VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
262
3. Dezember 1866

Theurer Freund!

Deine beiden  letzten  Briefe habe ich  richtig erhalten.  Ich hätte sicher den ersten beantwortet, bevor mir der zweite zugekommen wäre, wenn ich über den lieben Auftrag der Kronenwirthin in Schoppernau etwas zu berichten im Stande gewesen wäre. Aber auch jetzt nach so langer Zeit kann ich ihr nicht viel mehr sagen, als ich gleich anfangs gekonnt hätte. Ich gieng zur Informirung in dieser Angelegenheit mehrmahls zum Herrn Bergmann oder besser gesagt in seine Wohnung; anfangs traf ich ihn nicht, weil er verreist war, und jetzt nach seiner Rückkehr treffe ich ihn nie, weil ich ihn nicht treffe. Er wohnt beinahe eine Stunde von mir entfernt, und ich kann von meiner Arbeit vor sechs Uhr Abends nicht loskommen, wenigstens nur selten; er hingegen scheint eine große Nei­gung zu haben, Abends nicht zu Hause zu sein. Übrigens werde ich auch, nachdem was ich von seiner Frau erfahren habe, durch eine persönliche Besprechung mit ihm selbst wenig gewinnen. Seine Frau erzählte mir, daß der erblas­serische Albrecht in Ungarn in den Diensten ihres Mannes gewesen sei, bis er schon ganz heruntergekommen gewesen wäre, er sei dann zu ihnen gekommen in der Absicht nach Hause zu reisen, sei aber immer kränker geworden und end­lich im Spitale an Lungentuberkulose gestorben. Obwohl er in der letzten Zeit seiner Kränklichkeit wegen eigentlich nichts verdient hätte, habe doch ihr Mann bis auf den letzten Tag ihm 3 fl täglich bezahlt und nach seinem Tode seinen ganzen Baarnachlaß sowie alle Kleider mit Ausnahme eines Rockes, den der Hieronimus genommen habe, hinausgeschickt. Es kann sich also, wenn dieses Alles wahr ist, woran ich nicht zweifle, nur um das handeln, was Albrecht in seiner Heimat allenfalls besitzt (ererbt oder sonst erworben hat) und was er in seinem Testamente wird vermacht haben. Dieses soll beim Gerichte in Pest gelegen sein, welches Gericht jedoch schon ersucht worden sei, das Testament nach Vorarlberg zu schik­ken.

Wenn die Sache sich wirklich so verhält, so weiß ich nicht was ich hier thun soll, um der Frau Kronenwirthin zu nützen. Gerichtliche Schritte könnte ich auch auf keinen Fall mit der mir überschickten Vollmacht unternehmen, denn, um nicht davon zu reden, daß an einem Orte wo Advokaten und Notare bestehen, die Schritte der nicht selbständig berechtig­ten Personen dieser Stände, sehr beschränkt sind, es ist die Vollmacht nicht dem Gesetze entsprechend. Erstens sollte nämlich die Vollmacht über einen 50 X Stempel geschrieben sein, zweitens ist es in einem ändern Kronlande, als wo die Vollmacht ausgestellt ist, absolut nothwendig, daß die Unter­schrift beglaubigt ist; das müßte in diesem Falle beim Bezirks­gericht in Bezau geschehen und es wäre dazu neuerdings ein Stempel von einem Gulden erforderlich, endlich müßte, wenn ich wirklich eine Erbschafts Abhandlung hier durchzuführen hätte in der Vollmacht ausgedrückt sein, daß ich berechtigt sei, einen ändern Bevollmächtigten nach meiner Wahl mit gleicher oder beschränkterer Gewalt zu substituiren, denn wenn es zu einem Prozesse wegen irgend eines Punktes mit jemanden käme, dürfte ich sogar dann, wenn ich selbständi­ger Notar wäre, nicht immer selbst vor Gericht die Sache aus­machen, sondern ich müßte einen Advokaten dazu bestellen können u. bestellen.

