AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
231
8. September 1866

Lieber Freund!

Sie glauben nicht, wie glücklich es mich macht, Sie so an­reden zu dürfen, wie ich es lange wünschte und jede Zeile Ihrer Briefe gleichsam forderte. Wie viel haben Sie Lieber Unermüdlicher schon für mich gethan, und gerade der letzte Brief ist der sprechendste Beweis. Aber das Bäuerlein hat lachen müssen, daß Sie Guter ihm, der so viel Pfüffe und Stöße erhielt, ein kleines Pillchen, das jedenfalls heilsam, aber auch nicht bitter war, wie verwöhnten Kindern in einen Zwetschkenpelz einwikeln wollten. Wenn ich so empfindlich, wenn ich - so - dumm wäre, mich hierüber zu ärgern, dann hätt' ich das Glück Ihrer Freundschaft nie verdient. Ich glaube, Ihnen auch schon geschrieben zu haben, daß ich es bereue, Ihnen von Vonbuns Artikel gesagt zu haben. Die Stelle „ein Dorfbewohner kann keine Dorfgeschichte schreiben" findet sich, wie ich Ihnen angegeben zu haben glaube in einer Bei­lage zur A. Allgemeinen Zeitung „allen Dorfgeschichtschrei­bern" zur Beherzigung. Ich meinte sie auf mich anwenden zu sollen, da mein Büchlein vorher an die Redaktion geschickt worden war. Über meine Versemacherei sind wir ganz eins. Sie ist mir in trüben Stunden ein lieber Zeitvertreib doch hab ich die neuern Dichter zu wenig gelesen, um da auch nur auf dem Standpunkt der Gegenwart zu sein. Mit dem, was Sie über die Zerreißung Deutschlands sagen sind wir ebenfalls eins. Wir sind und bleiben Deutsche trotz Nikolsburg und Prag, das werden wir beweisen. Wenn wir uns nicht zu sehr ducken, wird auch auf uns ein Strahl des Liechtes fallen, das ich jetzt im Norden aufgehen sehe, und das mir Weihrauchwolken und Aktenstaub nur verdüstern, nicht verbergen.

Ich lege hier auch meinen Aufsatz über den Tannberg bei. Ich habe denselben meinem Freunde Feuerstein in Bezau auf meiner letzten Agitationsreise vorgelesen und derselbe hat ihn sehr gelobt und auf Verlangen eine Ansicht von Schröcken beizugeben versprochen. Wenn er nur nicht zu lang ist für die Gartenlaube. Doch ich glaubte das massenhaft vorliegende Material nicht noch gedrängter geben zu dürfen. Auch eine Gegenüberstellung der beiden Nachbarvölklein hielt ich für nothwendig und beginne daher im Bregenzer­wald um auch meine Landsleute zu zeichnen. Die mitgetheil­ten Tatsachen sind bis aufs Kleinste wahr, wenn auch nicht in diesem Zusammenhange vorgekommen. Ich bin sehr be­gierig, Ihr Urtheil zu hören, bitte aber recht herzlich, es nicht mehr so sorglich einzuwikeln. Sollte Keil den Aufsatz nicht annehmen, so machen Sie sich doch keine Mühe, besonders wenn seine Bedenken auch von Ihnen getheilt werden. Senden Sie ihn auch nicht zurük da er das Porto vielleicht kaum werth und ich überdieß eine ziemlich genaue Abschrift im Entwurf besitze, auch die Zeitungen können Sie behalten. Den Entwurf meiner Sonderlinge hab ich durchgesehen und bin nun entschlossen im 9 Kapitel l Band Franzen etwas an­ders erscheinen zu lassen. Statt daß Mariann dem vor dem Hause auf und abgehenden Franz von der Abwesenheit des Barthle sagen möchte, hätte sie fast Lust ihm zu melden daß er „sein Miüagschläfchen mache". Später nun, wenn sie Fran­zen den Strauß reicht, wenn er in ihre feuchten Augen schaut und das Zittern ihrer Hand fühlt, da will, da muß er reden, doch da ruft ihr Barthle. „Marsch, herein es ist die größte Zeit in die Kirche das ist es."

Nun erscheint Franz ganz anders u geht doch als der Alte heim.

