VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
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10. September 1861

Theuerster Freund!

Ich habe gehofft, Dich in diesen Ferien persönlich fragen zu können, warum Du mir seit einem Jahre nichts mehr schriebest; obwohl ich um ein Armutszeugniß anzusuchen mich veranlaßt fand; aber leider muß ich auch heuer die Vakans wieder in Wien zubringen, obwohl ich mich schon längst auf einen Besuch meiner Heimat sehnte und freute. Ähnliche Ver­hältniße wie im letzten Jahre halten mich auch heuer wieder zurück.

Am Ende des Schuljahrs giengen auch fast alle meine Lektio­nen zu Ende, und ich muß mir somit um neue für das kom­mende Schuljahr umsehen; bisher ist noch nirgends etwas ausgekommen, hoffe aber bis Ende der Ferien doch noch welche aufzutreiben. Wien ist mit Privatlehrern so überloffen, daß man mit den besten Rekommendationen oft lange Zeit warten muß, bis sich wieder irgendwo etwas findet. Ein ande­rer Hauptgrund ist ferner, daß die Reise zu viel kostet. Ich muß daher wieder auf einige Zeit verzichten auf die Freude der Rückkehr in meine Heimat. Ich bitte Dich daher freund­lichst, daß Du wieder recht bald etwas von Dir, meiner Mut­ter und den ändern Bekannten hören läßt, damit ich doch die wichtigsten Veränderungen erfahre, da es mir nicht vergönnt ist, persönlich um Euer Wohlbefinden mich umzusehen. Du wirst vielleicht mir etwas zürnen, daß ich Dir so lange nicht mehr schrieb; als Entschuldigung kann ich nur sagen, daß sich nichts Wichtiges in meinen Verhältnissen zugetragen hat, und daß ich zuerst eine Antwort auf meinen letzten Brief von Dir abwarten wollte. Das Armuts-Zeugniß brauchte ich allerdings nicht so nothwendig, als ich damals glaubte, weil das Stipen­dium, auf das ich compediren wollte, in diesem Schuljahre noch nicht ausgeschrieben wurde; aber bis wenigstens Mitte Oktober muß ich wieder ein Neues haben, oder ich komme in materielle Nachtheile. Ich habe zu diesem Zwecke schon H. Pfarrer v. Warth davon benachrichtigt, und hoffe, er wird es mir besorgen; sollte aber deßungeachtet bis Ende dieses Monats der Vorsteher noch nichts davon erfahren haben, so bitte ich Dich dafür zu sorgen, daß bis wenigstens Mitte Oktober mir die einfache Bestättigung, daß ich u. meine Ver­wandten arm sind, zugeschickt wird. Aber gewiß.

Mir geht es immer so leidlich und ich lebe ganz geräuschlos. Ich studire, instruire, gehe hie und da ein wenig spatziren und schlafe. Einige Male war ich bei den jetzt tagenden Sit­zungen des Reichstags im Parlament und habe den Vorträ­gen und Disputationen zugehört, die Du gewiß auch in der Zeitung gelesen hast. Gesund war ich immer. Oft, gewiß öfter als man aus der geringen Anzahl meiner Briefe zu schließen versucht sein könnte, habe ich an Dich gedacht; wie es Dir mit den Augen, wie mit Deinem sonstigen Befinden, wie mit Deiner geistigen Unterhaltung gehen werde, auf was für einen Standpunkt Deine standesmäßige Entwicklung vorge­schritten sei? Hier dürfte vielleicht auch der Grund zu suchen sein, warum Du meinen Brief vom Neujahr nicht beantwor­tetest? Über all' dieses hoffe ich baldigst ausführlich Auskunft von Dir zu erhalten, auch ich werde dann Dich nicht mehr so lange auf einen Brief warten lassen, als wie diesmal. Also gewiß. Grüße mir alle Bekannten, besonders die, welche ich schon öfters namentlich anführte, als Oberhauser ect., auch diejenige Person die Dich am meisten interessiert. Grüße mir auch meine Mutter aufs freundlichste, und übergieb ihr bei­liegenden Brief.

Lebe also wohl. In der Hoffnung, daß es in einem Jahre mir vergönnt sein werde, Dir persönlich die Hände zu drücken, u. daß ich bald Nachricht von Dir erhalten werde, zeichnet sich mit vielen Grüßen Dein Dich stets liebender Freund

Franz Jochum Jurist

NB Hat J. J. Felder nicht mehr nach Hause geschrieben? wie geht es ihm? Ich habe seither keinen Brief mehr erhalten. Adresse:  F. J. Jurist, Wien, Alservorstadt, Währingerstrasse, N 275, Hof rechts, Thür 18.

Keine