VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
531
11. Mai 1868

Lieber ferner und doch so naher Freund, Auch heute nur in Eile und Kürze, weil in die Arbeit hinein, die Meldung daß Dein Paket mit Reich und Arm gestern richtig eingegangen ist, am schönsten Maitage der in unserm Klima möglich ist; ich habe unter blühenden Bäumen und laubgrünem Dache im Garten darin gelesen und mich an dem ersten Cap. geweidet, das mir in seiner ersten Hälfte neu war. Da ist Leben und Bewegung neben der Tiefe, an der Dirs nie fehlt. Aber freilich nachher und im 2. Cap. kommst Du doch wieder auf Dein Ausspinnen von Zustän­den, die uns hier nicht gewichtig genug erscheinen - Du mußt größere, schwerere Stoffe nehmen lernen, da wird Deine Fertigkeit des correcten Ausspinnens erst zu ihrer rechten Wirkung kommen. Ich sehne mich, mit Dir darüber mög­lichst eingehend zu reden und freue mich lebhaft, daß Du entschlossen bist zu kommen. In spätestens vier Wochen, viel­leicht früher, sind wir also wieder beisammen auf freiem Boden unter unserm großen blauen Himmel bei Kunst und Wissenschaft und Freundesgespräch - da wollen wir alles nachholen wozu wir vorm Jahre nicht gekommen sind. Ich rechne darauf, daß wir beide da mehr zusammen sind als es damals möglich war; meine nächsten Freunde werden uns darin eher fördern als stören, sie freuen sich schon alle drauf. Das soll ein Leben werden, daß sich der liebe Gott im Him­mel darüber freut!

Wann Du kommst, mußt Du mir aber möglichst genau mel­den, schon damit wir Dich am Bahnhof empfangen können; zur Noth könntest Du, wie ich damals, noch von Reichenbach aus telegraphieren lassen. Das Wetter ist jetzt herrlich bei uns, den Winter haben wir schon längst vergessen, unsere Gärten und Wälder stehn in voller Frühlingspracht. Reich und Arm wollen wir nächsten Mittwoch im Club kosten. Ich muß es doch erst ganz durchlesen, ehe ichs an Hirzeln abgebe; er äußerte das selbst. Auch mein Bleistift wird wol wieder mit thätig sein müssen. Prächtig aber dächte ich mirs, wenn wir es mit Dir zusammen wenigstens theil­weis durchgehen könnten.

Von welchem Gartenlaubenartikel sprichst Du, den ich er­halten hätte? Ich weiß nur von dem Aufsatze über Dich in der Ostreich. Gartenlaube, meinst Du den? es scheint doch nicht so. Hast Du etwas für Keil geschrieben? An den Hol­länder zu schreiben hab ich leider noch nicht Zeit gefunden, es warten wieder mal ein ganz Dutzend Briefschulden auf mich! Aber sicher in den nächsten Tagen. Grüß mir die Deinen und Feuerstein und die gute Rößle­wirthin, es freut mich so, daß Ihr mich ein bischen im Her­zen behalten habt; ach wie gern war ich wieder einmal bei Euch. Na, wir zwei haben uns doch bald wieder. Mit Grüßen vom Club und vom Hinterhause

Dein R. Hildebrand.

Die Hauptsache hält ich bald vergessen: Glück zum 29. Ge­burtstage, an dem Du nach meiner Berechnung den Brief erhalten solltest.

Keine