VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
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24. Dezember 1864

Werthester Freund!

Alles Gute zum Neujahr wünsche ich von Herzen Dir und all' den Deinen.

Deine Briefe vom 24. u. 26. v.M. habe ich richtig erhalten. Neue Kühe sind gekauft und das Kopfweh hatte am 26. schon wieder nachgelassen. Mögen Dir die Kühe bleiben und recht gut ausfallen, das Kopfweh Dich aber ewig fliehen. Daß das letzte Jahr für Dich nicht das beste war, weiß ich; aber einige gute Jahre, die, wie wir hoffen wollen, kommen werden, wer­den den Schaden wieder gut machen. Aber ich muß mich diesmal etwas kurz faßen; Zeit u. Porto wollen es, deßhalb verzeihe mir die nur aus dieser Ursache allenfalls entstehen­den Lakonismen:

Deinen Nümmamüller habe ich bisher bei einigen Buchhänd­lern nicht bekommen, ebenso nichts von ihm reden gehört; ich möchte aber mit der Zeit lieber ein Exemplar mit eigenhändi­ger Widmung von Dir selbst. An den Lassal mich zu machen habe ich bisher noch keine Zeit gefunden, jedenfalls aber wird es noch geschehen; Zeitungsnachrichten verrücken mir den Kopf nicht so leicht, ich bin gewohnt, wenn es überhaupt möglich ist, zu untersuchen, was ich bezweifle oder andere mir abdisputiren; übrigens bürgt der Name u. dessen Popula­rität, daß wenigstens manches Interessante zu finden sein muß. Deine „Sonderlinge" - lasse sie nur in Stuttgart drucken - hoffe ich bald nach ihrem Erscheinen lesen zu können. Zum neuen Pfarrer „Glück auf"; dem wirst wohl auch Du es recht machen können. Sophismus:

