VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
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24. August 1862

Theuerster Freund!

Du wirst mich vermuthlich bis August persönlich in Schop­pernau erwartet haben. Ich hoffte auch lange, um diese Zeit in meiner Heimat weilen zu können, aber leider sehe ich mich abermals verhindert Wien zu verlassen. Der Ort von dem aus ich Dir diesen Brief schreibe, heißt Spital. Schon lange hatte ich Abweichen u. fühlte mich nicht recht gut; dann bekam ich auch noch einen Hautausschlag u. bin auf den Rath eines Arztes zuletzt wieder in's Spital gegangen. Jetzt geht es mir wieder besser u. ich hoffe bis in 14 Tagen oder 3 Wochen wenigstens vollkommen hergestellt zu sein. Meiner Mutter schreibe ich nur, daß ich etwas unwohl bin, damit sie sich nicht zu stark bekümmert, aber Dir kann ich schon die volle Wahrheit schreiben.

In finanzieller Beziehung ist es mir auch nicht nach Wunsch gegangen. Ich hoffte ganz zuversichtlich heuer ein Stipen­dium von 300 fl oder wenigstens von 250 fl C.M. zu bekom­men, u. alle meine Bekannten glaubten es eben so sicher. Während dem ist es durch Schleicherei u. Empfehlungen ändern gelungen, damit betheiligt zu werden, und ich auf Recht u. Billigkeit rechnend bin leer ausgegangen, u. habe nur die vollständige Überzeugung gewonnen, daß keiner sich auf Recht verlassen kann, sondern daß einer, um durchzukom­men, kriechen u. schleichen muß. Habe ich aber so lange ohne Stipendium leben können, so wird es jetzt auch sonst gehen. Das ärgste ist, daß ich schon längere Zeit darauf hin gesündigt habe, u. deßhalb bin ich im Quartier schon meh­rere Monate Quartiergeld, Wäsche etc. schuldig u. ebenfalls das Collegiengeld (die Hälfte nämlich, von der ändern bin ich befreit) von letzten Semester [10fl C.M.] rückständig. Weil sich diese Zahlungen nicht mehr lange verschieben lassen, so möchte ich Dich deßhalb ersuchen mir einiges Geld zu leh­nen, wenn Du es leicht thun kannst. Ich werde es Dir bald möglichst wieder zurückstellen; wenn Du aber nicht in der Lage bist, mir aus meiner jetzigen Verlegenheit zu helfen, so ersuche ich Dich mir recht bald es zu wissen zu machen, damit ich nicht vergeblich darauf hoffe. Ich werde Dir dann auch gleich wieder schreiben, u. das Nähere von meiner künf­tigen Lage zu wissen machen.

Ich grüße Dich, Deine Gattin u. Mutter herzlich u. verbleibe Dein Dich ewig liebender Freund

Jochum

NB. Bitte beiliegenden Brief meiner Mutter zu übergeben. Adreße wie früher: Wien Alservorstadt Währingergasse Nr. 275 Thür 18. (Wenn ich noch bei Ankunft eines Briefes im Spital sein sollte, so wird man den Briefträger schon zu mir hereinschicken.)