VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
59
11. September 1862

Mein theurer Freund!

Deinen letzten Brief habe ich richtig erhalten. Es hat mich sehr gefreut, daß Du so schnell mir aus meiner Verlegenheit geholfen hast, und bereitwillig Dir Mühe gäbest in Ermang­lung eigener Baarschaft mir sonst Geld zusammen zu bringen. Ich erhielt Deinen Brief, Gott Lob, wieder in meinem Quartir, denn am 28ten vorigen M. konnte ich das Spital wieder ver­lassen, und fühle mich wieder so gesund und wohl wie je. Meine wiederholte Kränklichkeit in Wien und meine Geldver­legenheit scheint mir die Ursache gewesen zu sein, daß Du so derb über unsere Residenzstadt loszogest u. mir riethest Wien zu verlassen. Ich würde deßhalb diesen Punkt berührt haben, auch wenn Du mich nicht aufgefordert hättest, dieses zu thun.

Nun denn: Meine erste lebensgefährliche Krankheit, der Thyphus, kann allerdings dem hiesigen Klima zugeschrieben werden, auch die Blattern hätte ich vielleicht an einem ändern Orte nicht bekommen; Diarrhe und d.g. aber sind Zufälligkeiten, die überall vorkommen können. Fast alle meine Landsleute, die ich hier kenne, sind frisch und gesund, nur daß einige den Thyphus überstehen mußten. Also glaube ich wohl annehmen zu können, daß es eben blos Zufall war von ändern Unpäßlichkeiten heimgesucht zu werden; habe ich nicht auch in Feldkirch, in dem gesunden heimischen Klima, Rippfellentzündung und damit in Verbindung Gelb­sucht u. andere Kränklichkeiten zu überstehen gehabt? Habe ich nicht auf dem frischen Krumbach Jahre lang an Husten u. Brustweh gelitten, u. ist es mir nicht fast jedesmal, auch noch in der 8ten Klasse übel geworden, wenn ich mich lange in der Kirche oder sonst an einem kalten Orte ruhig aufhielt? Und sieh, diese Leiden leben blos mehr in der Erinnerung hier im verpesteten Wien.

Nach überstandenem Thyphus glaube ich daher an einem ändern Orte ebenso vielen Gefahren für meine Gesundheit ausgesetzt zu sein, als hier.

Du findest es auch unbegreiflich, oder wenigstens kommt es Dir unerwartet, daß ich Jemanden in meiner Heimat um Geld angehen muß. Wenn Du aber bedenkst, daß fast jeder Stu­dent hier wenigstens einige Hundert Gulden jährlich v. Hause bekommt, während mir nur einige Geschenke von Vorarlberg zufloßen, die im Ganzen eine nicht gar große Summe aus­machen; wenn Du ferner nicht aus den Augen läßt, daß ich öfters, in diesem Jahr zwei mal, das Unglück hatte wegen Krankheit in's Spital zu gehen, und daß ich auf die ganz sicher erwarteten und doch nicht erhaltenen 300 fl Stipendium hin auch etwas sündigte, so wirst Du begreifen, daß ich in Geld­verlegenheiten kam. Das wirst Du ohne Zweifel begreiffen. Aber unbegreifflicher scheint es Dir zu sein, daß ich mich nicht an Bekannte in Wien gewendet habe. Allerdings fehlt es mir nicht an solchen, und manche davon haben auch Geld. Auch den Vater aller Vorarlberger, wie Du den k. Rath Berg­mann nanntest, kenne ich wohl, habe ihn öfters schon be­sucht, und er kann mich sogar recht wohl leiden. Aber dieser hat es wie andere Landes-Väter, man wird von ihm gut emp­fangen, er verspricht auch einem in Verlegenheiten an die Hand zu gehen nur nicht in Geldverlegenheiten, „denn es sind schlechte Zeiten, in denen man nicht weiß, wie man mit dem wenigen Geld daraus kommen kann." - Ich kenne solche, die sich doch an ihn gewandt haben, aber statt ihnen einige Gulden vorzustrecken, hat er ihnen Einen geschenkt; daher habe ich es auch unterlassen, ihn anzusprechen, da mir ein Gulden doch nicht helfen konnte.

