VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
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1. März 1868

Lieber Freund,

Da mein Briefpapier eben ausgegangen ist, mußt Du einmal mit einem groben Briefbogen fürlieb nehmen; aber ich muß Dir schreiben. Die Feinheit des Inhalts und Stils soll die Grobheit des Papiers ausgleichen.

Vor allen Dingen meinen, unsern Glückwunsch zu Deinem, zu Euerm Siege. Herr Gemeinderath, das klingt! noch besser als Hr. Doctor - doch den hast Du ja schon - also Herr Ge­meinderath Dr. Felder, reisender Wahlcommissär wenns noth thut, sonst Inhaber und Stifter einer Lesebibliothek wie auch einer Viehversicherungs- und Käsehändlergenossen­schaft, Verfasser der Sonderlinge usw., Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften usw. usw., was tausend, Du hasts schon weit gebracht als Bauer! Ich muß nur nächstens wieder einen Gartenlaubenartikel über Dich schreiben. Doch Spaß bei Seite. Es war freilich nur halb Spaß oder ein Viertel, ich weiß aber nicht was ich heut für ein Schwätzer bin - ich freue mich wieder einmal in voller Freude wenn ich an Dich denke, daher wol das Schwatzen und der Spaß. Lachst Du denn auch? Du sagtest mir einmal dort, Du hättest seit ein paar Jahren nicht so viel gelacht als in der Zeit da Du mit mir zusammen warst. Das schmeichelte mir, weil ich sonst auch für einen furchtbar ernsten Menschen gelte (bin ich doch schon Menschenfresser genannt worden). Nun mußt Du aber auch viel lachen wenn ich nicht dabei bin, nicht immer so einerlei sehen.

