VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
235
30. September 1866

Werthester Freund!

Deinen Brief vom 12 d.M. habe ich, wenn auch nach langen Irrfahrten, richtig erhalten. Der Grund davon, nämlich von dem späten Eintreffen bei mir, wird darin liegen, daß ich nicht mehr in meinem früheren Quartier wohne. Gegenwärtig bin ich während der Nacht in Grinzing, eine Stunde von Wien entfernt, und bleibe bis etwa 15 Oktober, also höchstens noch einen halben Monat; den Tag hingegen bringe ich in der Kanzlei des Dr. Fischer in Wien zu. Es sind jetzt eben 3 Mo­nate verstrichen, seit ich den ganzen Tag in notarieller Praxis mich befinde. Es wird Dich sicherlich wundern, wie mir die­selbe gefällt. Die Praxis faßt nun beinahe jeder so auf wie ich, der in derselben lebt. Es ist eben ein Erwerbszweig, wie jeder andere, man arbeitet um zu leben und um nach und nach auf einen grünen Zweig zu kommen; Hätte man Geld genug, würde man sich beschäftigen, wie es einem gerade angenehm wäre. Nach diesen Prämissen kann ich sagen, daß ich mich recht gut hineinfinde. Der Verdienst ist zwar anfänglich aller­dings klein, doch hoffe ich baldige Aufbesserung. Ein Anfang ist nun einmal gemacht, u. dieser ist immer am schwierigsten, besonders in einer Großstadt, wo alles sitzen bleiben will. Was hat nun ein Notar u. seine Leute zu thun, wirst Du fra­gen? Denn wenn Du auch noch so gute Dorfgeschichten zu schreiben weißt, so wirst Du doch davon sehr wenig wissen. ­Höre: Er fertigt Urkunden jeder Art aus, bestätigt die Echtheit der Unterschrift und die Gleichheit einer Abschrift mit dem Originale, bestätigt, daß Wechsel nicht bezahlt aber zur Zah­lung vorgewiesen wurden, macht Eingaben an Gerichte, aber nicht in Streitsachen und leitet die Verhandlungen in den Fäl­len des Ausgleichsverfahrens (nicht bei Concursen) und Ähn­liches. Nun wirst Du die Art und Weise meiner Thätigkeit be­greifen. Sie ist sehr einfach, trägt aber - für die Notare selbst ­viel Geld. Mein Chef verdient sich sicher jährlich über 10.000 fl und manche andere noch viel mehr. Da ich nun schon im Zuge bin, von meinen Verhältnißen zu reden, so theile ich Dir weiter mit, daß ich nur am Sonntage von den eben angedeuteten Beschäftigungen mich los ma­chen kann. Da mache ich dann etwa einen kleinen Ausflug oder lese etwas was mich interessirt, wohl auch die Freie Presse, zu der ich mir auch an Werktagen Abends Zeit nehme - auch hier als das beste Blatt Wiens angesehen. Zweimal machte ich größere Ausflüge, einmal nach Weidling, einmal nach Baaden, wo ich im letzten Sommer längere Zeit war, wie ich Dir geschrieben, nämlich zum Regierungsrath Engerth, dessen Porträt u. kurze Lebensgeschichte Du sicher in einem oder mehreren Deiner belletristischen Blätter finden wirst ­auch in Deinen norddeutschen. Dies sind seltene angenehme Ausnahmen eines sonst sehr einfachen Lebens. Und nun, warum habe ich Dir solange nicht geschrieben? Die Antwort wird Dir komisch klingen, aber sie ist wahr - weil ich nicht wollte, daß die Umgebung von Dir weiß, daß ich Dir geschrieben. - Jetzt darf sie es wissen. - Nun weißt Du nun jetzt, wie es um mich steht, was ich geworden und nicht geworden bin, u. werde es nicht sobald wieder so lange an­stehen lassen, bis ich wieder schreibe. Aus der Bemerkung, was ich sicher nicht geworden sei, sah ich, daß Du mich nicht falsch beurtheiltest.

