AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
194
28. Mai 1866

Mein lieber Herr Hildebrand!

Es thut einem wohl an Leib und Seele, von Menschen, denen man gern herzlich die Hand drücken, die man eine recht weite Strecke des Lebenswegs neben sich wissen möchte, gehört und verstanden zu werden. Mir ist als schöner Lohn für meine mir so lieben Arbeiten dieses Gefühl worden. Ich möchte Sie gern in meine Welt ganz hinein führen, um da mit Ihnen zu reden über das, was aus ihr hinaus wuchs. Ich glaube Sie auch wirklich neben mir hier im einfachen Stüble zu sehen ich drücke Ihnen die Hand zum herzlichen Gruß, und beginne nun gleich Ihre Fragen zu beantworten und an­dere an Sie zu richten.

Ich gestehe gerne zu, daß in dem Werke selbsterlebte Kämpfe geschildert sind, ja noch mehr: Fast jede Person hat ein Stück von mir, der Lieferant, der Doktor, Franz und auch 5epp. Ich glaube daß man hier herum nur im Sepp den „Jauko Franzmichol" (mich) von früher erkennen wird. Dieser war verbittert und muthlos sein Leben war ein thatenarmes sich Hinschleppen von einem Tag in den Ändern, und hinter Büchern, die, wie alle altern Klassiker (Zimmermann, Wielands Jugendarbeiten, Klopstok, Gleim u v a) vom Leben abziehen, verkroch er sich immer mehr in sich selbst. Hier, da und dort könnt ich Ihnen große, talentvolle Männer zeigen, doch ich mag nicht denn ach! sie alle sitzen da wie Sepp sitzen da wie der Schiffbrüchige auf der Höchsten Spitze der eben im Meer versinkenden Insel. Ja Sepp ist unthätig, bis die Leiden­schaft ihn wekt, er ist der Repräsentant der Richtung, den ich consequent durchführen mußte. So lang sein Eigensinn hält kann er nichts thun, mit dem Eigensinn und der Verbit­terung aber ist auch seine Kraft dahin. Ich glaube, daß sowohl Barthle als er Theilnahme weken und den Leser befrie­digen werden, wenn auch die Lösung etwas eigentümlich, ist. Die schrecklichen, erfreulichen Ereignisse jener Tage (Kap 8-9) wachsen heraus aus der Eigenart der Helden??? „Aber in den erwähnten Kapiteln (8-9) kommen herzdurch­bebende Mißtöne vor wie auch früher als Franz die Pfeife zerschlug u a a O"

Ja, der letzte Wehschrei eines Untergehenden. Mir thut auch, das beim Lesen eines Buches wol, wenn ich den Einzelnen ausgeartet, auf der Spitze sehe, und er sich dann im Anschluß ans Ganze neu wieder findet, wie der elende Wurm nach seinem Tod als Schmetterling. Z. B. Klausmelker will fortlau­fen vom Vater und von Allem, doch das Bild des nun im Ländcben erwachenden Lebens zieht ihn zurük. Wäre Sepp so leidenschaftlich gewesen wie Franz, hätten seine Kräfte sich geregt, und hätte er auch das Ärgste gethan er würde der verknöcherte Mann nicht geworden sein. Nur der Ge­danke an das Volk, eine Redensart rettet ihn, das Volk erhält ihn (Kap 9). Mir erscheint das Leben um so schöner, das Volk (die Gesammtheit) steht um so göttlicher vor mir, je mehr ich fühle, wie wenig am Einzelnen, (an mir selbst ist). Ich halte es für einen Fehler, daß in der Kunst die Dissonanzen vermieden werden, ists nicht ihre schönste und einzige Auf­gabe, die in Harmonie aufzulösen? Allerdings sollten sie nicht sein, wie ein Rad in der Maschine sondern wie ein ins Ganze verschmolzener Ton. Wenn ichs dazu gebracht hätte, dann möcht ich Härten und Breiten um Alles nicht weg­wünschen???

Sind die Redenden Bregenzerwälder?

Ja, durch und durch, voll und ganz so weit sie es sein sollen. Würde ich das Werk dem Nächstbesten geben der es nur zu lesen im Stande wäre, so könnte es der nicht nur Satz für Satz, sondern Wort für Wort ins Wälderische übersetzen, mit Ausnahme der uns fremden mittelartigen Zeitwörter wer­dend, gebend. Sie glauben gar nicht, wie reich unsere Sprache ist. Vom K ha[b] ich z B. noch etwa 150 Wörter und finde immer noch mehrere.