Nach meinem Dafürhalten ist es das beste, einfachste u. wohlfeilste, falls sich die Sache wirklich so verhält, wie ich oben angegeben, daß sich die Frau Kronenwirthin an das Gericht in Bezau wendet, und schaut, daß das Testament von Pest dorthin geschickt wird, und falls das Gericht sich für unzuständig zur Verlassenschaftsabhandlung ansehen sollte, dasselbe ersucht, es möge bewirken, daß es im Wege der Delegation zuständig werde. Damit es aber dieses nicht braucht, soll sie angeben, ihr Bruder habe weder in Wien noch in Pest domizilirt, sondern sei nur zeitweilig dort gewe­sen, habe nie die Absicht gehabt an einem oder dem ändern Orte sich bleibend aufzuhalten, sondern er sei auf dem Wege nach Hause in Wien gestorben u. habe kein anderes Vermö­gen hinterlassen, als was sich in seiner Heimat befinde. Was das ist weiß ich nicht?

Hier hast Du nun einen juridischen Roman u. Du wirst sicher zugeben müssen, daß er interessant ist. Vorläufig komme ich auch zu keinem viel größeren, weil ich zuviele kleine habe die mich beschäftigen.

Du wirst auch vielleicht etwas öhl für Deine Preusenflamme daraus ziehen wollen, aber ich kann Dir nur sagen, daß ich von Berlin aus auch so und noch etwas dazu hätte schreiben müssen, wenn ich in dieser Angelegenheit dort hätte operiren sollen.

Die Erwiderung auf die Preusenabhandlung bleibe ich Dir jedoch für diesmal schuldig, weil dieser Brief sonst für meine zu erübrigende Zeit zu lange würde, und weil auch Du die Erwidrigung einmal verschoben hast, nur das Eine will ich gleich diesmal schon erwähnen, daß nach meiner Ansicht auch in Preusen nicht alle Kaspale und Mariegrethle zum handlungsfähigen Volke gezählt werden können, daß, wenn es überhaupt einmal dazu kommen sollte, noch Jahrhunderte dazu gehören, um die Masse nicht nur in intelligenter, son­dern auch in Beziehung auf Charakter dazu zu bilden. Daß die Preusen u. überhaupt die Norddeutschen in dieser Beziehung weiter sind als wir, habe ich nie in Abrede gestellt. Aber das Schicksal jener Männer, die uneigennützig die Menschheit zu heben sich bestrebten, zeigt daß auch in jenen Landen das Geld der Bourgoise dem einzelnen fast ohne Aus­nahme mehr zusagt, als die Idee der wahren Humanität, was sage ich das Geld, sogar die Hochachtung vor diesem Gelde; und wenn solche Leute doch wenigstens zu Ehren gekommen sind, so geschah es wieder durch Einzelne u. zwar solche in der Regel wenigstens die für sich keinen Nutzen aus deren Bemühen gezogen haben.

