VON ALBERT ILG AUS WIEN

lfndenr: 
396
28. Juli 1867

Euer Wohlgeboren!

Ebenso mächtig als die Freude und Überraschung, die E. W. Schreiben mir bereitete, mich zur schleunigsten Erwiederung antrieben, legten die Umstände dagegen ihr Veto ein. Die Hauptschuld an dieser scheinbaren Nachlässigkeit, - derent­halben ich sehr um Vergebung bitten muß, - trägt wol der Zufall, daß leider mancher Tag hinging, bis ich in Wien, - der Hauptstadt Wien! - des Werkes habhaft werden konnte, nach deßen Lesung ich durch Ihre so freundliche Andeutung noch mehr mich sente. So mußte es wirklich von Leipzig verschrie­ben werden und darüber verstrichen wieder manche Tage, ­als ob wir gar nicht im Jahrhundert der Eisenbahnen lebten. Ferner war und ist mir E. W. gegenwärtiger Aufenthalt unbe­kannt, ich vernam zwar aus dem Briefe den Entschluß der Rückkehr nach Schoppernau, doch wußt' ich nichts weiter, die Herren von Bergmann, Keßler nichts mehr als ich, auch die Vorarlberger Blätter schweigen schon seit geraumem. Als ich das Buch nun hatte, begann die Lecture mit großem Eifer, nun bin ich zwar am Ende, doch scheue ich mich war­lich mit einem Ausspruch darüber vor Jemanden zu treten, vollends vor den Dichter selbst. Denn ich weiß, daß jedes Werk mit einem solchen Satze nicht abzufertigen ist und nun besonders eines, das so eigentümlich in seiner Art, so ganz aus dem Genre des alltäglichen hervortritt! Betrachten daher E. W. was ich, - vorzüglich durch Ire ebenso schmeichel­hafte als unverdiente Aufforderung veranlaßt, - sage, als ganz bedeutungslose und vor allem ganz individuelle Äußerungen; ich würde aus eignem mich wie beim Nümmamüller so auch bei den Sonderlingen nie an ein beurteilendes Wort gewagt, sondern abermals mit dem Geständniße des Beifalls und Dan­kes begnügt haben, das der Zuhörer einem Erzähler macht, nie die Stellung des Critikers eingenommen haben. Und so mögen meine Worte trotz E. W. gütiger Ermunterung ja nicht wie ein Urteil klingen, das ich im allgemeinen über Ihr Werk ausspräche, sondern nur als einfache Wiedergabe deßen, was es in mir selbst wachgerufen hat.

Ich glaube, daß dem Werke: die Sonderlinge das richtigste Characteristikon gegeben ist, indem man einen Grundgedan­ken den der Versöhnung nennt u. dieß läßt sich durch die Darstellung, sowie durch das Dargestellte nachweisen. ­Schon im Nümmamüller trat es mir ziemlich klar entgegen, daß der Dichter auf eine wundervolle Weise Idealistisches und Realistisches zu verweben weiß, daß von diesem aus­gehend, vorwiegend sich mit ihm beschäftigend, er überall jenes mit seinen Sequenzen durchblicken und -leuchten läßt, das materielle aufs glücklichste zum Mittel der Idee und zwar der schönsten Idee zu machen versteht. Ich sah, wie der Ver­fasser dadurch den raschen Streit beider zu vermitteln weiß, wie er den leitenden Gedanken zum Siege führt und ebenda­durch das Werkzeug gleichsam mit dessen Widerschein ver­goldet. Und diese Art finde ich nun noch viel ausgesproche­ner im neuen Werke, hier haben wir es mit so vielfach mate­riellen Dingen und Tendenzen zu thuen, hier erwuchs in eini­gen Gemütern andrerseits wieder ein seltenes idealistisches Streben, aber es bricht sich zugleich im dritten Element Bahn und triumphirt endlich nicht blos, sondern es versöhnt u. heilt die Wunden. Der goldne Mittelweg ist nirgends besser gefeiert als in diesem Gemälde. Dieß die allgemeinen Umrisse.

