AN JOSEF NATTER IN BESANCON

lfndenr: 
195
29. Mai 1866

Lieber Freund!

Wenn Du so beschäftiget bist wie ich in den letzten Tagen, so wirst Du mir meine Nachlässigkeit im Schreiben gern verzei­hen denn Du würdest dann doch kaum Zeit haben, einen Brief von mir zu lesen. Gestern habe ich die Statuten für die Käshändlergesellschaft ausgearbeitet die nun wahrscheinlich unter der Leitung des Josef Anton Ratz in Bezau zu Stande kommen wird. Die Geschichte machte mir in der letzten Zeit recht verteufelt Arbeit. Aber das ist noch bei Weitem nicht Alles. Ich stehe in lebhafter Korespondenz mit Dr. Hildebrand derselbe glaubt in mir ein Talent entdeckt zu haben und ich bin nun Mitarbeiter des deutschen Wörterbuchs geworden, da gibts nun zu schreiben, Männchen! Seine, Hildebrands, Briefe werden immer Herzlicher. Er hat mich bereits in einen Verein von Germanisten eingeführt. In Folge dessen hab ich schon bedeutende Zusendungen erhalten und noch weitere sind versprochen. Die Sonderlinge sind abgereißt, S Hirzel übergab sie Hildebranden zur Prüfung und derselbe ist, obwol er das Werk noch nicht zu Ende gelesen, voll begei­sterten Lobes. Er nennt es nachgerade eine Bereicherung der deutschen Literatur. Ob ihm wol auch der Schluß gefallen wird. S Hirzel hat sich gern zum Verleger erklärt, doch kann jetzt der Druck wegen dem Druck der politischen Lage Deutschlands nicht beginnen. Es wird wol nicht rathsam sein, jetzt viel über Krieg und Frieden zu schreiben, wenn unsere Corespondenz nicht unterbrochen werden soll. Wir stehen jedenfalls am Vorabend großer Ereignisse und bis die Sonder­linge gedruckt werden, können noch gar wunderliche Dinge geschehen. - Der König von Sachsen hat seinen Familien­schatz bereits ins ausland bringen lassen, um ihn vor preußi­schen Gästen zu sichern. In Österreich steht bereits eine Million Mann gerüstet da und wartet der Dinge die da kommen sollen. Die hiesige Landwehr hat Morgen sich in Andelsbuch zur Verfügung zu stellen. Es wäre möglich daß Du bald zum Spielen aufgefordert würdest, jedenfalls würde ich mich dar­auf gefaßt machen und schreiben was ich dann zu thun gedächte.

Deinen letzten Brief hab ich mit innigem Interesse gelesen Ich war - offen gesagt - begierig wie Dir zu Muth sein würde wo Du nur als Mensch als Null galtest bei Deines Vaters Anwesen u.d.g.l. nicht mehr als feste Zahl vor Dir stand, Du hast Erfah­rungen gemacht, die ich jedem Wälder von Herzen gönnte und etwas besser wirst Du nun unser Land würdigen, eher auch die sociale Frage in ihrer ungeheuerlichen Größe begrei­fen. Ich weis, obwol imer daheim, doch auch was es heißt, mit der Welt ringen und sich einen Platz suchen müssen. Dein Brief hat mich aber auch in anderer Beziehung gefreut. Im ganzen Winter hast Du keine Stunde so natürlich, so offen edel geredet als hier. Ich bin beim Lesen auf allerlei Gedan­ken gekommen, die Dir ferner liegen, die Dir aber nicht fremd bleiben werden, wenn Du als Mann in des Worts edel­stem Sinn Deine Zeilen wieder überliesest. Solche Briefe werden mir immer erfreulich sein und ich werde Dir gern darauf antworten wenn auch mir jede Stunde kostbar ist. - In Bludenz hab ich frohe Tage verlebt. Ich las dem Kaspar aus meinem Werke vor und er war zuletzt so begeistert, daß er eine Punschnacht veranlaste. Auch andere Herren waren dabei und es ging großartig zu. Der Bezirksvor­stand Mathis war auch dabei und erhielt Mittheilungen über die Bedeutung des Festes. Er scheint sehr interessiert für mich und hat mich sogar ein sehr Werthvolles, seltenes Buch von Bludenz mit heim nehmen lassen. Ich schreibe Dir das nur um Dich mit einem Mann zu versöhnen, den Du wol für einen Gegner gewisser Leute halten möchtest. Du wirst Dir nun Kaspars Stellung neben ihm denken können. Als ich von Blu­denz heim kam mußte auch staunen, hier alles so schmucklos und erfroren zu finden. Noch jetzt sind kaum die [Sorgend] blumen (Saubluomo) heraus und auf den Bergen glänzt der Schnee. - Für das deutsche Wörterbuch sammle ich jetzt die Wörter mit K. Auch hier sind die Wichtigsten: Krieg und Käs­handel. Mit Ersterem sind wir - fertig. Mein Anhang hier wird täglich größer und ich wette, daß an der übermorgen beim Löwenwirth statthabenden Volksversammlung wenigstens 100 Mann Theil nehmen. Das letzte Mal waren 66. Nun wer­den dann die Statuten vorgelesen u. geprüft, wozu öffentlich eingeladen wurde. Ich hab selbst mit dem Räutzle geredet und es zeigte sich geneigt, die Leitung des Geschäftes zu übernehmen. -