Daß Franzens Mutter nicht an die Wunde denkt ist ein Ver­sehen und ich bin Ihnen auch für diese Bemerkung herzlich dankbar. Ich werde im Werke bemerken, daß sie nicht mehr an die dachte, da sie ihn beim - Doktor sitzen sah. Sie sieht in Letzterem einen dem Seelenheil des Sohnes und dem Hausfrieden gefährlichen Menschen. Der Hausfriede ist ihr das Höchste. Den Mann läßt sie in Gottesnahmen gehen statt ein ihm verhaßtes Amulet an die Wiege Franzens zu hängen macht sie eine „gute Meinung". In solche Häuser kann sich der nur über das Getrennte herrschende Pfarrer nicht einnisten. Mari wird erst durch Mutterliebe zum Wider­stand getrieben, da sie selbst thut was Ihr Gewissen fordert, so drängt sie nichts, den Pfarrer in einen Kampf zu ziehen, der dann nur um so hitziger und gefährlicher würde. Ein An­deres war es mit Barthles Liebschaft, wo der Vater Gewalt brauchen wollte. Der Pfarrer ist zu sehr als Gewaltsmensch dargestellt um Mariens Vertrauen zu gewinnen. Sie sehen, wie der Pfarrer die Leute im Verlauf der Erzählung krank und schwach machen will, weil er erst dann sich zur Geltung bringen zu können hofft. Meine Mutter würde Ihnen be­stättigen, daß Mari gerade so handeln mußte, auch mein Wible, dessen Hand Sie im Manuscript gefunden haben wer­den, bestättigt das Gesagte. In der Erzählung meinte ich das nicht weiter ausführen zu müssen und war zum Theil froh, da ich wol schon genug Klekse (Tölggo) in mein Tugendbuch gemacht habe. (S. Kap 7-9 u A.)

Doch Sie haben vielleicht noch nicht Zeit gefunden das Ganze zu lesen und ich kann Ihnen erst dann über jede Frage antworten oder zugestehen. Ihr freundliches vom Her­zen zum Herzen redendes Schreiben ist mir ein theurer Beweis, daß Sie meine Rechthaberei in der Ordnung finden werden. Jedem und besonders Ihnen möchte ich mich geben wie ich bin und der Senn stekt nun einmal in mir obwol man mir das nicht ansehen würde. Ich bin begierig, Ihr Urtheil zu hören über die Lösung und über die Sonderlinge überhaupt nach­dem diese das Grübeln und Griffeln aufgegeben haben. Mir ligt die erwähnte Käshändlergenossenschaft sehr am Herzen und ich freue mich Ihnen mittheilen zu können, daß die Sache zu leben beginnt, daß der Plan zklufo kommt und bald „kluftorig" (um sich greifend, ungewöhnlich lebendig, leb­haft, regsam) wird. Gestern war auf meine Veranlassung große Versammlung in Rehmen. Meine Vorschläge wurden einstimmig angenommen und ich wurde gewählt um mit noch 4 Bauern die Statuten auszuarbeiten wobei mir auch mein lieber Schwager helfen wird. Als ich die Sonderlinge schrieb, dachte ich wahrhaft nicht, daß es so schnell gehen werde, da ich damals fast nur Gegner fand, wenn ich vor den von unsern Händlern Beherrschten mit meinem Plan ausrückte.