Mit küner kraftvoller Hand hat der Dichter zwei Menschen­herzen gegenübergestellt wie zwei Pole der Gesinnungen, zwei feindliche Lager, - beide Kinder dieser, ihre Eigentüm­lichkeiten mehr als eine vorhergegangene auch auf den ein­zelnen ausdehnenden Epoche, - aber beide entschiedene Antagonisten. In Sepps Character hat das Unglück seiner Jugend durch Verbitterung den Grund gelegt, (eine weise Fürsorge des Dichters, denn manche Handlung des raschen Mannes erhält Gnade und Nachsicht durch die Erwägung die­ses), ein glücklicher Zufall brachte seinem offenen Sinn in der Fremde Nahrung u. Erleuchtung, wenngleich keine solche, die durch Regelmäßigkeit, weise Einteilung u. Anleitung sowie durch Gründlichkeit eine wahre genannt werden kann. Hätte er auch nicht besonders unter der Unzahl von Übeln gelitten, die teils angeborne Starrköpfigkeit u. Feindseligkeit gegen jede Abweichung vom alten schlichten, teils absichtliche Nie­derhaltung neuerer und freierer Bestrebungen von Seiten der Regierung u. Kirche in der schönen Heimat eingeführt u. angesiedelt hatten, - auch ohne diese wäre einem Sepp diese neue Welt nicht umsonst aufgetan worden sein, nun aber stürzt er sich um so rückhaltloser u. unbedenklicher in ihre Tiefe, eine Tiefe, wo zwar viele Perlen, aber daneben auch Moder u. Unrath genug liegen. Diese zu sondern hätte es eben eines Herzens bedurft, das nicht im vorhinein seines Unglük­kes gedenkend die alte Welt mit finstern Blicken nur betrach­tet. Mit diesem ungeordneten Wüste kehrt er heim zu den mehr als conservativen Wäldlern, in denen er- und das ist ein Characteristikon, - eine Heerde sieht, die seinen aus der Fremde mitgebrachten Ideen, weil sie die bessern sind, auch augenblicks und willenlos beinahe folgen soll. Er meint, das Gute gefunden zu haben und stellt sich damit nun auf einen isolirten Standpunct, zu welchem die bisher so ganz ent­gegengesetztgesinnten Landsleute wallfahrten sollen wie zu einem Wunderquell, es fällt ihm nicht ein, daß sie den alten Adam noch keineswegs ausgezogen, daß, wer in bekehren will, zuerst zu ihnen kommen müsse, wenn er das Ziel zu erreichen wünscht, wie Mahommed zum Berge ging als dieser nicht herbeigekommen. Er vergißt, daß die Menge selbst sich nie um ein Gut bestreben wird, sondern dieses sie gewinnen muß, er hält's nicht der Mühe wert, die Wesenheit der Men­schen mit allen Tugenden u. Schwächen kennenzulernen, damit er auf Grundlage dieser seine Reformpläne so gestalte wie sie die zu bekehrenden am leichtesten annämen, sanft u. unvermerkt durch einstweilige Schonung des veralteten, das allmälig nur dem neuen waren Lichte weicht. Und da er nun unverhofft Widerstand findet, wird er natürlich verbittert u. gereizt, rauh, beinahe mysanthropisch. Gute Absichten leiten ihn zwar aber nicht Milde, nicht Kenntnis der Menschen und ihrer Eigentümlichkeiten.