Die von Dir mir aufgetragenen Grüße hab ich ausgerichtet und bin beauftragt dieselben zu erwidern, die Oberhauser halten sich jetzt vortrefflich und auch sonst finden sich zum großen Plan immer mehr Tüchtige. Mein Urtheil über die Wälder scheint sich bestättigen zu wollen. Ich sagte oft: Gebt Ihnen allen Einen großen Gedanken und sie werden sich daran aufrichten. Ja sie sind schon weit, aber noch bei Wei­tem nicht so weit als sie selbst meinen. Von hier gibts nicht viel mitzutheilen, Weder Hochzeiten noch Dir nahe gehende Todfälle. Klausmelkers Ansicht mag im Allgemeinen unrich­tig sein, bisher sinds noch so zimlich die alten Hansen, Joseffe Marien u.d.g. In der nächsten Woche ziehe ich nach Hopf­reben. Ich werde dort allerlei wunderliches Zeug zusammen­schreiben und im Carey lesen den ich mir habe kommen las­sen. Für die Roman Zeitung hab ich wol bald weder Geld noch Zeit, die Ausländer beschäftigen mich jetzt zu sehr. Auch die Zeitungen nehmen manche Stunde weg; ich lese nun neben der Allgemeinen auch die „Neue freie Presse". Da mir letztere gut gefällt, gedenke ich erstere bald zu verab­schieden. Du hast vergessen mir zu sagen, was Städte für einen Eindruck auf Dich machten mit ihrem bunten Durch­einander. Auch von Deinem Aufenthaltsort hast Du nur wenig mitgetheilt. Es ist ein bedeutender, der z.B. eine Bibliothek von vielen tausend Bänden, gute Schulen u.d.g.l. hat. Nun, man kann ja nicht alles auf einmal, ich hoffe daß Du doch die Augen und das Herz offen habest, wo es gilt Gutes und Liebes aufzunehmen. Hast Du noch nicht französisch zu lernen angefangen? Mich freut es schon, im nächsten Winter von Dir zu lernen. Hast Du noch nicht Gelegenheit gefunden Dich im Zeichnen unterrichten zu lassen? Was ists mit Deinen Freun­den? Hast Du welche? Ist Dir die Zeit lang? Wie findest Du Deine jetzige Lebensart wenn Du sie mit der frühern ver­gleichst; Heut hab ich einen Brief von Severin Felder gelesen und gefunden daß derselbe in der Fremde in geistiger Hinsicht sehr zurük ging seit er unser Dorf verließ. Leider sind unsere Verhältnisse der Art, daß gewöhnliche, auch ganz gut geartete Menschen für Manches sogar den Sinn verlieren. Wenn nun Leidenschaften diese Triebfedern des Wesens sich regen, so wird der Mensch leicht überrumpelt, wenn seine Kräfte nicht geübt, sondern gebunden waren, nun aber plötzlich entfesselt sind.

Wolthätig ist des Feuers Macht Wenn sie der Mensch bezähmt bewacht Doch furchtbar wird die Himmelskraft Wenn sie der Fesseln sich entrafft

Schiller

Die Meinen lassen Dich freundlich grüssen und Dir sagen Hier werde jetzt nur wenig laut gelesen. Jakob hat die ersten Hosen bekommen, Kaspar einen neuen Rock und das Mikle hat das Gehen gelernt für sein ganzes Leben. Da siehst Du daß doch auch etwas geschieht in Deiner Kaffeesatzüber­nebelten Heimath. Die Mutter ist bei den Kühen in der Bunt, da ich immer etwas zu schreiben und auszukopfen habe. Auch das Lesen wird ganz planmäßig. Hildebrands Aufträge bringen mich auf ein weites Feld, auf dem ich gerade vertraut genug bin, um den Unterrichtsplan selbst machen zu können. Die Sagen für Elsensohn hab ich mit einigem Widerwillen gesammelt. In der jetzigen Zeit gibts mehr zu thun als so einem Bourgeoiis Arbeiten zu liefern und sich ausbeuten zu lassen einer Professorengrille wegen. Doch das sind Sachen

die Dir ferner liegen.

Lebe wol

Es grüßt Dich herzlich Dein

Freund

Franz M. Felder

Keine