Das ist nun einmal so in der Welt u. ganz besonders hier, daß die sogenannten Freunde aufhören freundliche Gesichter zu machen, wenn man sie um Geld anspricht, und deßhalb habe ich mich an Dich gewandt, da ich überzeugt war, daß Deine Freundschaft auch ein Opfer zu bringen bereit ist, und diese Überzeugung wurde durch die folgende Thatsache zur Ge­wißheit.

Anderes, wie die rathlosen Rathsherrn, die verschiedenen Noten u.s.w. bekümmert mich in Wien nicht mehr als an ändern Orten.

Warum sollte ich also etwa nach Innsbruck gehen? Dort habe ich keine Lektion. Hier habe ich Eine, dort habe ich keine Bekannten, außer Studenten, hier habe ich solche. Ferner müßte ich gegenwärtig trotz Deiner Geldsendung doch noch mit Schulden fort, da ich im Quartir allein bei 60 fl schuldete. Auch in Innsbruck fliegen einem die gebratenen Vögel gewieß nicht in's Maul. Moosmann z.B. ist aber doch nach Innsbruck gegangen, nicht wahr? O ja. Er hat aber so lange er hier war, von Lindau Geld bekommen, so viel er wollte, ja mehr als er wollte; hat er am Ende des Monat um 50 fl geschrieben, hat man ihm 60 geschickt; hat er um 100 fl geschrieben, so hat man ihm 120 geschickt, er hat leicht seine Studien auf diese Art rechtzeitig bemeistern können, u. ist dann auf Lindau's Unkosten nach Innsbruck gereist, hat dort ebenfalls auf Lin­dau's Unkosten die Rigerosen-Gelder bezahlt, u. ist dann wie­der auf dieselben Unkosten nach Wien gekommen u. lebt noch so. - Wenn ich nur eine halb so reiche Quelle hätte, wie er, so wäre ich sicher jetzt auch in Innsbruck. Ich werde auch wahrscheinlich noch hingehen, wenn ich überhaupt rigero­sire, wenn ich aber blos die Staatsprüffung mache, so bleibe ich deßhalb natürlich hier, da es eine nicht geringe Schande wäre nach Innsbruck zu gehn, blos um eine Staatsprüffung zu machen. Glaube mir sicher, daß ich meine Lage oft genug in's Auge gefaßt u. erwägt habe ob ich hier bleiben soll oder nicht; aber es scheint mir bei weitem das vernünftigste vor­derhand noch hierzu bleiben.

Seit einigen Tagen gehe ich täglich etliche Stunden in die Kanzlei eines Dr juris dahier, verdiene mir dadurch zwar noch unbedeutendes, es wird aber wie ich hoffe immer besser wer­den, wenn ich mich einmal mit den Arbeiten besser auskenne.

Gerade dies ist auch ein bedeutender Grund, warum ich einstweilen noch hier zu bleiben gedenke. Daß ich Dich, meine Mutter und die ändern Bekannten schon so lange nicht mehr besuchen konnte, thut mir leid, aber ich tröste mich mit der Hoffnung, daß es doch einmal in nicht gar langer Zeit geschehen wird.

Es hat mich sehr gefreut zu erfahren, daß Du schon Vater eines gesunden Knaben bist, ich gratulire Dir vielmals, und wünsche, daß er Dir recht viele Freude machen wird. Für Deine Unterstützung und Bemühungen statte ich Dir meinen herzlichsten Dank ab, u. lasse ebenfalls allen, die dazu bei­getragen haben, vielmals meinen Dank aussprechen. Über die Entwicklung meiner Verhältniße bald näheres. Dich, Deine Frau u. Mutter, sowie meine ändern Bekannten und Wohlthäter vielmals grüßend zeichnet sich Dein dank­barer Dich stets liebender Freund

Jochum.

Keine