VON ANTON JÄGER AUS MAFFERSDORF/BÖHMEN

lfndenr: 
419
1. Oktober 1867

Sehr geehrter Herr!

Beinahe hatte ich schon darauf verzichtet, auf meine unbe­kannter Weise an Sie gerichtete Zuschrift eine Antwort zu erhalten, und würde, um nicht aufdringlich zu erscheinen, dieselbe nicht wiederholt haben. Um so größer war meine Freude, als ich unverhofft Ihren Brief vom 4. Okt. erhielt. Der­selbe eröffnet mir die erwünschte Aussicht, zu Ihnen in nähere Beziehung treten zu können, und ich halte die unbe­stimmte Hoffnung fest, Sie einmal persönlich kennen zu lernen.

Man ist hier sehr in Ungewißheit und trägt sich mit verschie­denen Meinungen über Ihre Person. Manche wollen es nicht recht glauben, daß Sie ein gewöhnlicher Bauer, oder Mann aus dem Volke sind; sie meinen, daß Sie wohl ein studirter Bauer sein würden, d. h. einer, der auf Hochschulen gewesen ist. - Von Ihrem Aufsatze in den Grenzboten hörte ich bereits sprechen, konnte ihn aber noch nicht zum Lesen erhalten, da die Grenzboten in ganz Reichenberg (obschon es nicht weit von der Grenze liegt), nicht gehalten werden. Auch eine ver­suchte Bestellung des betreffenden Heftes im buchhändleri­schem Wege mißlang mir. - Wie ich hörte, erwähnen Sie in Ihrer Selbstbiographie Meyers Groschenbibliothek als eines Bildungsmittels, wodurch Ihnen die Geistesschätze der deut­schen Klassiker bekannt und zugänglich wurden. Nun, da sind wir auf einerlei Wegen gewandelt; auch ich fand in dieser Sammlung viel Schönes, was mir früher unbekannt war, und außerdem vielleicht bis heute geblieben wäre. In meinem Leben vergesse ich nicht die Hochgenüsse, welche mir Musäus, Wieland, Herder, Mendelssohn u. A. in diesen klei­nen Bändchen gewährten, von denen ich bei allen Ausgängen immer eines in der Tasche hatte.

Sie haben eine schöne Laufbahn vor sich, Sie werden ein Schriftsteller; ich, um 20 Jahr älter, werde es nimmer. Auch ich bin nicht arm an Ideen und an Phantasie, aber mein Talent ist viel geringer. Auch nehmen meine Alltagsgeschäfte fast meine ganze Zeit in Anspruch, da ich nebst meiner Mühle eine kleine Bergwirthschaft besitze, welche 6 Kühe nährt, und auch einen Handel betreibe. Hiedurch stelle ich mich unab­hängig.

Meine Dorfchronik ist die Frucht Sjähriger Mühe, meistens in den Nachtstunden, die ich allein dazu verwenden konnte. Was ich ferner zu schreiben gedenke, ist meist für die eigene Familie und die nächsten Freunde berechnet. Im Sommer des vorigen Jahres schrieb ich meine Erlebnisse in der preuß. Invasionszeit auf; die Schrift ist aber so sehr gegen die (preu­ßenfeindliche) Strömung gerichtet, daß an eine Veröffent­lichung nicht gedacht werden kann. Später begann ich meine Bildungsgeschichte zu schreiben, mit welcher ich mich schon lange Jahre herumtrage, ich mußte sie aber Geschäfte halber schon Monate lang liegen lassen.

Entschuldigen Sie gütigst, daß ich mir die Freiheit nahm, Sie mit diesen meinen Angelegenheiten zu behelligen, und Ihnen also unaufgefordert ein Stück meiner selbst zu zeigen. Es geschah in der Hoffnung, auch von Ihnen mehr zu erfahren.

Ich möchte Sie nicht um Ihre kostbare Zeit bringen; doch ist es Ihnen wieder einmal möglich, die Zeit zu einem Briefe an mich zu erübrigen, so würden Sie dadurch sehr erfreuen Ihren achtungsvoll ergebenen

A. Jäger

Keine