VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
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7. Juli 1864

Lieber Freund!

Du wirst staunen vom 7. Juli einen Brief von mir aus Wien zu erhalten. Diese Zeilen mögen Dich darüber aufklären. Am Tage meiner Abreise von Hopfreben gieng ich ziemlich urwäch über den Arlberg, nur etwas schwermüthig; ich über­nachtete in Landeck u. kam Freitag in Innsbruck mit dem Stellwagen an. Daselbst blieb ich bis Dinstag, konnte aber von einem geeigneten Platze um dort zu bleiben nichts erfahren. Ja selbst in dem Falle, daß ich nach dem 1. Rigerosum schon Dr. gewesen wäre, würde ich ohne Zweifel keinen Platz ge­funden haben, wenigstens keinen, der etwas getragen hätte. Da aber die Taxen für Alle Rigerosen 300 fl kosten, u. man während der Zeit zwischen denselben auch nicht von der Luft leben kann, so kam es mir am Ende gescheider vor, nach Wien zu gehen, wo ich doch bekannt bin u. mich wenigstens durchzuschlagen hoffe, als weiß Gott wo Schulden auf Schul­den zu machen und am Ende doch nichts zu haben als einen Titel. Ich habe also kein Rigerosum gemacht, sondern das Geld im Sack behalten u. bin jetzt wieder hier im selben Quartier, wo ich früher war aAlservorstadt, Währingerstrasse Nr. 16 Thür 18/.

Hier muß ich von den 61 fl, die ich noch rückständig bin aller­dings etwas abzahlen, aber doch nicht alles, so daß ich noch einige Zeit von dem übrigen leben kann, wie ich hoffe bis ich mir das Nöthige verdiene. Ich gedenke mich nämlich vorläu­fig um Lektionen umzusehen, die ich auch noch geben kann, wenn ich praktizire, denn ein Nebenverdienst (oder vielmehr Hauptverdienst) ist fast nothwendig um durchzukommen in der goldnen Zeit der jungen Praxis, falls man kein eigenes Geld hat, wie Du wohl weißt.

Falls alles recht gut geht, werde ich dann hier rigerosiren u. sonst werde ich mich mit der Staatsprüfung begnügen u. es machen wie manche andere die zu wenig Geld haben. Von hier kann ich Dir diesmal noch nichts berichten, da ich erst angekommen bin, davon das nächste Mal. Den Elmenreich habe ich nicht getroffen, aber das Buch u. den Brief eingemacht u. einem Bekannten von ihm über­geben.

Mit meinen Paar Zwetschken, die bei Dir sind, lassen wir's glaube ich noch im Alten. Die Bücher, Hemden u. Socken hätte ich zwar allerdings gerne hier, aber ich fürchte, daß die Fracht am Ende mehr kostet als sie werth sind, deßhalb lasse es vor der Hand liegen. Gile, Röcke u. Hosen kannst Du ver­schenken, vertauschen, vernichten, kurz frei damit verfügen, das Tuch zu Hemden kannst Du auch behalten u. beliebig verwenden, denn nach Wien schicken, wo es vermuthlich wohlfeiler ist, wäre doch sicher eine Thorheit. Kurz: wenn ich die Bücher oder ewas von der Wäsche nothwendig brauche, so werde ich es Dir dann schon berichten, das andere kannst Du verwenden, insoferne es verwendbar ist. Von Deinem Nümmamüller u. Schwarzokaspale habe ich in Innsbruck nichts gehört u. alle mit denen ich davon sprechen wollte, haben ihn noch gar nicht gelesen. Von meiner Fahrt ist wenig Erwähnenswerthes zu sagen. Nur folgende Einzelheiten will ich Dir erzählen: Von Landeck nach Innsbruck fuhr ich allein im Coupe l Classe (obwohl ich für die zweite Classe gezahlt hatte), denn es hatte niemand etwas dagegen einzuwenden weil es leer war. 2 Stunden vor Innsbruck stieg ein sehr nobel gekleidetes Fräulein ein, ich legte die Paragrafe bei Seite u. suchte ein Gespräch anzu­knüpfen. Aber kein Thema wollte ziehen. Der Grund war sehr leicht herauszubringen, wenn man ihre Augen beobachtete, die an meinem Hute, Rockkragen ect. mit Vorliebe verweilten. Ich sah bald, daß nur ein Stoff ihre Zunge zu lösen im Stande sein dürfte, u. so war es denn auch; ich machte es wie es ein Mediziner zu machen pflegte, nämlich ich fing an, ihr von meinen Rigerosen zu erzählen u. im Nu war sie umgewandelt, sie plauderte von Dach, half mir in Innsbruck des Rohmbergs Wohnung suchen u. lud mich sogar ein sie selbst zu be­suchen. Soviel bewirkt oft ein Schlagwort. An der bairischen Gränze sekirten mich die Landjäger wegen eines Paars neuer Pfeiffen, die ich von Innsbruck mitnahm, daß ich fast die Bahn versäumte.

Viele Grüße an Dein Weib, Mutter u. Kinder, meine Mutter, Sieberle, Tresel, Leo's ect. wie auch Dich vielmals grüßt Dein Freund

Franz Jochum

Keine