Wie so ganz anders, wie ebenso trefflich gezeichnet ist Barthle's Gestalt! Welch' vollendetes Bild des im letzten Grunde so achtenswerten Strebens, welches das alte, das seit der Wiege liebgewonnene heimische Wesen, wenn es auch zuweilen Besserungen erheischend und abgelebt scheint, mit den letzten Kräften zu wahren u. zu verteidigen sucht, nicht weil es absolut gut, sondern lieb und teuer, selbst als mangel­haftes teuer geworden ist! Wie trefflich ferner auch alle Aus­artungen, die sich an diesen Armen angesetzt haben, vom Fanatismus angefangen bis zur robusten Gewalttätigkeit gegen alles feindliche. Stünde dieses Wesen allein u. wenig beeinflußt vom Gang der Ereignisse da, - sie wäre schon unübertrefflich gegeben, nun aber erst, da so zalreiche u. gewaltige in jedem Augenblicke dasselbe in neue Lagen ver­setzen, wie schön ist die dem Character zu grund liegende Starrheit und Unduldsamkeit in Bezüge gebracht zum feind­lichen Neuerer, zum Freunde seines Hauses, zu den eigenen Kindern, zum allgemeinen Interesse! Sepp und Barthle stehen in den Tropenlande und am Eispol, dazwischen regt und erhebt sich eine reiche bunte Welt, aber das glückliche Land der gemässigten Zone liegt gerade in der rechten Mitte, da ist Glut und Küle heilbringend vereinigt. Sepp wie sein Sohn Franz, diese waren Sonderlinge, (welche sich nicht allein in Bezug auf das allgemein menschliche über das gewönliche erheben, sondern auch speziell über ihres Gleichen, sowohl durch Wissen als durch bewußtes Streben und Denken) ­beiüe wollen mit warmem Eifer die Triebe, welche bei ihnen nicht wie bei den übrigen frühzeitig erstickt worden, zu deren Wole entwickeln, aber gewaltig weicht Franz vom Vater ab, nicht von Ursprung an aber im Verlauf seiner Entwicklung. ­Und somit sind wir bei der Hauptsache angelangt, hier überzeugen wir uns vollends von der ganzen Kraft der Darstellung. Geschickt ist das geistige Leben Franzens wärend jener ersten Jugendzeit, weil er in dieser ganz das Bild des Vaters im klei­nen ist, durch die zu Anfang diesem ausschließlich gewidmete Sorgfalt u. ausführliche Schilderung gleichzeitig geschildert. Auf in hat Sepp alle Hoffnungen gesetzt, er soll vollenden, ­was dem Vater wie er glaubt nur durch die Schuld der zu bekehrenden, mißlungen. Und anfangs scheint auch Franz gänzlich diesen Hoffnungen zu entsprechen: unduldsam u. anmaßend wie Sepp wird er nach den gleichen Erfahrungen „Sonderling", weiß nur aus seinen Büchern zu sprechen und verspottet so manches, was den ändern achtenswert. Nur vor­übergehend gedenke ich, wie unendlich mildernd in diese sie den Menschen entfremdenden, traurigen Verirrungen die edle Mutter wie ein sanfter Engel eingreift, wie sie des Weibes Mission auf Erden so herrlich erfüllt, das feindselige Verhält­nis beider Teuern zur Außenwelt und sie selbst wieder um­faßend mit der heißesten Liebe der Gattin und Mutter, Ver­söhnung stiften wollend zwischen allen Conflicten. - Franz strebt wie der Vater nach einem fremden Werte, dessen Seg­nungen er später in einen Baum einimpfen will, ohne die Wesenheit dieses nur im mindesten zu erforschen. Ja, er liebt sogar oder vielmer er glaubt zu lieben, dem Mädchen so fremd, so kalt, so anmaßend gegenüberstehend wie allen ändern, von denen er meint, sie sollten entzückt in seiner Weisheitssphäre sich bewegen. Daher kömmt er ihr nicht ent­gegen, lebt, - wie so viele für immer - in dem thörichten Wahn, sie müsse um ihn, den sie weit überragenden werben, nicht umgekehrt; was sich selbst noch bei seiner Heimkehr von der Alpe kundgibt. Aber er ist ausersehen zum Heile, zur Versöhnung und dazu dienen wieder zwei gewaltige Mittel. In seinem innern schlafen die uns warsten Gefühle u. Regun­gen, doch bedarf es eines Zaubertones, sie wachzurufen. Ein echter Sohn der Berge, der Prototyp des Gebirgsmenschen, treuherzig, schlicht u. offen, ehrlich und gradeaus, tritt ihm entgegen, der Senn. Der hält innigliebend fest an dem hergebrachten heimischen, zwar nicht verschlossen für neues war­haft gutes, aber das dem Menschen teure will er gewaret wis­sen, weil nichts ganz schlecht ist, selbst im Aberglauben liegt oft ein verborgner aber großer moralischer Wert. Vorzüglich weist er den Reformator darauf hin, daß man vorerst die Men­schen erforschen müsse, ehe man sie zum bessern führen will u. an seiner Hand tritt Franz aus der starren blütenlosen Welt seiner Bücherweisheit, die ihn feindlich gegen die Menschen gemacht, in die Welt der Erfahrung, des frischen Selbstken­nenlernens derselben. Er begreift allmalig, daß die Menschen Anspruch darauf haben, daß man um sie sich kümmere, selbst wenn man sie nicht reformiren will u. das entscheidet, von nun an wird er selbst reformirt. Was des Sennen freundschaft­liches, väterliches Sorgen eingeleitet, vollendet die Allvollen­derin, nun erst liebt der Jüngling wirklich, vorher hat er sich beinahe nur einem hergebrachten Brauche nach selbst damit getäuscht.

