FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
105
1. Januar 1864

Geliebter Freund!

Auf meinen letzten Brief habe ich keine Antwort erhalten, aber keine Antwort ist zuweilen auch eine, und ich verstehe sie, und will daher über mein letztes etwas sonderbares Schreiben nichts mehr sagen. Nur erlaube mir, Dir, meinem einzigen Vertrauten, meine damalige Stimmung zu schildern und die Ursachen anzugeben, die sie hervorriefen. Im letzten Herbst arbeitete ich in Hinterhopfreben neben einem gewissen Rüscher, er ist um sechs Jahre älter, um 50 Pfund schwerer und eine halbe Pferdekraft stärker als ich. Dieser ist arm und hat vor etwa sechs Jahren ein armes Mädchen geheiratet, aber es geht ihm verhältnismäßig viel besser als mir, er kann arbeiten wie ein Pferd, überall hat man ihn gern, denn er ist stark und dumm, also ein guter und folgsamer Arbeiter. Daheim hat er ebenfalls mehr Glück als Verstand, kurz, wenn es ihm noch zehn Jahre so vorwärts geht, wird er einer der Wohlhabenden. Ich bin gewiß nicht der, welcher einem Menschen sein Glück mißgönnt; aber gern hätte ich's, wenn's auch mir gut ginge und ich wenig­stens nicht gerade mit der Not zu kämpfen hätte. Ich mußte mir gestehen und gestand mir: Dieser Rüscher, den alles für einen Esel hält, bringt es weiter als ich, den man gescheit nennt. Er verdient, was er braucht und noch mehr, ich ver­diene wenig, die Bauerschaft trägt mir nichts, denn wenn einer Unfälle hat, wie ich die letzten Jahre, so muß er das ganze Jahr nicht nur umsonst arbeiten, sondern er hat noch Schaden. Freilich ging es heuer ziemlich gut, ich hoffte am Kathrinentag 100 Fl. einziehen zu können und erhielt - keinen Kreuzer. Meine Verwandten plagen und zwingen zum Zahlen mochte ich nicht, hätte auch wegen der Mutter nicht dürfen. ­Du weißt selbst, verdienen kann ein Bauer nicht viel, weil er die meiste Zeit daheim Arbeit hat. Nun, was sollte ich an­fangen? Ich wußte es nicht, ich hatte keine Lust mehr am Schreiben, keine am Lesen, ja ich machte mir Vorwürfe, daß ich mir so viele Bücher angeschafft, und dem armen zuweilen fast mutlosen Dichter oder Schwärmer wirst Du es nicht ver­argen, daß endlich ich die Feder nahm, um Dir zu schreiben und meinem Ärger - etwas Luft zu machen. Seit damals hat es sich in meinem Innern wieder etwas erhellt, ja mein Himmel würde ganz heiter werden, wenn von irgendwo her ein Wind käme, der meine Mehl- und Brot­sorgen auf einige Zeit vertriebe, kurz, ich bin durch die Verhältnisse genötigt, Dich an das mir im Herbst gegebene Versprechen zu erinnern und um ein Darlehen von etwa eini­gen 10-FI.-Banknoten zu bitten. Ich hätte Dich schon im letz­ten Brief darum ersucht, aber Du kennst mich ja und weißt, wie ungern ich meine Freunde plage, doch Not lehrt beten. Meine Lust zum Schreiben und zu allem ist ungemein klein, wenn mir am Schreibtisch immer einfällt: Wo werde ich Geld hernehmen, wenn auch diese 24 Kreuzer, die letzten, fort sind. Meinen Nümmamüller z. B. würde ich auch an den Redakteur der Feldkircher Zeitung geschickt haben, wenn es mir nicht wegen des fatalen Frankierens gewesen wäre. Du weißt, ich bin kein Verschwender. Wenn ich die dringendsten Bedürfnisse befriedigen könnte, wäre ich von Herzen wohl zufrieden, auch glaube ich, immer redlich das Meine getan zu haben.

