FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
132
4. Oktober 1864

Geliebter Freund!

Mit ein wenig Katzenjammer behaftet, setze ich mich heute gähnend an den Schreibtisch und rufe alle guten Geister an, daß sie mir zu dem Kraft und Geduld geben, was ich zu berichten habe.

Heute wird wohl im lieben Ländle wieder manches Pfund Pulver verpfufft, wir Schoppernauer aber haben bereits ge­stern das unsrige getan. Ja, Freund, gestern war ein Fest, wie ich wirklich noch nie eines gesehen habe. Pfarrer Rüscher ist angekommen, der lange Erwartete. Ich will Dir nicht erzählen von den Kränzen, den Pöllerschüssen, den geschmückten Jungfrauen, dem schönen Wetter, mit dem der Himmel sein Wohlgefallen bewies, und ähnlichem Durcheinander, aber ich habe Jünglinge und Greise gehört, welche behaupteten, daß das ihr schönster Festtag sei. Die Mitteilung einiger, teils geschriebener, teils gesprochener Verse wirst Du mir erlassen, und so eilen wir denn von der festlich geschmückten Kirche, in der Herr Dekan eine lange, langsam gesprochene, lang­weilige Predigt hält, zum Kronenwirt, wo ein Mahl der Gäste wartet. Durch den gegen uns etwas unhöflichen, vor der Tür aufgestellten Satz: Der Herr Pfarrer sei willkommen! lassen wir uns nicht zurückhalten. Ja, komm nur mit, denn heute führe ich Dich in keinen Schmollwinkel; ich bin doch vom Vorsteher und Rat als Gelegenheitsdichter und - zum Fest­mahl eingeladen! Platz ist genug für uns beide und noch für zehn, die aber nicht kommen. Ja, nicht einmal Stöckler und Feßler bleiben da, die Familie Rüscher weilt bald im Kreise der Gemeinderäte allein, und die laute Unterhaltung ist so still, daß der leiseste Laut gehört wird. Die Gemeinderäte unter­halten sich von einer Straße, die verbessert, von einem Zaun, der gemacht werden soll, Rüscher hört zu. Wahrlich, sage ich euch, trockenere und langweiligere Männer als die Gemeinde­räte hat es gestern in Schoppernau keine gegeben. Der Tag war so schön und die Freude so allgemein und ungeheuchelt gewesen, daß Dein empfindsamer Freund sich einer solchen Gemeindevertretung zu schämen anfing und, wenn auch mit schwacher Hand, in die Speichen des Schicksalsrades einzu­greifen beschloß. Es war schon spät, als ich einen „Toast" ausbrachte. Willi gestand sehr naiv, daß man das beinahe vergessen hätte. Man sagte nun dem neuen Gast, daß ich Felder heiße u.s.w., worauf er ein Gespräch über alles Mög­liche mit mir anfing, wobei er sich sehr freisinnig zeigte. Ich traute dem Manne nicht recht, denn er ist so weich und - fast fürchte ich - kalt wie Schnee. Ich bin vielleicht heute zu streng, aber mir schien sein gewinnendes Wesen, seine wirk­lich erstaunliche Freundlichkeit, ein wenig berechnet zu sein. Ich war offen gegen ihn, aber nicht vertraut, ich sagte ihm, was er fragte, und das war viel. Über Pater Zeno, über mein Leben, über die Gemeinde u.s.w., zum Beispiel „Wie gefiel Ihnen die heutige Predigt?" „Ich weiß nicht, was ich sagen soll."

„Warum?"

„Ich war zu weit davon, um es genau im Zusammenhange zu hören."

„Also der Zusammenhang fehlte?" „Ja, wenigstens mir."

Später wurde unsere Unterhaltung gemütlicher, wir schieden? recht freundlich. Nun, was meinst? - Vielleicht würdest Du zuweilen meine Gradheit Unvorsichtigkeit genannt haben. Ich aber dachte: Jetzt sieht man's ihm an, daß er alles gern so nimmt, wie es ist, und am Ende wäre ein offener Gegner noch besser, als ein falscher Freund, daß ich ihm nicht gleichgültig sei, hatte ich schon mehrfach Gelegenheit zu bemerken. Er sagte: Er werde mich oft und gern besuchen und „mit mir Bibel lesen". Nun wir werden sehen.