Doch hievon hab ich Nachmittags zu schreiben. Ich glaube daß der Senn mit nicht minder Bescheidenheit von einer seiner Liebhabereien reden würde als ich von meinem Wörterbuch, doch ich bin glücklich wenn ich etwas für Ihr Wörterbuch thun kann. Vorsäß ist nicht Wälderisch, die Sprache der sg Waiser (aus Wallis nach Bergmann,) ist viel neuer wo sie nicht die Worte von der reicheren Nachbarin entlehnt, hier heißts einfach das Vorsaß, vielfach die Vör­sasser, Umlaut o - ö nicht a - ä ebenso sagt man vorsaß­mäßig - einfach, kunstlos, dann älpisch - derb von Alp. Wenn Franz am Morgen sich irgendwo zeigt so weißt am Abend sicher jedermann daß er gesund wohl ist. Sie glauben nicht wie schnell sich hier Nachrichten über das Befinden, Wohl und Weh Einzelner verbreiten (Nümmamüller Seite 12.) Die Klipso wird auch bildlich gebraucht. Klipslar, Heimlich­thuer. Die Beiden thun gern klipslo, sie sind heimlich verliebt etwa wie im Sommernachtstraum dieTisbe. Klapastern scheint unserm Kapustoro, durcheinanderwerfen, wühlen verwandt zu sein. Klapf heißt hier die Menge, alle. Da gaunzo Klapf. Das Wort Klag' haben wir unverändert. A Klag, a dr Klag sin heißt, man hat Ursach sich zu beschweren. Der Angeber ist a Kläpporar. Wer immer aufs Gericht läuft hat Klegarija und und Dleißlarija (-i j a) statt -en, -eien i Schelmarija. Der Ver­läumder, unnöthig Plaudernde ist a Rädtschar (-scher), hintersinnen - überschnappen, von sinnen, den Verstand ver­lieren, wie Gotthelf.

Ried, Moosgrund, Bild des Falschen, Haltlosen, Unsichern; man sagt: er ist so falsch und häl (altd. hali) wie Ried. In den Wurf kommen: sich erwünscht oder unerwünscht auf den Platz stellen, auf den der Andere zielt. (Da ich keine genaue Abschrift der Sonderlinge habe, so werde ich nicht immer im Stande sein zu sagen, was einzelne Worte an ihrer Stelle bedeuten. Bitte mir den Satz zu schreiben. Eben darum kann ich auch keine Änderung einzelner Stellen angeben, ohne daß ich den betreffenden Bogen habe.)

Man muß ein Dorfbewohner gewesen sein. Ich bitte das ge­wesen zu streichen.

Die Corecturbogen möchte ich jedenfalls durchlesen. Ich wünschte das in Leipzig thun zu können. Es ist so viel viel dort das mich hinzieht. Ich hab noch so ungemein wenig von der Welt gesehen; hab noch nie ein Theater gesehen, noch nie einen Vortrag gehört der mich fesselte außer bei den Jesuiten die vor Jahren hier predigten, doch man wird sehen, ob die Sonderlinge oder eigentlich ob das Honorar mir fort­hilft. Ich habe für mich und noch 5 liebe Menschen zu sorgen und zu arbeiten. Für das Schwarzokaspale hat mir Stettner 100 fl u 12 Ex angebothen und ich habs ihm zum einmaligen Abdruck überlassen. Die Summe? reichte gerade meine Bü­cherschulden von damahls zu zahlen u ich hatte nun doch die Freude, es gedruckt zu sehen. Die Auflage scheint bald ver­griffen zu sein.

Wie viel g[l]auben Sie von Hirzel verlangen zu dürfen wenn ich mir 20 Freiexemplare, und das „Grimmsche" deutsche Wörterbuch ausdinge? Ich habe des Thalers wegen noch keine Zeile geschrieben, aber der Thaler ist doch kein leerer Wahn. Das Wörterbuch aber werd ich mir ausdingen, das Übrige später, hoffentlich mündlich, denn ich hoffe und freue mich schon mit den Meinigen, Sie bald hier zu sehen. Demnächst sollen Sie wieder „Spänne" erhalten ich werde mir bald wieder die Freude machen an Sie zu schreiben. Der Auszug aus dem Soldatenbrief beweist auch daß meine Sprache in den Sonderlingen im Ganzen der Ausdruksweise des Volkes ähnlich.

Ihre mir so werthe Photografie hab ich erhalten jetzt noch kann ich Ihnen die Meine nicht schicken. Bisher wies ich ähnliche Wünsche mit den Worten zurük: Ein guter Freund macht ein schöneres Bild von mir als ein guter Photograf aber da [mich] auch das Wible (so nenn ich meine Frau) mich treibt werd ich wol nachgeben müssen obwol der hiesige Photograf (in Au) nicht einmal den Ruf eines Guten hat. Meine liebe Mutter, das Wible und alle lassen Sie und den Kreis der Ihren recht herzlich grüssen. Ich hoffe sie alle noch kennen zu lernen. Rom ist auch nicht an Einem Tag gebaut worden. Diese Redensart hat mir schon über viel hinaus­geholfen. Mit tausend freundschaftlichen Grüßen

hochachtungsvoll

Ihr

F M Felder

Keine