Wie mir die übermittelten Broschürchen gefallen, wirst Du wohl ziemlich errathen haben. Manches finde ich vortrefflich und zeitgemäß, manches gut aber zu bekannt, im eigent­lichen Juristischen bin ich aber nicht vollkommen einverstan­den. Zwar gebe ich zu, daß die Einführung des römischen Rechtes u. die Verdrängung des einheimischen ein sehr gro­ßer Mißgriff war, da es in manchen Beziehungen in zu gro­ßem Widerspruche stand, mit dem damaligen deutschen Rechte, u. für die damaligen Verhältniße nicht paßte, wie das allgemein zugegeben wird; aber daß man jetzt wieder, da doch die meisten von dorther stammenden in unsere Gesetze aufgenommenen Bestimmungen nach und nach volksthüm­lich geworden sind und sich unsere Anschauungen darnach gerichtet u. gebildet haben, das nämliche Manöver in umge­kehrter Weise wiederholen soll, daß man altdeutsche Grund­sätze von denen nur die Rechtshistoriker wissen, wieder ein­führen und damit das verdrängen soll, was im Volke schon in Fleisch u. Blut übergegangen ist, damit kann ich mich unmög­lich einverstanden erklären. Wahrlich es würde mir herzlich wehe thun (um mich auf eine in der Broschür angezogene dortgenannte Verbesserung zu beziehen) wenn ich ein 100000 fl werthes Vermögen in meiner Sterbestunde besäße, einige nichtsnutzige Geschwister hätte die mich während meines ganzen Lebens sekirt hätten u. dazu noch selbst reich wären, wenn ich in diesem Falle durch das ersehnte neue Gesetz gezwungen würde, diesen alles zu hinterlassen u. einen mir stets treu ergebenen armen Freund in seiner Armuth zurückzulassen. Überhaupt habe ich vor den guten alten Zeiten insbesondere vor den altdeutschen vollen Respekt u. sehne mich nicht dieselben zurückzurufen. Das ist zwar auch in den meisten Punkten der Broschüre nicht für wünschenswerth hingestellt, warum denn gerade in dieser? Warum will er im ganzen die Menschheit entfeßeln und zu freien selbstthätigen Handlungen fähig machen, und doch wieder die am und aus demselben Fleck gebornen mit eiser­nen Banden an einander und auf Scholle u. Boden feßeln? Mit Ausnahme der rein juridischen Punkte bin ich wie gesagt vollständig mit dem Juristen einverstanden. Du weißt ja wie mir die zwei bei uns bestehenden antipodischen Parteien gefielen; auch würde ich gerne nach meiner besten Möglich­keit mit euch correspondiren u. leisten was ich leisten könnte, /. und Nachrichten hätte ich wenigstens im letzten Jahre oft viel früher liefern können, als die größten u. berühmtesten Journale es im Stande waren./ wenn von euch jemand für ein Blättchen Geld opfern will. Ich hoffte, man könnte ihm über das Kronland hinaus nach und nach einen Weg bahnen. Aber Geld geopfert müßte doch wahrscheinlich werden. Der Enthusiasmus? des Volkes für dessen Interesse gearbeitet würde, dürfte dasselbe nicht sobald ernähren. Ich beurtheile unsere Landsleute nicht so günstig, daß ich glaube, die näch­sten Ereigniße werden dafür sprechen, daß die Partei der wahren Gleichberechtigung die stärkste des Landes ist. Aller­dings wäre es sicher zu erwarten, wenn man nicht wüßte, daß das Volk (ich glaube hier den Ausdruck richtig zu gebrau­chen) einem schmutzigen Kinde gleicht, welches schreit und beißt, wenn man es waschen will.

Ich hoffe bald Nachricht zu bekommen, was für Schicksale der neuen Partei beschieden sind u. hoffe, daß sie nicht etwa gar schon wieder gestorben oder Scheintod ist. Von den 3 Broschürchen, von denen ich nicht wußte für wen sie bestimmt sind, sind mir gleich anfangs 2 entrissen worden und werden durch manche Hand der Vorarlberger gehen. Bisher habe ich noch kein einziges Urtheil, das diesen Namen nur halb verdient, darüber gehört. Ob die Gebrüder Fetz sie schon gelesen haben, kann ich nicht sicher sagen. Ich komme überhaupt ungemein wenig mit Landsleuten zusammen, oft ganze Monate nicht. (Einen ausgenommen.) Die Meisten sind Ganahlisten, also wenig Aussicht für die sich constituirende Partei, unter ihnen Propaganda zu machen. Schließen wir die­ses Thema für heute.

Ich lebe hier wie ich Dir schon das letzte Mal schrieb. Mei­nem Bruder u. der Schwägerin lasse ich meine Gratulation übermitteln, wenn ihnen nur zu gratuliren ist. Mir wäre Angst und bange, wenn ich jetzt ein Weib zu erhalten hätte. Lange braucht man in unsern Zeiten um einen Herd zu bauen u. hinreichend Holz dazu zu schaffen; meine Mutter lasse ich herzlich grüßen. Mutter, Wible, Gögla, Resle u. alle in den frühern Briefen angeführten ebenfalls, so wie Dich grüßt Dein beständiger

Freund

NB in allem habe ich Dir gehorcht nur das weiße Papier geht mir heute ab.

Keine