VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
657
10. Januar 1869

Lieber Freund!

Vor allem ein recht gutes neues Jahr! Das wünschte, wünsche und werde ich Dir wünschen zu jeder Zeit. Diesmal komme ich mit meinem Glückswunsch aus dem Grunde hintendrein, weil ich einen Knaben zu einer Prüfung vorbereite und seit etlichen Wochen alle freie Zeit mit ihm zubringe, und Dir meinem Versprechen gemäß einen längern Brief zu überschicken im Sinne hatte, als dieser am Ende werden wird. Dem heutigen Sonntag will ich nun ein Paar Minuten für Dich wegnehmen,  um meinem Versprechen theilweise zu genügen. Das, was ich Dir zu berichten mir früher vornahm, werde ich einer mündlichen  Besprechung vorbehalten,  da  ich  neuerdings die Erfahrung gemacht habe, daß man nichts schriftlich in die Welt hinaus schicken soll, was man nicht, wie es Deine Gewohnheit ist, unversiegelt auf die Post geben mag. An mein letztes Schreiben anknüpfend, wiederhole ich ein altes Sprichwort, „daß der Schein oft trügt". Wer sich Menschenkenntnis zu sammeln bemüht hat, wird daseinsehen.-Wem es zu kalt ist, in Wirklichkeit u. im Ernste, der wird sich einheizen, wenn er zu Hause bleiben will, nicht beim Fortgehen. Durch Duzende von Histörchen, die aber wahrscheinlich größtentheils jedem Ohre werden verschwiegen bleiben, könnte ich die Wahrheit des Gesag­ten und Gedachten darthun. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an den Disput in der Bunt bei meiner letzten Ankunft in Vorarlberg. Wer hatte damals recht? Vielleicht keiner ganz. Im Ganzen wird sich aber doch die Wahrheit auf meine Seite neigen u. das wahrscheinlich, ich möchte fast sagen sicher, bedeutend. Leider. Ich erinnere Dich nur noch auf einen Mann, den ehemaligen Pfarrer von Mittelberg, Math.

Nun ein Paar Worte von mir speziell: Nach meinem letzten Beileidschreiben gieng ich einer Einladung folgend noch ein Paar Wochen aufs Land. Jetzt wohne ich Wien, IX Bezirk, Badgasse No 7. Thür 12. Ich bin Gottlob gesund, habe ziemlich weite Wege zu machen wegen Lektionen, u. stehe so, daß ich exestiren kann; im Momente bereite ich, wie schon erwähnt, einen Knaben zur Prüfung vor, was mir alle sonst freie Zeit raubt. Hoffendlich wird die Zeit auch Deinen Schmerz über den Verlust Deines trefflichen Weibes gelindert haben und immer mehr lin­dern. Bedenke nur, daß der glücklicher zu nennen ist, welcher das besaß, was Wenigen zu besitzen vergönnt ist, als der, der es nie besaß. Und ein Weib so edel wie das Deine war, haben sicher sehr sehr Wenige. Auch in Deinen litterarischen Arbeiten wünsche ich Dir viel Glück, u. indem ich Dich ersuche, beiliegenden Brief an der Addresse zu übergeben u. alle meine Freunde zu grüßen zeichne ich mich als das was ich immer bleibe als Deinen Freund

Jochum.

Keine