Der mehrbenannte Schneider J. Natter will seinem Vormund entlaufen und zu mir in Kost und Quartier kommen. Ich habe es ihm auszureden versucht. Du glaubst gar nicht, wie der lese- und lernbegierig ist. Mir scheint, daß die Geschichte sein Lieblingsstudium werden wird. Der Mensch kommt mir, um Dir ihn kurz zu zeichnen, gerade so vor, wie ich mir die Berliner bisher eingebildet habe. - Von den Wahlen hört man jetzt hie und da reden. Es ist, da drei Wahlkörper sind, etwas zweifelhaft, ob es ganz ruhig ablaufen wird, - das letzte Mal hatte man nur zwei. Da ich jetzt hier mehr An­hänger, Gönner und Freunde habe als früher, so wäre es mir leicht, zu Ehren und Amt zu kommen, wenn ich so ängstlich als andere mich darum bemühte. Aber ich denke so, am lieb­sten will ich gar nichts dergleichen, sollte ich aber wirklich etwas Gutes tun können, das sonst unterbliebe, so würde ich meine Bequemlichkeit opfern, daher macht mir die Wahl wenig Sorge. Das Volk ahnt sicher besser, was ihm zum Heile dient, als ich es weiß. Unser Pfarrer wird heute schon laut gelobt, was wird wohl das Ende von diesem Hosianna sein? Mir will fast scheinen, das gestrige „Willkommen" sei tiefer gefühlt worden als das heutige Lob. Mir ist Offenheit noch lieber als Freundlichkeit, am besten aber sind beide, und ich wünschte auch beide. Es gibt nach meiner Ansicht keinen erbärmlichem Menschen, als wer im Augenblicke der Gefahr seine Grundsätze verleugnet - wenn er überhaupt eigene Grundsätze hat. - Ich rede da vom Gegenteil eines Pfarrers, nämlich von Karl Kunz. Mein Urteil, oder eigentlich meine Ansicht, will ich Dir hier ganz kurz sagen: So lange der Tiroler nur den Standpunkt, die Richtung der Feldkircher Zeitung be­kämpft oder kritisiert, ist er im Recht, aber Ausdrücke wie „das verkommenste Blättchen der Monarchie" sind Injurien. Der Beweis der Wahrheit, wie er in jener Schrift geführt wurde, hat, wie Du Dir denken kannst, mir nicht „gehörig" scheinen wollen. Ursach halber! Nur deswegen, weil eine Zeitung nicht gut österreichisch ist, nenne ich sie nicht die schlechteste. Wer die Schäden und Fehler eines Staats kri­tisiert, ist oft der größere Vaterlandsfreund als ein Lobhudler der Landeszeitung. Die Klage des Herrn K. ist freilich zu empfindsam, zu gesucht. Ich an seinem Platz hätte gar nicht geklagt, oder ich hätte nur den Satz: „Daß das verkommen­ste" u.s.w. festgehalten. Ich war nie ein fleißiger Leser der Feldkircher Zeitung. Nur hie und da las ich eine Nummer, wie ich hie und da auch Nummern von Wiener Witz- und anderen Blättern las und mit der ersteren verglich. Der ,Gerade Michel' vom berühmten (leider wurde er's) E. [Breier] ist im politi­schen Teil miserabel, und der belletristische Teil ist schlecht. Diejenigen Aufsätze, die er aus den Klassikern und aus nord­deutschen Blättern stiehlt, ausgenommen. Diesem Michel fehlt zum verkommensten Blatt nach meiner Ansicht nichts, als daß er zu kaiserlich ist. Die Romane darin sind nur darum von unschädlichem Einfluß, weil sie gewöhnlich zum Einpacken besserer benützt werden. Das ist mein Urteil über die Num­mern dieses Michel, die ich las. Und die Tirolerstimmen! Ihre Abnehmer sind Bedienstete der Eigentümer des Blättchens, einige Wirte oder solche, die sich an den Sprüngen desselben ergötzen. Wie oft sind diese Stimmen gestraft worden? Und endlich unsere Zustände, unsere Konstitution, was sagen andere Zeitungen, was sagt der gesunde Verstand dazu?

Und nun heraus aus der verkehrten Welt! Nachdem ich meinen Rechtsbegriff zu Deinem Ergötzen seine Sprünge habe machen lassen, frage ich: Was sagst Du? Dann fragt der Bauer den Juristen: Was sagen Sie zu der Sache? Den Lassalle habe ich Dir bestellt. Die Bibel und das andere werde ich Dir gelegentlich schicken. -

Deine Mahnung, immer offen zu sein, habe ich meines Wissens stets befolgt, werde sie, wie Du auch aus diesem Brief und dem zuerst Erzählten siehst, auch ferner befolgen. Ich wage daher, sie Dir wie ein Echo von Deinem Schreibtisch zurückzurufen und erwarte eine recht baldige Antwort. Jochum hat geschrieben: Er befinde sich wohl, habe einen Freund und Gönner gefunden, der ihn, so hoffe er sicher, nicht verlassen werde, so lange er Unterstützung nötig habe. Mit den herzlichsten Grüßen von mir und den Meinigen an Dich und die Deinigen Dein aufrichtiger Freund

Franz Mich. Felder