AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
491
1. März 1868

Lieber Freund

Heut endlich hab ich die Eröffnung der neuen Post zu mel­den und dieser Brief, vielleicht noch der erste, den sie expe­dirt, kommt wie eine Siegesfahne herrlich und groß um Dir allerlei kleine Siege vorzuführen und auch etwa ein Loch sehen zu lassen. Der Fasching als solcher gieng mir ziemlich unbemerkt vorüber. Nur einen Tag hab ich ihm geopfert ­den letzten Montag. Im Rößle in Au war, was man hier Ball heißt. Ich ward auch geladen und fuhr mit einigen guten Freunden hin, wo wir lauter Parteigenossen antrafen. Auch der Uhrenmacher war eine Weile, aber noch mit verbundenem Kopfe, dabei und benahm sich ruhiger brauchgemäßer als man das an ihm gewohnt war. Er scheint aus dem Unfall gelernt und während der 4 Wochen, die er meistens lag, sich etwas geläutert zu haben. Vom kk Kreisgericht Feldkirch wurde mir eröffnet, daß auf meine Angaben vom 3 ten Fe­bruar das Gericht in Bezau nicht die kompetente Behörde in der Angelegenheit des Uhrenmachers, und daß diese dem Bezirksgericht Bregenz zur Amtshandlung übergeben worden sei. Dagegen habe unser Gericht in Bezau gegen die Wahl­stürmer vom 26 Jänner sofort einzuschreiten. Ich würde dir noch mehr über die Sache schreiben, aber man weiß nie, was ein Brief erlebt. Wenn er z B verloren gehen sollte, wie die drei, die ich im Sommer von Leipzig aus in meine Hei­mat schickte!

Du erhäl[t]st in diesen Tagen auch eine Nummer unserer Gartenlaube mit einem Artikelchen von mir. Ich wollte das­selbe könnte auch bei euch in die Öffentlichkeit und - allen­falls auch ans Geld gebracht werden. Unsere Gartenlaube zahlt noch sehr wenig. Für jenen Artikel bekomme ich höch­stens 8 fl. Banknoten. Für die Liebeszeichen berechnete man 65 fl, erhalten hab ich kaum die Hälfte. Und doch beklemmt mich Thalerlosigkeit und die vielen Abtheilungen meiner wunderbaren Brieftasche, um die du mich seiner Zeit be­neidetest, sind so merkwürdig leer, als nur etwas auf der Welt sein kann. Gekeilt werde ich auch nicht mehr werden, das ist mir klar, aber mutlos bin ich nicht. Ist erst einmal mein Roman aus dem Kopf, so will ich schon wieder etwas schrei­ben was Hände und Füße hat und seinen Weg findet. Warum sollte ich nicht hoffen, da sogar das Wible - hofft? Ich hab nun über die Liebeszeichen mich auszusprechen und zwar zuerst über meine Gedanken über die Strafe in der Dichtung. Das Unglück, wo es Strafe ist, soll den Menschen doch nur läutern, und nur den, der seiner Aufgabe nicht ge­wachsen ist, noch tiefer stürzen. Philomena küßt just nicht um dem Christian untreu zu werden, nicht um zu küssen, sondern um für vorurtheilsfreier zu gelten. Im Läuterungsfeuer der Reue, die doch ihrem etwas selbstsüchtigen Wesen gemäß dargestellt sein dürfte, lernt sie den endlichen Ge­liebten schätzen und verdemütigt sich vor ihm, wozu sie es ohne die Kußgeschichte wol niemahls gebracht hätte. Das Mädchen ist zu wenig tief angelegt, als daß man mehr von ihm verlangen könnte.

Aus der Erzählung geht hervor, daß auch hier geküßt wird (Männer erinnern sich daran - Frauen küssen Kreuze u dgl) nur die strenge Sitte, öffentliche Meinung ist dagegen. Mir kommts vor, der Kuß ist hier etwas Großes, die Liebe etwas Unheiliges. Drum ist der Kuß Verliebter-Sünde. Aber in einem Augenblick, wo eine Mutter ihr Kind glücklich sieht, wo sie so erregt ist, wie wenn sie selbst in freudigem Dank­gebeth ihr Christusbild küßt, da findet sie natürlich, was in ruhigen Augenblicken die Verknöcherte Dienerin der stren­gen Sitte streng tadeln müßte. In der Erzählung wollte ich nebenbei den Kampf des rein Menschlichen mit dem künstlich geschaffenen, im Wesen des Volkes nicht vorhandenen Vor­urtheil zeigen. Vielleicht hätte das weiter ausgeführt werden sollen, doch wollte ich eben unsere Pfarrer einmal in Ruhe lassen. Es kommt immer schief, so oft ich das will. Als ich von Leipzig kam, erschien mein Kampf mir etwas klein. Ich wollte ruhig meinen Roman vollenden und athmete Friede und Versöhnung. Da hatten die Herren wieder Zeit eine Saat zu streuen die jetzt überall ausschlagt. Nun aber kenn ich auch keine Gnade mehr. Ich hatte mehr Glück als Verstand, daß mir die Unvorsichtigkeit der Gegner das Heft nochmals in die Hand gab. Jetzt muß es zum Biegen oder Brechen kom­men. Die Gegner scheinen auch so zu denken. Vorgestern wurde in Reutte, wo Du katholische Prozession mitmachtest, wörtlich foJgendes vor voller Kirche gepredigt: „Nicht nur da draußen nimmt die Glaubenslosigkeit überhand, auch in engen Thälern wie in der Nachbargemeinde Schoppernau glaubt man nicht einmal mehr an Gott und an die Unsterb­lichkeit der Seele." u s w

Das Volk wird in erschreckender Weise aufgehetzt. Seit Rüscher etwas gebunden ist, beginnen andere zu hetzen. So, das ist nun der erste Brief mit täglicher Post. Ich bitte Dich, sie doch auch recht fleißig zu benützen. Schreib mir, wie Dir der Artikel gefalle, und benütze ihn wie Du willst u kannst. Weißt Du nichts damit anzufangen, so schick ihn wieder. Vorher lese ihn dem Klub vor und melde ihm mei­nen herzlichsten Gruß.

Was macht Hirzel? Ich werde ihm dieser Tage wol auch ein­mal schreiben. Jetzt bin ich wieder am Roman, das nächste Mal sollst Du nun bestimmt davon hören. Grüß mir die lieben Deinen und alle die mir wohl wollen. Mit herzlichstem Gruß u Handschlag

Dein  Freund Franz Michael Felder

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