Mit Schrecken geware ich, wie breit ich geworden bin, wie lästig ich E. W. gefallen sein muß, darum nur noch weniges mehr. Ich ließ mich so sehr gehen, u. E. W. deutlicher zu zei­gen, ob u. wie ich Ihr schönes Werk verstanden, indeß ich fürchte gewaltig trotz alledem! - Selten hat mich die Darstel­lung eines weiblichen Wesens so lieblich angemutet als die Mariannens, das ist das holdseligste Bild einer stillen süßen Mädchenblüte! Was soll ich sagen von den herrlichen Scenen im Walde beim Brombeersuchen u. am Fenster Mariannens? Ich stelle sie den schönsten Schilderungen der Augenblicke, in denen die Liebe im Herzen keimt, zur Seite. Kurz: jede Per­son, und sei es die unbedeutendste, das Weberle u. Hans­michel so gut wie Sepp u. Franz u. Marianne selbst sind keine allgemeinen nebensächlichen Romanfiguren zur Ausfüllung, jeder ist ein ausgeprägter, ganz entschiedener u. bis in's feinste dargelegter Character, ein selbständig Interesse er­regendes Ganzes; die große Anzahl solcher bietet daher Abstufungen aller möglichen Färbungen von den drei bewun­dernswerten Frauenbildern: Marianne, Maria u. das zarte Röschen jenem kalten Verstandesmenschen, dem Doctor, dem engherzigen Pfarrer, dem schwachen, im Grunde nicht schlechten Klausmelker bis zu den mannigfachen Typen der hartköpfigen Bauern, - es ist ein Mosaique von lauter schö­nen Gebilden, die vollkommen harmonirend den prächtigsten Gesammteindruck darbieten. Durch die ganze Folge der Ereignisse, die wachsende Erbitterung der Gemüter, geht es wie schwüler Wetterwind und wie die feindlichen bis zum äußersten erregten Gewalten ausbrechen, - das ist meister­haft, psychologisch vollkommen war gefolgert, das Ende war­haft dramatisch und alle Charactere erscheinen nochmals im Vollglanze ihrer Kraft und Schönheit bei der Catastrophe, nach deren letztem Donner ein milder Abend des Friedens u. der Versöhnung hereindämmert.

Gerne will ich glauben, daß das materialistische Volk von heute manches gegen die Dichtung einzuwenden haben wird, daß man von Versetzung des wirklichen in einen geträumten Zustand schwatzen wird; - wie's ja gewöhnlich geht, wenn sie sich nicht so jämmerlich im Buche wiederfinden als sie im Leben sind, - die weitausgrößere Zahl der Leser aber wird sicherlich anders denken und nicht nur in den Sonderlingen einen mächtigen Fortschritt gewaren, sondern überhaupt die­ßes Werk auf dem Gebiete der Dorfgeschichte, des Lebensbil­des, eine That nennen, diese waren, entschiedenen Character­schilderungen und ebenso natürlichen Verschlingungen ihrer Schicksale als Merkmale einer mehr als gewöhnlichen Erzäh­lung anerkennen.

Mit der Furcht, allzulästig geworden zu sein, schließe ich mit diesen, wie das meiste von heute aus meinen über Ihr Werk gemachten Notizen genommenen Worten, aber ich kann nicht unterlassen zu gestehen, daß jeder Gedanke an dasselbe neue in mir hervorbringt. Ich kann nicht hoffen, die Meinung des Dichters mit meinen Ansichten über sein Werk getroffen zu haben, sollte ich jedoch im Gegenteil allzuwenig dieselbe erreicht haben, so würde mich nichts mehr erfreuen als eine kurze Unterweisung und Belehrung. Ich will nun auch unter ändern die Urteile sammeln, und ist etwas bemerkenswertes dabei, so erlaube ich mir wol ein andermal davon zu berich­ten. Nachrichten von E. W. Aufenthalt und den übrigen äußern Umständen wären mit mir zugleich allen Ihren Freun­den u. Bekannten in Wien erwünscht und so ein Schreiben gar willkommen. -

Indem ich E. W. nochmals um Entschuldigung ob meines ungebührlich langen Geschreibsels ersuche und um die Erhal­tung Ihres so werten Wolwollens bitte, empfehle ich mich hochachtungsvoll als Ihr von Herzen dankbarer

Albert l Ig

Keine