Jetzt habe ich doch sattsam von mir selbst geplauscht, fast wie Deine norddeutschen Brüder, denen das eigene Ich nicht blos der Mittelpunkt, sondern alles ist. Nicht wahr, daraus kennt man wieder den Wiener, der die Nordischen alle fressen möchte; nein so arg ist es denn doch nicht, ich lasse ihnen gerne Gerechtigkeit wiederfahren, aber nicht auf Kosten der Wahrheit mag ich sie preisen. Auch mir hat manches an ihnen gefallen, aber wie es scheint nicht immer gerade das, was Dich zum Bewundern hinriß. Der Erfolg flößt mir durchaus keinen Respekt ein; auch beim Beginn des Krieges schien er mir nicht unwahrscheinlich; noch weniger aber bewundere ich die Reichs- und sonstige Gesetzgebung, die guten Preusen sind in dieser Beziehung vielleicht hinter uns, ganz sicher aber weit hinter den Alten zurück u. nicht blos in juridischer Kenntniß - sicherlich auch an Charakter - lies nur die Ver­handlungen der preusischen Abgeordneten heuer- und vor 1 öd 2 Jahren. Was sie mir aber groß erscheinen ließ, war z. B. heuer der Umstand, daß man Gens d'armen aufs Land schikken mußte, um die Soldaten zu holen, bevor man sie gegen uns treiben konnte. Wäre aber auch hierin nicht noch ein höherer Grad von Größe möglich gewesen? Groß erscheinen sie mir, weil sie die Wissenschaften und Künste zum Gemein­gut zu machen sich bestreben - so weit sie es thun -, u. sie auch praktisch verwerthen, dann weil sie das den Deutschen so sehr mangelnde Selbstbewußtsein vielleicht am meisten besitzen, wenn auch mit persönlicher Arrogans hie u. da etwas vergiftet - der Erfolg im Kriege u. ihre Gesetzgebung macht aber auf mich nicht den geringsten günstigen Eindruck. Du darfst aber nicht etwa glauben, daß meine Ansichten hier­in seit unserem Beisammensein sich geändert haben, sie sind vollständig dieselben, vielleicht nur fester gewurzelt. Von anderm Wissen rede ich hier nicht.

Für die Neuigkeiten, fast die einzigen, die ich aus meiner Hei­mat erhielt, vielen Dank. Zu Deinem Hermann gratulire ich Euch. Der gute Jenny dauert mich, daß die verhängnißvolle Stiege außer der Kirche ist. Daß ich den Natter richtig beur­theilt, wundert mich gar nicht, ich würde Dir das Gegentheil gar nicht glauben; ich habe viel zweifelhaftere Charakteren in kürzerer Zeit richtig beurtheilt; überhaupt fange ich an auf diesem Felde Selbstbewußtsein zu bekommen, mein Urtheil über Leute hat mich, wie ich glaube, noch selten stark ge­täuscht, allerdings bin ich in dieser Beziehung in guter Schule gewesen u. habe zu lernen gesucht. Zur Bekanntschaft mit Hildebrand wünsche ich Dir Glück; die Sonderlinge hoffe ich so bald als möglich von Dir zu erhalten, auch den Nüm­mamüller hoffe ich damit zu bekommen. Was Du von der englischen Lektüre schreibst, glaube ich Dir aufs Wort. Vor Kurzem las ich [Trevlin hole], sicher den besten Roman, den ich von einem Frauenzimmer las. Die Engländer haben recht klare Köpfe u. oft mehr Naivität, als man ihnen zuschreibt. Aber arbeiten wir auch, so gut wir können u. wir werden sie bald erreichen, die deutschen Köpfe sind von eben so gutem Stoffe wie die Englischen u. die Engländer sollen auch mit dem ABC. anfangen müssen. Was das Beispiel nicht Alles macht? Ich muß Dir sagen, daß ich - nach Deinem Beispiel ­auch schon gedacht habe einen Roman zu schreiben, u. wer weißt, ob es nicht dazu kommt, wenn mir nicht andere zuvor kommen nämlich einen juristischen Roman. Drappenfleisch - sollte es denn nicht möglich sein statt Geschichte u. Lügen, statt Krieg u. Gewalt, die geltenden Rechtssätze die Gränzen u. Beengungen der Menschlichen Gesellschaft ziehen zu lassen?

Genug für heute, ich werde 1000fach im Schreiben unterbro­chen, u. selten schreibe ich einen ganzen Satz auf einmal, deßhalb entschuldige, wenn Du Stiefel statt Sätzen findest. Viele Grüße an Dich u. Wible, auch sie kann ich sowenig als Dich vergessen, in Wien giebt es wohl viele gebildetere, aber keine gescheidern lernte ich kennen, als Dein Ankle u. sie hält sich, o Wunder unter ihrem Geschlechte eher für weniger als für mehr denn sie ist. Deiner wie meiner Mutter ebenfalls die herzlichsten Grüße, erzähle meiner Mutter alles, was sie aus diesen Zeiten interessiren kann, u. sonst so wenig als möglich. Auch dem kranken? Koaradobuabo, Sieberiis u. Möslars, dem Thresel, Oberhauser, Leou'os, Dünser, Walter ect. lasse ich meine grüße vermelden; schreibe mir bald, ich werde auch fleißiger sein als die letzte Zeit, u. vergiß nicht die Sonder­linge zu schicken, so bald als möglich, Deinem Dich lieben­den Freunde

Jochum

Keine