VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
145
11. April 1865

Theurer Freund!

Heute bekam ich Deinen Brief mit den 2 Dokumenten, ich spreche Dir für die Besorgung den herzlichsten Dank aus. Der Stempel zeigt mir zwar, daß Du mehr als Dank zu beanspru­chen hast, jedoch das andere später. Wie Du siehst, suche ich Deinen Vorwürfen gerecht zu werden, nämlich über die schrecklich großen Buchstaben hast Du Dich nicht mehr zu beklagen, auch den ex offo Stiel will ich verlassen, indem ich hoffe, nicht in's andere Extrem verfallend, neue Vorwürfe zu verdienen. Deßhalb Nachsicht, wenn die Gedanken, wie Kraut und Rüben gemengt sind. Jetzt kommt die Gratulation, die eigentlich vorn hin gehört hätte, nämlich wegen jung Mikle; ich will aber nicht zu viel sagen, damit ich Jahr für Jahr etwas Neues zu schreiben weiß, diesmal wünsche ich ihm trotz aller sonstigen Harmonie mit dem Kaspale nur etwas blassere Backen. Du magst hingegen auf trockener Erde recht bald gesund u. munter wandeln. Jetzt wollen wir schauen, woher es kommt, daß Du weder Antwort noch Stückle auf Deinen letzten Brief erhalten hast? Daß ich den letzten Brief erhalten habe, hast Du herausgebracht durch einen komi­schen Sch[l]uß, ich muß bekennen, ich wäre nicht darauf ver­fallen; aber kurz Du hast das Wahre wenigstens getroffen. Ich war nach dessen Empfang willens, ihn sehr schnell zu beant­worten, wollte mich aber doch noch etwas näher um die Stik­kerei erkundigen. Ich that es u. erfuhr, daß die Stickerei u. Näherei, wie sie bei uns, wenigstens in der Regel, betrieben wird, vom Erzgebirge her u. zwar recht wohlfeil geliefert werde (Wenn man vielleicht in der Angelegenheit des Einkau­fens sich erkundigen würde, könnte man vielleicht eine andere Auskunft bekommen), u. daß nur die ganz feine Nähe­rei gut bezahlt sei. Ich wollte nähere Erkundigungen ander­wärts einziehen, als sich unter den Rippen ein heftiger Schmerz bei jedem Schritt u. Athemzug bemerkbar machte; ich errieth gleich mit wem ich es zu thun hatte, zog mich aus u. ging in's Bett. Nachdem ich etliche Tage gar nichts mehr gefühlt, wagte ich mich wieder in's Freie, aber nicht unge­rächt kehrte ich zurück, der Schmerz war stärker geworden, als anfangs. Jetzt ging das Brüten von Neuem an. Nach ein Paar Tagen war jeder Schmerz wieder fort, aber ich brütete zu, vielleicht länger als nötig. Das Resultat ist, ich bin wieder ganz gesund, während heuer sehr viele hier wie anderswo an der Rippfellentzündung gestorben sind z.B. Redakteur der Augsburger Allgemeinen, die vielleicht auch noch leben würden, wenn sie es gemacht hätten wie ich. Im 8ten Cours in Feldkirch hatte ich sie auch, aber auf der ändern Seite als heuer; Du erinnerst Dich vielleicht, daß ich im Sommer nach­her einige Zeit auf dem Thannberg (Warth u. Zug) aufhielt. Der 3te wichtige Grund, der noch andauert, ist, daß ich das nöthige Geld nicht leicht erübrigen konnte, um einige Stücke Tuch kaufen u. Vordrucken lassen zu können. Mit Anfang des nächsten Monats dürfte eine ganz kleine Sendung abgeschickt werden, wenn ich die Wahrscheinlichkeit gewinne, daß wenigstens kein Nachtheil zu fürchten ist. Es ist mir auch etwas anderes eingefallen, das etwas abwerfen könnte, näm­lich Tuch zu Röcken u. Hosen ect. hinauf zu schicken, aller­dings brauchte das einen größeren Fond; ich will schauen, daß ich eine Musterkarte bekomme, wo bei jedem Stückchen Tuch der Preis verzeichnet ist u. es dann mitschicken, Du kannst dann selbst beurtheilen, ob es viel wohlfeiler ist, als oben zu kaufen; u. es könnte, wenn sich die Stickerei u. Näherei rentiren sollte, auf Bestellung etwas mitgeschickt werden. Bios könnte dann Xaver D[r]exel mit Übernahme sol­cher Gegenstände ebenso wenig einverstanden sein, als allen­falls der Gräber Wohlgefallen haben dürfte. Da das Gewicht weder hinunter noch hinauf das legale Ge­wicht von 25 [Pfund] erreichen dürfte, so könntest Du einige [Pfund] Geiskäs mit zurück schicken, wenn Du solche leicht bekommen könntest, da, ich schon seit Jahren wiederholt gefragt worden bin, ob ich keine könnte kommen lassen. Ein alter Herr hat nämlich solche Gelüste. Es kommt mir selbst komisch vor, wie zwischen den Paragrafen der Gerechtigkeit solche Käs-, Hosen u. Putzgedanken hervorwuchern können; aber es ist, glaube ich, ein gutes Zeichen, mein Geist scheint bald den nötigen Grad von Trockenheit erlangt zu haben u. sich der Praxis zuzuneigen; aber auch poetische Blümchen keimen zur Seltenheit empor, einmal wollte ich einen Selbst­mordversuch eines Mädchens in den eisigen Fluten des Donaukanals poetisch wiedergeben, wie ich ihn gesehen u. so manches andere, aber die Muse ließ mit der Begeisterung immer zu schnell nach, nur einmal hat eine aus dem Leben gegriffene, selbst gesehene, Scene mich zu einigen Stroffen hingerissen; wenn Du den Anfang hörst hast Du schon genug, sowohl die schöne Wahl der Gedanken, als des Versmasses u. die Ausarbeitung zu bewundern, u. so höre denn den Sänger u. werde begeistert:

Wer storisch und dumm, ganz ohne warum, Dem vihischen Triebe, Gewohnheit zu Liebe, bald frisst u. bald sauft, Des Tags schon berauscht* Aufs Pflaster hinsinket, Dann wieder­um trinket, Der gleichet genau der sürrigen Sau, Im Koth herumwühlen, Nichts Edleres fühlen - etc. Lieber Leser! ich sehe die Muse hat auch Dich beim Lesen erfaßt, aber es hilft nichts, Du mußt wieder in's Leben zurück, zurück in die nüchterne Wirklichkeit; um Dich aber nur allmählig dahin zu bringen, theile ich Dir mit, daß ich heuer im Ganzen mehr als je im Theater war, u. zwar in den obersten Regionen. Davl­son, mein Liebling, hat seine Besten Rollen vor meinen Augen gespielt, als: Carlos, Faust v. Goethe, Kaufmann v. Venedig, Räuber, Loorbeerbaum u. Bettelstab (Holte!) Hans Jörge u. andere, dann besuchte ich öfters das Burgtheather (das Beste hier in Wien). Durch die „neue fr. Presse" (dessen Redaktor Lechner aus Vorarlberg eingekastelt wurde) erfuhr ich, daß in Schoppernau 2 Paar Rehe sich freiwillig zur Beute hergaben. Da hätte ich auch besseres Spiel gehabt als das letzte Jahr, wo sie sich nicht einmal haben schießen lassen, wenigstens von mir. Ihr werdet sie wohl zähmen, u. im Frühjahr wieder lau­fen lassen, damit sie ihre Jungen mitbringen. Mit dem Lassal habe ich noch nicht Bekanntschaft zu machen Zeit u. Gele­genheit gefunden. Zur Vollendung des I. Bandes „Sonder­linge" gratulire ich, wagst Du es nicht ihn gleich drucken zu lassen.

Ich schicke Dir hier auch eine Photografie mit, Du kannst sie meiner Mutter oder dem Thresele geben, wenn der Abzugzet­tel nicht bewirkt hat, daß sie gar nichts mehr annimmt, bald folgt eine andere (alle gleicher Qualität). Recht viele Grüße an Obgenannte ect. ect. wie auch Dich (mit Wiederholung meines Dankes) samt Mutter, dem neu aufer­standenen Wible u. Kindern recht herzlich grüßt Dein immer aufrichtiger Freund

Jochum

Meiner Mutter kannst sagen, daß es mir gut gehe, u. was ihr aus dem Briefe allenfalls interessant sein dürfte, wie sie klagen sollte, daß ich ihr selbst nicht schreibe, so kannst Du ihr begreifflich machen, daß ich im Grunde doch immer ändern nicht ihr geschrieben habe, u. daß dieses auch der einzige Grund sei, warum ich nicht an sie schreibe.

Keine