Im 10 Kapitel wäre einiges zu streichen. Da Sie selbst weder Lust noch Zeit haben werden, diese Än­derungen vorzunehmen, so bitte ich mir Kap 9-10 l Band bald zu übersenden, und mir Ihre Meinung über meinen Vor­schlag mitzutheilen.

Meine Antwort auf Mannhardts Bitte ist leider etwas kurz ausgefallen, die Gründe sind in derselben angegeben.

Auf meiner letzten Agitationsreise (es handelte sich um eine für uns Wälder sehr wichtige Angelegenheit, und niemand wollte etwas thun) lernte ich Professor Elsensohn einen Lands­mann kennen, der mich im Frühjahr brieflich um Mittheilung einiger Gespenstergeschichten ersuchte die ich ihm in unserer Sprache lieferte. Nun hat er mir ein Freiexemplar gegeben seiner Wäldersagen das ich Ihnen der Sprache wegen zu­sende. Daß so ein Herr Sagen u dg erdichtet, um sein Buch zu füllen, will uns freilich nicht gefallen und ich bin im Stande, den Beweis zu liefern, daß z B die Sage Seite 9 der gesottene Kuhhirt nie vorkam, denn meine Alp Schiedeln ist falsch ge­zeichnet, und eine Sage muß auf ihren Boden passen, muß nach meiner Ansicht gleichsam daraus herausgewachsen sein.

Die mit // bezeichneten Beiträge sind von mir, die zuweilen ungenaue Übersetzung von Elsensohn selbst. Wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen auch die Nummern der Flensburger Zeitung zuschiken. Meine Briefe gehören wie gesagt Ihnen, nur wünschte ich nicht, daß in einem Auszug die Farben noch dicker aufgetragen würden. Das Werk von Gosche möchte ich lesen, wenn es einmal irgendwo zu be­kommen ist, ich bitte daher, mir auch den Verlag anzugeben. Was sagt Hirzel zu den Sonderlingen? Ich lese zwischen den Zeilen heraus, wie viel Mühe Ihnen diese Schmerzenskinder machen und doch kann ich für Sie so gar nichts thun als danken von ganzem Herzen für alles was sie mir gethan haben und noch thun.

O daß Sie hier wären, um Ihnen das sagen zu können wie ich möchte, hier in der gesunden Bergluft, daß ich nicht mehr zittern müßte für Ihr und der Ihren Leben. Schreiben Sie mir doch recht bald wieder, daß Sie und die Ihren noch gesund und wohl sind.

Mit tausend herzlichen Grüßen von mir und den Meinigen Ihr ewiger Schuldner

Franz Michael Felder

BEILAGE:

FRANZ MICHAEL FELDER AN WILHELM MANNHART

Schoppernau den 8 September 1866

Hochgeehrter Herr!

Wie gern ich auch Ihr schönes Unternehmen durch Beiträge unterstützen möchte, werde ich aus dem Bregenzerwalde für dießmal doch nur sehr wenig liefern können, da die hiesige Bevölkerung sich einzig durch Milchwirthschaft ernährt und weder Korn noch andere Feldfrüchte - außer Erdäpfel ge­pflantzt werden.

Es giebt hier eine Menge sogenannter Loostage, die das Wet­ter für die nächste Zeit ankünden, darunter spielen die sg zwölf Nächte von Weihnachten bis zum Dreikönigstag eine sehr wichtige Rolle. Jede Nacht zeigt für einen Monath wie in einem Spiegel das Wetter. Am Dreikönigstag wird in der Kirche Wasser, Viehsalz sammt den in Letzterem versteckten heilsamen Wurzeln geweiht. Das Dreikönigssalz wird dem Vieh beim Gebären und fast in jeder Krankheit gegeben.

Um Fabian und Sebastian

Thut das Mark in die Bäume gan*

Die Sitte des Funkenspringens kommt hier jetzt nicht mehr vor, doch der Funkentag (der erste Sonntag nach Aschermitt­woch) hat seinen Nahmen behalten. An demselben werden die zur Feldarbeit gedungenen Taglöhner, Heuer und Heu­erinnen zum Mahle (Funkenküchlein) eingeladen. Ein zweites Fest das der Bauer mit seinen Arbeitern feiert, ist der Heusonntag. Nach der ersten Heuernte geht er mit seinen Leuten ins Wirthshaus und es ist Ehrensache für ihn da recht viel aufgehen zu lassen.

