VON FRIEDRICH RIEDLIN AUS FRIEDRICHSHAFEN

lfndenr: 
515
25. März 1868

Geehrtester Freund!

Als ich am 19 d. von der Post, wo ich meinen Brief an Ihnen abgab, zurückkam, lag das eben von Lahr gekommene Manuscript auf meinem Tische. Den kurzen Inhaltdes Briefes der darin lag, will ich Ihnen hier mittheilen: „Mit diesem gebe ich ihnen das Manuscript wieder zurück, indem es für uns nicht paßt. Ihren Trost können Sie darin finden, daß es manchem ändern tüchtigen Manne, der sich sogar mit langen Studien befaßt hat, in dieser Beziehung nicht besser ergangen ist." —.

Damals als ich am 6/1 das Manuscript an die Redaktion der illstr. Dorfzeitung nach Lahr sandte, that ich diesen Schritt nur in Hinsicht auf die allgemeine Beliebtheit u. Popularität jenes Blattes, es war so zu sagen eine Apellation an die von der Redaktion so vielgeprie­sene Humanität u. freisinnigen Anschauungen, an ihre unparthei­ische Behandlung sozialer Fragen. Wie bitter hatte ich mich wieder getäuscht. Lesen Sie einmal einen Kalender des hinkenden Boten oder dessen Dorfzeitung, wie populär u. freisinnig finden Sie da alles. Eine Tendenz die mittlere u. untere Klassen hinreißt u. auch für den höher Gebildeten noch anziehend ist. Seine Redeweise ist unter allen Journalen die einzig Dastehende. Man glaubt in dem Redakteur den populärsten Mann der Welt zu erblicken. Welchen Gegensatz bietet mir aber seine abgeschmakte u. nichtssagende Antwort! Sollte mein Manuscript nichts anders sein, als ein Geschmier von 140 Seiten? Ist es nach solchen Erfahrungen nicht Tollheit oder Dummheit, an eine Menschheit zu glauben; wo uns überall nur Heuchelei im Gewände der Volkstümlichkeit, nur Kastengeist u. Hochmuth begegnen? Oder ist blos mir das Schicksal beschieden, nur immer mit diesen Mißgeburten des menschlichen Geistes in Berührung zu kommen. Ich könnte es fast glauben, wenn ich nicht an Ihnen einen aufrichtigen Freund u. Helfer gefunden hätte.

Doch ich will nicht selbstsüchtig meinem Werke einen schriftstel­lerischen Werth beilegen, den es genau betrachtet doch nicht hat. Hätte ich Ihnen nicht das Versprechen gegeben, das Manuscript zur Durchsicht zu überschicken, wahrlich es wäre schon in den Korb gewandert. Ich überschicke Ihnen dasselbe nicht allein um dessen Werth zu prüfen, sondern um Ihnen dadurch von meinen Verhält­nissen u. der Lage der Arbeiter überhaupt, Kenntniß zu geben. Eines eigenen Urtheils darüber enthalte ich mich, es wäre Eigen­liebe oder geistiger Hochmuth.

Meinen ganzen Vorrath von Gedanken, Erlebnissen, Erfahrungen und Ansichten habe ich darin niedergelegt, ob dieselben nun einer bessern Antwort, als jene des Redakteurs, würdig geweßen, über­lasse ich Ihrem unpartheiischen Urtheile. Mit wenigen Ausnahmen beruht die ganze Schilderung auf wirkliche stattgefundene That­sachen. Ich bin sehr begierig, was Sie darüber sagen werden, ich habe aber Niemand der mir in solchen Umständen an die Hand gienge. Für solche Werke einen Verleger finden, hat seine Schwie­rigkeiten, wenigstens ich für meinen Theil, weiß, wenn es wirklich drukfähig sein sollte, nicht wo ich das Manuscript dann hinschik­ken sollte. Wenn es die Redaktion der neuen Arbeiterzeitung: „Die Arbeiterhalle von Eichelsdörfer in Mannheim" nicht annimmt, so weiß ich Niemand, doch vielleicht wissen Sie Mittel u. Wege. Die Hauptsache ist ja eigentlich die, ob es drukfähig ist oder nicht, und das werden Sie am Besten finden. Sie dürfen sich ganz ungenirt gegen mich darüber ausdrücken, das bemänteln bin ich nicht gewöhnt, weshalb ich mich willig Ihrem Urtheile unterwerfe. Ob dieses mein erstes u. leztes Werk bleiben wird, hängt von den Umständen u. Verhältnissen ab. Finden Sie in meinem Manuscripte eine Befähigung zu weitern schriftstellerischen Arbeiten nun so freut es mich, ist aber das Gegentheil der Fall, so werde ich Ihre Offenheit schätzen und das Papier nicht mehr unnöthiger Weise besudeln. Zum bessern Verständniß der Erzählung habe ich eine Erklärung der darin vorkommenden Orts- u. Personennamen beige­legt. Meine Wenigkeit ist unter dem Namen „Hermann" bezeich­net. Daß ich auch Ihre werthe Person mit einverflochten, werden Sie mir verzeihen.

In Erwartung eines offenen Urtheils

verbleibe ich

Ihr aufrichtiger Freund u. Verehrer

Friedr. Riedlin

Schlosser

wohnhaft bei

Hr Alois Schmidberger am See

Friedrichshafen

Keine