VON JOHANN JOSEF FELDER AUS BERN

lfndenr: 
9
Fehlt
2. Februar 1858

Freund!

Schon längst hatte ich die Absicht Dir zu schreiben, aber immer riefen Zeit u. Geschäfte mich in den Musestunden wo anders hin. Heute nun plagt mich Mißmuth u. langweile, auf meinem Zimmer herum wie der Wind ein Laubblatt. Denn Ich habe seit ein paar Tagen wieder, wie im Frühjahr, am Backen eine Geschwulst, Beschert vom laufe des Schicksals erhalten, welche mich geradezu noch arbeitsunfähig macht. Im übrigen lebe ich so, wie ein Tauber u. Stummer unter dem Gewimmel von Menschen. Alles was hir Ergözendes vorfält fahrt an mir vorbei, wie ein Dampfroß. Und so bin ich mir ganz aleinig überlaßen. Ich lese od. Sinne u. denke in meinen Feierstun­den, gar verschiedenes, u. so schwebe ich immer auf dem großen Erdball u. im Geisterreich herum, ohne je mein Zil zu erreichen.

Das größte Vergnügen bietet mir der Verein Teutscher Hand­werker. Du verstehst vileicht diese Worte nicht im wahren Sinne. Der Verein besteht aus lauter Lieberalen Mitgliedern. Aristockraten, wie sie Gott seis geklagt, der Bregenzerwald häufig hat, sind hir nicht zu finden. Außerdem besitzt der Verein eine Bibliotheke von 180 Bänden, 4 Politische Tag­blätter Gesangstunde, Diskusionsstunde, u. Zeichnungs­stunde. Am meisten stecke ich in der Bibliotheke, denn solche Lieberale Werke wie sie hat, sind im Lande der Aristokraten selten. Da kannst Du Dier gut einbilden, daß ich wenig her­umlauffe. Übrigens gefält meinen Philosofischen Betrachtun­gen das Statleben gar nicht, denn es ist erstens überall belauscht 2ten Enge zusammen gedrückt 3t Drückt der Stolz u. Hoffart der Grossen die Kleinen ganz zu Boden u. zudem gelten unter der großen Menge der Einwohner die Gesetze der Natur u. Moral sozusagen gar nichts. Ich habe an ver­schiedenen Orten die Erfahrung gemacht, daß die Beste von Religion nicht im Stande ist zu leisten, was Natur u. Moral zu leisten fähig sind. Das andere in diesem Satze überlege selber. Übrigens wil ich Dier als einem Jugendfreund keine villeicht nie gedachte u. überlegte finten in Kopf jagen, nur wünsche ich sehr, daß Du nie den Bau der Aristokraten, dieser Weltver­dummer u. Lügner betretest, sondern als ein an Geist u. Leben selbständiges Wesen leuchtest. Der Druck der Pietisten u. Jesuwitten soll Dir gleichgültig erscheinen u. nur dann Umarme ich Dich bei meiner Ankunft als mein wahrer Bruder u. nicht als Freund.

Von Meinem Teuersten Vatter habe ich von meinen Letzten Schreiben vor 6 Wochen noch keine Antwort erhalten warte daher noch immer auf solche.

Bern verlaße ich diesen Herbst mag gehen wie es will gets nicht in Frankreich so gehe ich wo mich der Wunder hin­treibt.

Ich schließe nun es ist 3V2 Uhr ich muß noch Blutigel aufset­zen lassen, o wenn es nur schon geschehen währe. Schreibe mir so bald möglich wie es in unserem Fammilienleben zu u. herget grüße meine Schwester Tausendmal so auch meinen Vatter u. bekannte Basen deren ich unzählige besitze. Auch einen Gruß der Freundschaft u. Liebe Deiner Werthen Mutter, die ich weis es für mich mehr besorgt ist als ich selber. Grüße mir auch den Xafer Simma Schuster, u. sage ihm ich hätte eine gründliche Stifel-Reperatur notwendig. Mit

Allen mit Bruder Gruß u. Handschlag Joh. Jos. Felder Uhrenmacher

in der Telegrafenwerkstätte in Bern a Suis Hiezu Anleitung zum Bern Teutschlernen