch die Welt nicht fremd genug, um nicht zu wissen, daß der Bauer fast überall Aristokraten findet, wo er anzuklopfen wagt. Dieses Gefühl lastet schwer auf dem Volke und ist vielleicht mit eine Ursache der gegenwärtigen traurigen Zeitverhältnisse, eine Ursache, daß die keinen festen Boden unter sich fühlen­den Abgeordneten so viele Fußtritte erhalten von aller Län­der Herren und hauptsächlich in Wien und Berlin. - Doch wohin komme ich? Die beiliegende Broschüre, ein Ruf aus Vorarlberg und aus - dem Bregenzerwald wird ihnen meinen Sprung erklären. Ich habe sie beigelegt als ein Zeichen des­sen, was sich hier zu regen beginnt. Hier scheine ich für den Verfasser zu gelten und ich darf meinem lieben Freunde wohl gestehen, daß mir die Sache nicht ganz fremd. Wenns mit Dichten nicht mehr gienge wenn man im Bäuerlichen, wie ich es zu geben vermag, das Menschliche nicht finden und lieben könnte, so würde ich mich wieder der Wirklichkeit zuwenden. Ich könnte eher noch doch an meiner dichteri­schen Begabung verzweifeln, als an mir selbst. Unthätig sein kann ich nicht und immer mehr macht mir der anfangs dan­kend abgelehnte Antrag eines meiner Freunde Kopfarbeit: Eine Bauernzeitung für Vorarlberg herauszugeben. Zwar weis ich nicht, ob und wie ich auf diesen Platz passen würde, aber ich würde lieber den Versuch wagen als müßig sein und mich, gar nicht rühren in einer so großen Zeit. Nehmen Sie diese Mittheilung für nichts als das was sie ist, einen Beweis meines gränzenlosen Vertrauens, die Bitte eines armen Freun­des um den Rath seines theuern Freundes. Hier hab ich noch keinem Menschen etwas von der Sache gesagt. Dem Freund, der so liebevoll sich meiner annahm, konnte ichs nicht ver­schweigen.

Dem Aufsatz für die Gartenlaube folgt hier die erwähnte Zeichnung. Den Beamten hab ich durchaus nicht gezeichnet um Theilnahme für ihn zu weken er ist nicht der Mann, mit dem man vom Volke reden könnte, was aus der Stilprobe am Schlüsse zu ersehen. Mein Freund, der Adjunkt, gab mir nach Lesung des Entwurfes das Zeugniß, den verknöcherten § § Helden ganz nach der Natur gezeichnet zu haben. Viel­leicht nimmt jetzt die als stockpreußisch verschriene Garten­laube Beiträge eines Österreichers nicht ungern auf und ich bitte daher, wenigstens einen Versuch zu machen. Den beiliegenden Brief können Sie Herrn Keil mit dem Auf­satz übergeben, wenn Sie ihn dazu geeignet halten. Sollten Sie den Aufsatz aber weder da, noch durch den erwähnten Freund verwerthen können, so machen Sie Sich darum ja nicht zu viele Mühen und Sorgen. Ich kann ihn ja später an den Redacteur der Neuen Freien Presse in Wien - einem Lands­mann - senden. Gegenwärtig beschäftigt mich die Errichtung einer Viehversicherungsgesellschaft zu deren Bevollmächtig­ten ich nach einstimmiger Annahme der von mir verfaßten Statuten ernannt wurde. Sie sehen, daß ich wenigstens die Anfeindungen der Römlinge nicht mehr zu fürchten brauche, da diese mir das mir immer mehr werdende Vertrauen mei­ner Landsleute kaum noch werden in Mißtrauen verwandeln können, wie das im letzten Winter geschehen sollte.

Mit Aufsätzen zur Veröffentlichung werde ich Sie nicht mehr belästigen, bis über das Schicksal der schon übersendeten entschieden ist was hoffentlich bald geschehen wird. Ich. bin, wie gesagt, auf eine abschlägige Antwort gefaßt und wünschte nur, daß diesem Zweifeln und Hoffen und Fürchten, diesem Zustande des Nichtswissens und Nichtsthuns bald ein Ende gemacht würde. Ja ich bin auf ein Nein gefaßt wenn Sie mir nur Ihre Freundschaft erhalten die ich schon früher den schönsten Lohn meines Strebens nannte. Ihr Verlust wäre das Ärgste was mich treffen könnte. In dem beiliegenden Verzeichniß hab ich die Blätter mit // bezeichnet welche ich vom 1 Oktober d J an durch Herrn Stettner in Lindau zu erhalten wünsche. Nur wegen der Zu­rüksendung wünschte ich Auskunft. Ich habe nicht immer gleich Zeit zum lesen und unsere Post ist jetzt eine wahre „Schneckenpost auf der es keinen Haber kost", lieber ältere Nummern senden und sie mir desto länger lassen wäre mein Wunsch. Das Geld werde ich nächstens, vielleicht in preu­ßischen Banknoten ? übersenden.

Die Rinderpest hat im Bregenzerwald kein Opfer gefordert, doch zur Zeit der Märkte allen Verkehr abschneidend, hat sie uns doch tausende von Gulden geschadet. Jetzt sind doch wieder alle Wege offen und wir müssen nun das unfreiwillig Versäumte wieder nachzuholen suchen. Die Allgäuer haben heuer ihr gutes Jahr, reiche Ernte und hohe Preise. Ich war vorige Woche, um mir doch auch einmal ein Ausflügchen zu machen auf dem Jahrmarkt in Lindau, wo es bei dem herr­lichsten Wetter merkwürdig zugieng. Die Stimmung des Vol­kes ist ziemlich preußisch, nur die bequemen Bürger fürch­ten die allgemeine Wehrpflicht und sie, die sonst dem Fort­schritt huldigen, fangen an, die gute alte Zeit zu lobpreisen. Einen eigenthümlichen Eindruck hat auf mich die Menge un­sicherer Existenzen (Sänger, Taschenspieler, Lärmer, Schwind­ler) gemacht. Der eigene Anblick wirkt doch ganz anders als das Lesen statistischer Tabellen, die nur die furchtbare Menge solcher Unglücklichen anzeigen.

Einen bessern und einen erstaunlichen Eindruck hat das Theater auf mich gemacht das ich da zum erstenmal im Le­ben gesehen habe. Zwar wollte mir das Spiel des ersten Lieb­habers, eines hiezu wol etwas zu alten Berliners ein wenig übertrieben vorkommen, doch hab ich einen der vergnüg­testen Abende meines Lebens gehabt und nur gewünscht, daß auch mein Wible, das schon so manches mit mir ertrug auch diesen Genuß hätte theilen können. Hier hat der Winter bereits begonnen und ich sitze wieder beim Schreibtisch. Es gibt nun wieder mehr freie Stunden was Sie schon der Länge meines heutigen Briefes angemerkt haben werden. Entschuldigen Sie mich, daß ich mich so oft und so lang an Sie wende. An wen sonst sollte ich mich wen­den? Auch das Vögelein, dem ich gestern Nußkerne vorwarf, kam heute wieder und ich hab es nicht abgewiesen. Auch Sie werden mich nicht abweisen, das weis ich und darum wag ichs immer wieder, Ihre theure Zeit in Anspruch zu nehmen. Mit tausend herzlichen Grüßen Ihr dankbarer Freund

Franz M Felder

Keine