„Stockmeier gleich Feuerstein, Feldkircher Zeitung auch  = Feuerstein, also Stockmeier gleich Feldkircher Zeitung" -. Meine Gratulation Deinen jungen Flügeln, die höher trugen als die nimmermüden des alten Koaradobuben. Arbeite fleißig im Stofel der Gemeinde - Stofel soll nur den Mangel der Weinberge bedeuten -, und schaue dazu, daß Deine wilden Buben, wie Du sie nennst, und alle künftigen Dinge keine schwächern Schwingen bekommen als Du selbst. Um nun auch auf die Stickereien zu kommen; Gut Ding braucht Weile. Vor allem ändern muß ich Dir bemerken, daß ich die Muster nicht an Stettner schicken kann, weil auf diese Art zweimal und zurück wieder zweimal Zoll gezahlt werden müßte, ferner kömmt die Sache auf der Post viel zu theuer, besonders da gegenwärtig eine Stockung in allen Geschäften ist, so daß viele Kaufleute wohlfeiler verkaufen, als sie ein­kauften, nur um Geld zu bekommen. Bankrotte sind dick. Nach meiner Ansicht wäre das Praktische die Sache in Bregenz an jemanden zu senden (per Fracht u. transito), von dem sie Muxel's Kaspale mitnehmen könnte, u. so zurück; aber an wen? Erkundige Dich. Ferner muß ich bemerken, daß bei hier gangbaren Waaren mehr genäht werden muß als gestickt. Da würde ich dann allenfalls nebst der Vordrückerei auch ein gemachtes Muster mitschicken. Endlich müßte die Arbeit schön gemacht u. rein gehalten werden, sonst müßte ich mich um einen Bleicher umschauen, was bei kleinen Versuchen ­wie sie anfangs nur sein können - zu umständlich u. kostspie­lig wäre. Erkundige Dich um einen Mann in Bregenz. In Deinem zweiten Briefe erwähnst Du auch des Buches vom Pf Kohler. Wenn Du es genug gelesen hast, ersuche ich Dich, mir selbes auch mit einer Stickereisendung mitzuschicken. Heimgarten, Gartenlaube etc. habe ich zu lesen weder Gele­genheit noch Zeit, nur hie und da sehe ich die bekannten For­mate in einem Kaffehauseund lese was sich auslesen läßt; Jetzt wird Dir vermutlich statt meiner der Natter Gesellschaft zu leisten pflegen, bei den abendlichen Vorlesungen, da er sich sogar zu Dir zu ziehen beabsichtigte. Warum Du mir eine ganze Charakteristik von ihm schriebst, weiß ich zwar nicht; etwa daß ich meine Ansicht auch über ihn äußere, da wir ihn beide kennen zu lernen Gelegenheit hatten? - oder damit ich ihn besser kennen lerne? Die äußere Form des Ausdrucks paßt zwar auf keines von beiden, doch nehme ich das erstere an, den schon im zweiten wäre ich in Bezug auf meine Perso­nenkenntniß nicht geschmeichelt. Er ist auch nach meiner Ansicht unverdorben, unerfahren mit seinen Consequenzen: ohne Mißtrauen und - ohne List. Auch sein gutes Gedächtniß hatte ich Gelegenheit kennen zu lernen, nur muß ich wider­sprechen, daß es so nur bei Bauern vorkommt. Ich kenne z.B. einen Professor der Universität mit einem so enormen Gedächtniß „in jeder Beziehung", daß es mir bang würde unter allen Bauern ein solches herauszufinden; meine Ansicht ist, daß auch das Gedächtniß wie der Verstand durch vernünf­tige Übung gestärkt wird, jedoch gebe ich zu, daß bei wissen­schaftlich sich Ausbildenden die Pflege des Gedächtnißes im reiferen Alter gewöhnlich vernachläßigt wird, da es ihnen bequemer ist zu denken als zu merken; oder kurz: aus­schließliche Pflege des Verstandes ist Vernachläßigung des Gedächtnißes, wie ausschließliches Memoriren und Merken die Ausbildung des Verstandes unmöglich macht; aber neben einander kann Beides recht gut gedeihen, ja unterstützt ein­ander und macht erst den Mann. Ein der Gegend und der Welt überhaupt Unkundiger könnte aus Deiner Beschreibung v. Natter auf den Bregenzerwald überhaupt schließend, der Ansicht werden, daß dieses Völklein paradisisch, keine Abkömmlinge Adams u. Evas wären; ich aber ergänze zu ihm zurückkehrend Deine Charakteristik folgender Massen, oder vielmehr ich faße alles so zusammen: „Er ist ein in jeder Beziehung noch ganz unerfahrener Gedächtnißmensch". Unerfahrenheit, Unverdorbenheit u. gutes Gedächtniß bloß neben einander aufgezählt charakterisiren ihn noch nicht, das hattest auch Du, als Du schon schlau genug warst Deine zan­kende Mutter mit einer aufgesparten Dorfneuigkeit zu beschwichtigen. Nicht als ob ich Dir damit einen Hieb geben wollte, nein im Gegentheil, deßhalb halte ich Dich gerade unter anderm für höher. Natter, ohne daß man ihm kräftig unter die Arme greifft, wird sich nie zu einem vernünftigen Studium erschwingen; klarer Verstand u. scharfe Beobachtungsgabe ist nothwendig um für sich allein das zu werden, was man in Städten gebildet, bei uns auch besonders nennt. Was Du dem Natter so mit Wärme zu Gute rechnest, ist in meinen Augen theilweise nicht so hochstehend. Es giebt viele Extreme, bei welchen das Eine einen schönen Namen hat, das Andere einen Häßlichen, und doch ist das Sprichwort nicht falsch welches sagt: „Extreme berühren sich". Ja ich bin über­zeugt, daß oft die größte Zahl von Menschen die Scheide­wand an's falsche Ort setzt. Nehmen wir ein in Deinem Briefe vorkommendes Wort: Aufrichtigkeit u. Gegensatz Falschheit. Unter Aufrichtigkeit verstehen die Meisten: jedem auf die Nase binden, was er denkt, thut, hört, kurz was er weiß; ich nenne es zum Mindesten Schwazhaftigkeit, noch lieber Un­vorsichtigkeit oder Dummheit oder genauer: Schwazhaftig­keit ist es immer, Unvorsichtigkeit fast immer und Dummheit oft. Die Gegensätze ergeben sich von selbst. Bequem ist es allerdings mit Aufrichtigen (im gewöhnlichen Sinne) oder wie man sie besser nennen könnte mit Einfachen zu leben, wenn man nur selbst so klug ist verschlossen zu bleiben, denn man erfährt alles, und sie sind wenigstens so lange man bei ihnen ist, treue Begleiter, aber es ist ein Unterschied zwischen dem Bequemen und Vernünftigen. Ich wenigstens habe mir schon oft von Neuem den Vorsatz gefaßt, recht oft das Maul zu hal­ten, und ich halte es sogar für schön und edel, da man im gegentheiligen Falle oft auch ändern Unannehmlichkeiten bereitet. Aufrichtigkeit findet daher erst dort nach meiner Ansicht den Endpunkt, wo das Lügen anfängt. Bloßes Verber­gen der Gedanken ja selbst wenn man die Handlungen be­herrscht, so daß das Innere sich nicht offenbart, nenne ich nicht Falschheit, sondern im Gegentheil nach Umständen Klugheit oder Ehrlichkeit. Hätte ein Freund bei einem Freunde diese Gränze gezogen und darnach gehandelt, so wäre hier einer oder vielmehr zweien Familien viel Kummer und Angst erspart worden, mir allein brachte es Nutzen, denn ich bin dadurch, daß ich zufälliger Weise Mitwissender wurde, weil man mein Verhältniß zu einer dieser Familien nicht kannte, d.h. anfangs, in jene Lage gekommen, die Du als nobel bezeichnetest, vermutlich deßhalb, weil man mir dadurch das Maul stoppen wollte, das ich ohnehin gehalten hätte. Du begreiffst aber, daß auf diese Weise mißkannt werden auch sein Gutes hat, wenigstens für einen so materiellen Juristen. Der gute Natter mit seinen Eigenschaften hat mich aber ganz von meinem ursprünglichen Vornehmen kurz zu bleiben abgeführt, ich will mich daher jetzt desto kürzer fassen, da ich noch mehrere Briefe zu schreiben habe, nur etwas muß ich noch dem Obigen beifügen: Die verwickelten Verhältniße der oben angezogenen zwei Familien mit Außerachtlassung mei­ner geringfügigen Persönlichkeit ist das Interessante, das um es erschöpfend wieder zu geben, einen 3 bändigen Roman erforderte, auf dieses bezogen sich auch die wieder zitirten Worte: „unwiderstehlicher Zwang", wodurch ich Dich nichts weniger als einen Plauscher oder etwas ähnliches bezeichnen wollte, obwohl ich nicht läugnen will, daß mir der Jurist mit der reichen Partie nicht eingefallen sei. Ein ander Mal mehr. Mit geht es gut, so wie ich Dir das letzte Mal schrieb. Meiner Mutter schreibe ich nicht, weil sie doch nicht lesen kann, sage Du ihr was ihr interessant sein mag u. daß ich ihr ein recht gutes neues Jahr wünsche. Das nächste Mal schicke ich ihr auch ein Porträt.

Viele Grüße mit Neujahrswunsch an Dich, Weib u. Kinder, Mutter, Thresele, Sieberle, Leo's ect. u. den scharf chritisirten Natter, und schreibe bald Deinem aufrichtigen Freund

Jochum

Keine