Der zweite Heusonntag fällt gewöhnlich mit dem s. g. Alp­sonntag zusammen, dem Feste der aus den Alpen glücklich heimgekehrten Kühe die da die Hauptrolle spielen. Sehr gesucht sind die Holzreste vom (kirchlichen) Charsamstagsfeuer, man braucht sie, um daraus ein Kreuz zu machen welches dann mitten in den Kartoffelacker gestellt wird. Die Kohlen von diesem Feuer werden dem Vieh ins Salz ge­rieben.

Wenn der Pfarrer am Sonntag ein grünes Meßkleid trägt, giebt es die Woche hindurch Regen.

Wenn ein Hausvater stirbt, so müssen seine Bienen ihm nach ins Todtenreich, wenn sie nicht gleich nach seinem Tode von dem durch ihn ihnen bestimmten Platz auf einen Ändern gebracht werden.

Auch den Kühen werden nach dem Tode des Hausherrn die Schellen abgenommen und sogenannte Kleppern von Eisen­blech angelegt die sie dann während des Leidjahres behalten. Wenn ein Hagelwetter kommt, soll man einen Stein (Schlosse) ins Weihwasser werfen, dann werden mit diesem auch die ändern den Feldern drohenden Steine schmelzen und statt Hagel gibts nur wolkenbruchartigen Regen. Wer ein fließendes Wasser verunreiniget, hat der Mutter Got­tes die Wäsche verdorben. -

Gleich nachdem die Alpen bezogen sind, kommt der Pfarrer des Dorfes zu dem dieselben gehören, um sie zu benediciren und bei im Freien angemachtem Feuer Salz und Wasser zu weihen. Oft schon wurde später auch eine zweite Benedicion des Kessels, Stalles, gefährlicher Stellen u dgl vorgenommen. In „unserer Frauen Zeit", auch Drißgeist genannt, vom 15 August bis 8 September sind alle Pflanzen geweiht und was zu Heilzwecken (für Kranke) geeignet ist, soll um diese Zeit gesammelt werden.

Am Martinstag werden die sg Brunnenstuben, das Becken in welchem das Wasser sich sammelt, mit Brot, Butter u dgl ge­füttert, damit die Quellen bis zum nächsten Jahre treu blei­ben.

Mehr Besonderes von der meistens von Männern betriebe­nen Feldwirthschaft weiß ich aus meiner Heimath nicht mit­zutheilen. Reicher wäre wol die Ausbeute auf den Feldern, wo auch das Weib, die eigentliche Wahrerin der Sitte, mit thätig ist. Was ich aber hier mittheilte, hab ich. selbst häufig gesehen und gehört. Mit nur unsicher Gehörtem würde Ihnen sicher nicht gedient sein, da hier, wie es scheint, nur das in neuerer Zeit von den Geistlichen Aufgepropfte schnell wieder untergieng.

Sollte ich Ihnen später einmal wieder dienen und vielleicht mehr liefern können, so werde ich mich glücklich schätzen etwas zur Förderung Ihres schönen Unternehmens beizutra­gen im Stande zu sein. Mit vollester Hochachtung Ihr ergebenster

Franz M Felder Post Bezau/Vorarlberg

* scheint mir fremd, hier sagt man, gau Das Feld soll im Maien-Neumond angebaut (gedüngt) wer­den; das Zeichen des Skorpions soll bei aller Feldarbeit ver­mieden werden. Das Zeichen der Jungfrau macht die Erdäpfel faul, Wassermann gehaltlos, Schütz kleine Frucht der Löwe und die Zwillinge sind die fruchtbarsten Zeichen. Um ein fruchtbares Jahr zu erflehen, werden in der Bittwoche (vor Christi Himmelfart) die Nachbardörfer besucht. Am Him­melfarthstage zieht man singend bethend und den Anfang der vier Evangelien lesend über die Felder. Niemand weigert sich, den frommen Zug über das oft schon ziemlich hohe Gras zu lassen, ja in Au, wo man 1860-61 einige Parzellen des hohen Wassers wegen nicht besuchen konnte gab das Anlaß zu Streitigkeiten, da die Eigenthümer der betreffenden Grundstücke meinten, sie seien einzig darum mit Engerlingen bestraft worden.

Keine