Es ist wirklich recht peinlich, eine solche Lage schildern zu müssen Denke Dir daher, wie peinlich es sei, das erleben zu müssen. Ich habe die letzte Zeit nur wenig getan, aber viel gelernt und im jähre 64 werde ich die Sonderlinge (Frei­maurer) fortsetzen und, so Gott will, vollenden, oder das ­Schindelnmachen wieder anfangen, denn ich muß verdienen, vom Lernen kann ich nicht leben. Oft, wenn ich recht ärgerlich bin, denke ich daran, alles zu verkaufen und vom Zins zu leben; aber ich bin Vater, nun man wird ja sehen. Wenn man lebt.

Von J. Bergmann habe ich ein eigenhändiges Schreiben er­halten, das mich außerordentlich gefreut hat, er schreibt mir, daß er mein „umfang- und inhaltreiches Idiotikum erhalten und schon größtenteils durchgesehen habe". Er äußert sich sehr zufrieden darüber und freut sich sehr, meine Bekannt­schaft gemacht zu haben. Über den Nümmamüller schreibt er folgendes: „Gegenwärtig lasse ich mir Ihr Lebensbild ,Nüm­mamüllers und das Schwarzokaspale' vorlesen", - doch ich will Dir den Brief zuschicken, Dir, den ich an meinen Freuden und Leiden Anteil nehmen lassen möchte. In meinem letzten Brief teilte ich Dir mit, daß der Adlerwirt in Au Hochzeiter sei. Jetzt ist er Mann und seine Jüngern Geschwister haben der jungen Frau Platz gemacht, bei der Teilung sind kuriose Dinge an den Tag gekommen, die Dir, wenigstens zum Teil, Dein Freund und ehemaliger Strich­genosse Wittwer gewiß nicht mitteilen wird. Seine beiden Brüder Georg und Michel haben in Ermangelung des Geldes beim Adlerwirt geborgt und so nach und nach eine Schuld von 300 Fl. gemacht, von der jetzt alles redet. Die Wintermilch ist für 14 1/2 Pf. verkauft, ich habe dabei noch zu bemerken, daß sie an ändern Orten 15 gilt. Die Schop­pernauer aber sind an Gallus gebunden, da sie, wie man sagt, die Milch, die sie diesen Winter melken sollen, schon am 25. Nov. sich bezahlen ließen. Aus diesem Umstand sieht man, daß auch andere, nicht nur arme Bauern, nötig sind wie ich. Ich könnte vielleicht von etwa einem Großen in Schop­pernau Geld erhalten, aber ich möchte nicht in eine Lage kommen, wie das Schwarzokaspale Seite 24. Ich hätte Dir noch manches mitzuteilen, aber die Zeit drängt, der Raum geht zu Ende, und ich werde daher nur noch beifügen, was mir in der Eile in den Sinn kommt: Recht herzlich hat mich gefreut, als ich gestern in der Landeszeitung las, es sei Dir gelungen, einen Übeltäter aufzufinden und den Händen der Gerechtigkeit zu übergeben. Wir wollen, jeder auf seine Art, den Weg des Rechts und der Wahrheit gehen und die Spitzbuben entlarven und in ihrer Blöße darstellen. Auch mein Büchlein war in der Landeszeitung besprochen, und wir sind also beinahe die ersten Wälder, die da eine papierene Unsterblichkeit von acht Tagen erstrebt haben. Nun, das wäre nicht viel, aber wenn der Mann zu sich selbst sagen kann: Ich habe das Meine getan, so ist das ein schönes Gefühl. Zum neuen Jahr wünsche ich Dir und Deiner Therese (worauf sich reimt, genese) alles, was ich mir selbst wünsche, und auch das, was ich mangeln muß.

Lebe wohl und sei so gut, mir bald zu schreiben. Es bittet Dich darum Dein Freund

F. M. Felder

Bergmanns Brief schicke mir dann auch wieder. Den Nümma­müller wirst Du doch wohl erhalten haben?