Aber ich schwatze schon wieder, und wollte Dir doch von Wichtigem erzählen. Also am Donnerstag erhielt ich aus Hol­land das Heft einer holländischen Zeitschrift etwa in der Art der Grenzboten, das Januarheft v.J. 1868, worin ein langer Aufsatz mit der Überschrift: Franz Michael Felder. Da erzählt ein Holländer, Namens Muller, seinen Landsleuten von Dir und Deinen Sonderlingen mit einer Ausführlichkeit und einer Wärme wie es noch nicht zu lesen gewesen ist. Voraus eine Geschichte Deiner Entwickelung, nach der Gartenlaube, mit Einflechten von Zügen aus der Entwickelung Deines Franz Sepp, wie er ihn nennt, mit eigner Ausmalung in novel­lenartiger Breite, nicht ohne kleine Mißverständnisse, aber im Ganzen überraschend richtig und vor allem mit einer stil­len Begeisterung die mir bei einem Holländer doppelt über­raschend ist. Während z. B. die deutschen Besprechungen alle nur von Dir als Schriftsteller sprachen, legt er das Haupt­gewicht auf die merkwürdige Vereinigung von Bauer und Dichter und anderseits von Dichter und Volksreformer in Dir. Dabei hat er keine Ahnung, daß er es mit einem Katholiken, Du mit einem kathol. Geistlichen zu thun hast; wenigstens erwähnt er kein Wort davon. Ich fühle mich verpflichtet, dem Manne meinen Dank auszusprechen und werde das auch in Deinem Namen thun. Schade daß Du das Holländisch schwer­lich verstehen würdest, wenn Du es auch zu lesen versuch­test; aber einmal zuschicken muß ich Dirs doch, oder wenn Du herkommst, Dirs vorübersetzen. Ich weiß nicht genau, wem eigentlich das Exemplar bestimmt ist, ob Dir oder mir; ich kanns bei Hirzel erfahrn, der auch eins erhalten hat und sehr erfeut darüber war. Von den Sonderlingen gibt der Holländer eine kurze Skizze ungefähr bis in die Mitte des ersten Theils, bricht aber dann ab, um den angeregten Appe­tit der Leser sich am Buche selbst stillen zu lassen; daher jedenfalls rührten die erwähnten Bestellungen Deines Ro­mans aus Holland. Die Grundgedanken des Buches hat er, zum Theil wenigstens, mit Klarheit und Wärme erfaßt, wie ganz anders als die meisten Landsleute die Dich besprochen haben! Er übersetzt auch einige Stellen, z. B. was Mari über Franzens Jodeln sagt auf dem Wege zum Vorsaß, es nimmt sich wunderlich und doch allerliebst aus in holländischem Gewände. Leider kann ich Dir heute nichts ausschreiben aus dem merkwürdigen Aufsatze, weil Flügel ihn mitgenommen hat, aber das nächste Mal. Am Dienstag werde ich dem Club darüber Mittheilung machen, der Dich herzlich grüßen läßt und mit alter Wärme an Dir festhält; wir tagen nämlich oder abenden vielmehr jetzt auch Dienstags außer Mittwochs, doch ist letzteres noch der Hauptabend. Nächstens, d. h. am Sonnabend, wird ein Stiftungsfest des Clubs begangen, im Schützenhause, der Feuereifer besonders der studentischen Jugend hat das zu Stande gebracht, und mir ist es recht; sie werden auch ein Drama aufführen, das Lippold als Fest­drama gedichtet hat (ich soll zwar nichts davon wissen, weiß es aber doch), Du kommst sicher auch drin vor. Ach könntest Du doch dabei sein!! Wir haben auch auswärtige Mitglieder und Freunde dazu eingeladen, wie Lucae, Köhler, Bech (er­innerst Du Dich derer noch? Bech wars der Dich küßte beim Abschied in Weißenfels) - aber Du wohnst ja gar zu weit. Doch daß Du diesen Sommer wieder herkommst, darauf rechnet außer mir auch der Club, und was die Reisekosten betrifft, so gilt was ich Dir in den letzten Tagen Deines ersten Besuchs hier sagte, die tragen mit Deiner Erlaubniß Deine hiesigen Freunde, das ist schon ausgemacht. Daß Hirzel auch Arm und Reich drucken wird, ist mir nicht zweifelhaft, er that auch dieser Tage eine gemüthliche Äußerung, die nicht anders zu verstehen war. Wie weit bist Du denn? im zweiten Theile? Ich möchte schon einmal etwas sehen davon, Du kannst ja jetzt bis zu 15 Loth in Briefform für 10 Kr. verschik­ken, weißt Du das? Schick mir doch einmal die erste Lage oder so. - Die Briefe von Seifertitz sind mir sehr interessant, laß mir sie noch bis zum nächsten Briefe. Aber wieder ein­mal ein Pessimist in einem tüchtigen Menschen! s ist ein Elend! Und des Barons Glaube an die Menschen scheint recht tief zerfressen! Du lieber Gott, er wars bei mir auch einst, tief, tief; aber ich hab alles ausgeschieden, nicht durch Philo­sophie, sondern durch Erfahrung, nur Göthe hat mir dabei geholfen. Der Glaube an die Menschheit ist eigentlich unsere wahre Religion, wenigstens zu drei Viertel, er fällt mit dem Glauben an Gott eigentlich fast zusammen, verstehst Du das so ohne weiteres und gibst es zu? ­Viel könnt ich Dir von unserm Carneval erzählen, der da wie vom Rhein oder aus Italien zu uns herein geschneit war nach dem nüchternen Norddeutschland. Der großartige Zug am Montag, gegen eine Stunde lang, mit Pracht und Witz in Ernst und Scherz, das Maskentreiben auf den Straßen, die Tausende von Menschen - das hättest Du sehen sollen! Ich dachte lebhaft an Dich. Auch ich hab am Montag Abend in der Sinecura eine Narrenkappe aufgehabt, denke Dir! Doch das Papier wird alle, also bis aufs nächste Mal herzlich grüßend

Dein R. Hildebrand.

PS. Wie steht es mit der fehlenden Nummer des Auslands? Wenn Du Nachricht aus Lindau hast, melde mirs doch und die Nummer noch einmal, daß wir sie dann hier besorgen.­Ich schicke Dir vom Carneval doch einen Bissen mit, es wird Euch vielleicht ergötzen, Du mußt mir aber die Nummer wiederschicken gelegentlich. -

Bei uns grünen die Ziersträucher bereits auf den Promenaden und die Amsel schlägt.

Keine