AN RUDOLF HILDEBRAND [ENTWURF]

lfndenr: 
208
8. Juli 1866

Verehrtester Herr Hildebrand!

Ich zweifle ob Sie meinen Brief vom 18 v. M. erhielten und will daher vorerst den Inhalt jenes Schreibens kurz wieder­geben. Ich zweifelte, ob meine Briefe sich zum Druck eignen, doch dieselben gehören Ihnen und ich weiß, daß Sie thun werden was gut ist. Jetzt wäre freilich zu so etwas keine Zeit. Ich kann mir denken, wie groß die Aufregung allüberall sein muß, denn selbst hier bei uns ist die Stimmung der Art daß ich sie - kurz - nicht beschreiben kann. Gestern holte ich die Zeitungen selbst, weil ich nicht bis heute warten konnte, und heute hatte ich das Zimmer voll Bauern, auf dem Dorf­platz hörte man mir aufmerksamer zu, als der Predigt un­seres Pfarrers, eines jungen verbrixnerten Bregenzerwälders, den man für einen Tiroler halten könnte wenn man nicht wüßte, daß das nur Brixnerismus ist, was man auswärts für Tirolerhaftigkeit hält. Auch die Tiroler sind Deutsche, und wenn die neuesten Gerüchte sich bestättigen, so können wir gar wunderliche Dinge erleben. Doch davon, wenn ich ein­mal gewiß weiß, daß Sie meine Briefe erhalten werden. Ich wollte, Sie hätten heute meine lieben Bauern bei mir sehen und hören können. Das ist nun doch endlich nicht mehr die gleichgültige selbstsüchtige Masse von 1859. Damahls war man wirklich so theilnamslos wie ich in den Sonderlingen erzählte. Aber Sie haben doch recht! Franzen sind die Zei­tungen zuweilen zugesendet worden oder es muß schärfer betont werden daß er in dem Zustand, in welchem er die Heimath verließ, sich so zu sagen um Gott und die Welt nicht mehr kümmerte. Welches von Beiden? Ich glaube fast das Letztere.

Sie schrieben mir, daß Hirzel ein schweres Leid erfahren. Das bedaure ich recht von Herzen und möchte gern etwas mehr davon inne werden wenn es mir auch weh thun wird. Die letzten Wochen war ich in meinem Vorsaß, dort wars ruhig und still, aber ich konnte mir doch nie recht wohl sein lassen, und immer trieb es mich heraus um etwas Neues zu hören. Nächstens werden wir tägliche Post bis hieher be­kommen. Das freut mich ungemein, ich darf auch sagen, daß ich viel dafür gewirkt habe.

Mit dem letzten Brief hab ich auch etwas fürs Wörterbuch geschickt. Nun, daran wäre allenfalls nicht viel verloren da ichs bald wieder geschrieben hätte, mehr würde ich bedauern wenn Sie meine Antworten auf Ihre Fragen nicht erhalten haben sollten. Ich lasse dieselben nochmals folgen:

Klipso mit einem s Klips Klipslar Griffeln mit f von Griffel wie mit dem Griffel rechnen Echo - das Widergeben.

(die) Klammor - das Festhaltende. 1) ein eiserner Hacken 2) die Waldameise

Lauine wird hier ohne w ausgesprochen und kommt vielleicht von der lauen Luft in der die Lauinen entstehen denn die bei kaltem Wetter vorkommenden Schneestürze nennt man Staub (äs kunt a Stoub - es kommt ein Staub). Klapf der, eine schwere, drückende gleichsam klapfende Menge. Das Bild wird also statt dem Worte viel gebraucht. Klamperle einem ein - anhängen

wir sagen einem einen Schlätterling anhängen das heißt, Böses von ihm sagen um ihn lächerlich zu machen, trotzig antworten. Schlättoro heißt schütteln, rasch hin und her be­wegen. Schlätterling der beim Knüpfen bleibende Rest eines Fadens, eines Seiles der Anhängsel. Klumpen, großer Bissen

i d Klamporo in die Enge Verlegenheit kommen Den von Ihnen mir zugesendeten Apetitsbissen hab ich ver­schlungen und bin so hungrig geworden daß ich - trotz allem und allem gleich die bei Brockhaus erscheinenden deut­schen Klassiker des Mittelalters bestellte ohne nach zu fragen was wol mein Finanzminister dazu sagen werde. Wenn schon die Zeitungen die ich gern lesen möchte, nicht mehr ganz neu wären, für mich hätten die doch noch den vollen Werth und Sie nähmen dem nicht mit Glücksgütern gesegneten Kleinbäuerlein eine Sorge ab, wenn Sie mir die Sachen etwas billiger verschaffen könnten. Meine Bücher kosten mich im Verhältniß zu meinen Einnahmen schon viel Geld und hungern lasse ich die meinen nun einmal nicht. Früher hab ich oft den Bauern beinahe recht gegeben wenn sie sag­ten Es sei besser wenn man es in den Armen hab als im Kopf. Aber die Bücher blieben mir doch immer liebe theure Freunde und seit ich an Sie schreiben darf ist mir ein neues Leben aufgegangen.

Vor einigen Wochen hab ich 2 Nummern der Norddeutschen Zeitung und darin eine Nachricht von mir erhalten. Ich bitte den Verfasser jenes Artikels freundlich zu grüßen. Sie können ihm auch mittheilen daß ich nie in der Fremde gewesen sei. Auch drängt es mich, auszusprechen, daß ich dem Pfarrer Stockmeier, einem wakern Tiroler sehr viel zu danken habe, wenn er auch meine Leserei nicht gerne sah. Unser jetziger Pfarrer ist ein Bregenzerwälder, aber er ist viel verbrixneter als jener. Man kann von ihm oft den Ausdruck „wir Tiroler" hören was sich dann die guten Bäuerlein allerdings nicht recht gern gefallen lassen.

Doch Sie werden wichtigeres zu lesen haben als meine Briefe. Leben Sie recht wohl.

Mit tausend herzlichen Grüßen von den Meinen an Sie, dann auch Ihre Freunde und alle die sich um mich kümmern

hochachtungsvoll Ihr ergebener Franz M. Felder Ich habe auch meine Photografie beigelegt.

Keine