VON LORENZ MAYER AUS WIEN

lfndenr: 
362
17. Juni 1867

Lieber Freund!

Ich habe wegen einer Interpellation in Ihrer Angelegenheit den Seiffertitz u. Froschauer gesprochen. Froschauer sagt mir, daß eine Verzögerung von 3 Wochen etwas nicht Ungewöhn­liches bei Gerichte sei, u. falls die Zögerung länger andauere, müßten Sie sich erst an die 2.te Instanz wenden, (nach Inns­bruck), u. von da an die 3.te. Er würde, wie die Sache jetzt liege, nicht einmal die für eine Interpellation nöthigen Unter­schriften (20) erhalten können. Es muß also dieser Weg aufgegeben werden, obgleich ich von den Gründen unserer Abge­ordneten noch nicht ganz überzeugt bin. Als das Geeignetste, was jetzt zu thun, ist der Weg der Presse. Ich werde somit mit dem Redakteur der Fr. Presse sprechen, daß er mir die Spalten seines Blattes öffnet, um Ihre Angele­genheit öffentlich zu besprechen. Heute erhielt ich einen Brief von Ihrem Schwager, worin er mir anzeigt, daß gerade Gefahr für Ihre Person nicht mehr existire. Wenn dieses rich­tig ist, so brauchen Sie gerade keine Furcht zu haben, daß Ihnen das Recht vorenthalten werde. Häufige Mahnungen in den Zeitungen werden die Gerichte schließlich doch zum Handeln nöthigen. Daß Ihr dichterisches Zartgefühl durch das erlittene Unrecht sich sehr verletzt fühlt, finde ich begreiflich. Wenn Sie jedoch bedenken, daß nur die geistige Verkümme­rung Ihrer Gegner, woran selbe nicht einmal Schuld tragen, die Ursache solcher mittelalterlichen Handlungsweise ist, so muß sich Ihr Herz doch auch besänftigen. Ich persönlich wurde von der Dummheit auch oft verkannt, u. verläumdet, u. es hat mich das nicht einmal auf die Dauer bitter stimmen können. Jedoch ich will nicht zum Moralprediger werden; Ihre Sonderlinge beweisen mir, daß Sie darin ebenso gut wie ich wenn nicht besser bewandert sind. Am meisten würde ich es bedauern, wenn Sie unser Ländchen verlassen würden, weil dadurch ein geistiger Kämpfer für Freiheit u. Recht ver­loren ginge. Unser Lädchen bedarf noch vieler Arbeit, um definitiv aus dem Mittelalter herauszukommen, u. nicht min­dere Anstrengung wird es kosten, die tyrannische Herrschaft des Kapitels zu brechen. Weil ich gerade auf diesen Gegen­stand gerathe, bemerke ich Ihnen, daß ich mit dem Vor­schlage des allgemeinen Stimmrechts von Seite Ihres Schwa­gers nicht einverstanden bin. Das würde für unser Ländchen die Herrschaft des Klerus bedeuten, u. die Frage des Unter­richts würde hiemit ewig unerledigt bleiben. Von der Bour­geoisie können wir aber erwarten, daß sie in dieser Frage energisch auftreten werde, weil deren Erledigung im eigenen Interesse derselben liegt.

Man darf in der Politik die faktischen Verhältnisse nie außer Acht lassen.  Nach  gründlicher Lösung der Unterrichtsfrage kann  das  allgemeine Stimmrecht zur  Lösung der sozialen Frage natürlich nicht entbehrt werden. Mit Gruß u. Handschlag Ihr Ergebenster

L. Mayer

Keine