FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
110
11. März 1864

Lieber Freund!

Endlich nach herrlichem, warmem Frühlingswetter einmal ein trüber, regnerischer Tag, der mich wieder in meine vier Wände zurücktreibt. Ich will diese freie Stunde dazu be­nützen, Dir wieder einmal zu schreiben. Deinen kurz gefaß­ten Brief vom 5. samt Beilage für Wirt Jochum habe ich er­halten und werde das mir Übergebene pünktlich besorgen. ­Auf die Kritik des Vonbun bin ich sehr begierig, obschon ich mir so ziemlich einbilden zu können meine, was er sagen wird. In den St. Galler Blättern Nr. 8 ist mein Werklein günstig besprochen und die betreffende Nummer mir von der Redaktion zugesandt worden. Jetzt lese ich fleißig Zeitungen der verschiedensten Farbe, denn da Stettner alle in dieser Gegend bei ihm bestellten Zeitungen an mich schickt, habe ich Gelegenheit genug und benütze diese auch redlich, wenn es mir nicht an Zeit fehlt. - Der 5. Februar war für uns alle ein recht trauriger Tag. Denn wenn wir die nach redlich voll­brachtem Tagwerk von uns Scheidenden auch für glücklicher als uns selbst halten dürfen, so ist es doch traurig und hart, wenn wir die von uns gehen sehen, die wir mit ganzer Seele liebten. Du weißt, daß jeder Mensch das, was er fühlt und erlebt, auf seine Weise aufnimmt und verarbeitet. Du wirst mir daher erlauben, Dir, was ich in jenen Tagen dachte und in mein Tagebuch aufgeschrieben habe, kurz mitzuteilen, obwohl ich es, wie Du bald bemerken wirst, nur für mich selbstgeschrieben habe:

Was ist geschehen, daß so laut und lange/
Die Glocken läuten, oder was geschieht?/
Ist es ein Kirchenfürst von hohem Range,/
Der heut in unser stilles Ländchen zieht,/
Und eilt das Volk zum festlichen Empfange/
Herbei, das gern das Ungewohnte sieht?/
Ach nein, die frommen Kirchenfürsten plagen/
Sich nicht mit Reisen in den Wintertagen.//

Ist's eines Sel'gen Fest, wozu die Glocken laden,/
Den Romas Fürst zum Heiligen erkor,/
Weil immer er gewandelt auf den Pfaden/
Der Tugend wie ein glänzend Meteor,/
Bewundernswert, - Fürst von Gottes Gnaden,/
Zu dem die Menge staunend blickt empor,/
Ein Wundertäter, wirkend für die Ehre/
Dess', der ihn sendete, durch Tat und Lehre?//

O glücklich der, dem es gelang, die Liebe/
Der Nachwelt zu verdienen, prachtvoll ruht/
Auf Lorbeern er; doch größer, wer dem Triebe/
Des Herzens folgend, das, was recht und gut,/
Auch wenn es stets der Welt verborgen bliebe,/
Um Gottes und des Guten Willen tut,/
Wer auch die Selbstsucht überwindet/
Und Demut mit der schönsten Tat verbindet.//

Und so war die, die auf der Totenbahre/
Sie jetzt zum Friedhof tragen, demutsvoll/
Und fleißig lebte sie wie eine wahre/
Nachfolgerin Mariens leben soll./
Wie manche Sorge füllte ihre Jahre,/
Wie manche Arbeit für der Ihren Wohl!//

Nun ruhet sie und ernst und feierlich klingen/
Die Glocken, die das Grabeslied ihr singen./
O ruhe sanft, Du, die wir nun beweinen,//

Von langer mühevoller Arbeit aus;/
Einst wird, dies tröstet uns, der Tag erscheinen,/
An dem auch uns zu Dir ins Vaterhaus/
Allvater ruft, uns ewig zu vereinen./
Dorthin gingst Du, Geliebte, uns voraus./
Wenn wir den Weg, den Du uns zeigtest, gehen,/
So werden wir uns glücklich wiedersehen.//

 

Dem Kritiker wird sicher die Sprache zu wenig bilderreich und das Ganze zu reell sein. Es ist eben nur aus dem Gefühl des Herzens und für fühlende Herzen geschrieben, daher habe ich gewagt, Dir die Arbeit mitzuteilen, ungefeilt, so wie sie im ersten Wurf wurde. - Jakob beabsichtigt, dem Vater und der Mutter gemeinsam ein Denkmal zu setzen. Er hat mich ersucht, einen Vers dazu zu machen, und ich habe nun den letzten Satz des Dir eben mitgeteilten Gedichtes auf­geschrieben, denn ich glaube, derselbe sei nicht unpassend, wenn man das Du in „Ihr" umwandelt. Was sagst Du dazu? - Aus der Wintermilch habe ich 14 Va und im besten Fall 15 Pf. gelöst und eine Brummelsuppe als Zugabe erhalten, weil ich das Unerhörte wagte, dem Donnerer von Schnepfau die Wahrheit zu sagen. „Lauser" und „Versmacher" war das Beste, und wenn nicht meine Schoppernauer gezischelt hätten: „er hat doch nicht ganz unrecht", so würde er mich wohl haben hinauswerfen lassen. Ich weiß nicht, welcher Widerspruchsteufel mich regiert. Mit allen „goldenen" Käl­bern komme ich noch in Händel, denn ich kann nicht mehr anders. Im letzten Herbst dachte ich zuweilen: „Bin ich nicht eine Einfalt, ich will immer zum Wohle anderer reden und niemand will's hören, ich werde bei denen, die ich verteidige, nicht beliebt, bei den anderen verhaßt, wie wohl wäre es mir, wenn ich mich, wie die ändern, auf Vaters Misthaufen stellte und mich um Gott und die Welt nichts mehr kümmerte." ­So dachte ich wirklich, und wenn ein Schoppernauer meine Gedanken gewußt hätte, so würde er gesagt haben: „So das ist nun einmal vernünftig." Aber des Volkes Stimme ist nicht die des Gewissens. Ich will das Meine tun, das macht mich, wenn es auch sonst keine Früchte trägt, glücklicher, als der Beifall und die Zuneigung anderer mich machen könnten. Die Besseren stehen wenigstens auf meiner Seite und ich erleb nichts, was nicht schon andere und Bessere erlebt, und wenn sie Männer waren, männlich ertragen haben, ohne sich durch solche Armseligkeiten vom rechten Weg ableiten zu lassen. Dein Freund

Frz. M. Felder