VON FRIEDRICH RIEDLIN AUS MEMMINGEN

lfndenr: 
381
7. Juli 1867

Geehrtester Herr Felder!

Wochen um Wochen sind vergangen, seit ich am 29 Mai Ihr werthes Schreiben, Datum Poststempel, Bludenz 27/5, beant­wortete und noch bin ich in der Ungewißheit, ob Sie dasselbe erhalten haben oder nicht?

Freilich möchte Dieses als eine Unverschämtheit von meiner Seite, betrachtet werden, daß ich mir die Freiheit nehme, Ihnen schon wieder zu belästigen, allein die Freundlichkeit mit welcher Sie mir in jenem Schreiben entgegengekommen waren, berechtigte mich zu der Hoffnung, daß Sie nicht zu denen gehören, die mir im Bewußtsein ihrer höheren geisti­gen Bildung, noch immer den Rücken gekehrt haben. Oder haben Sie vielleicht meinen Brief wohl erhalten, aber ist dann mir Ihre Beantwortung desselben nicht zugegangen? So viel ich von einer Seite her erfahren habe, sind Sie Gott sey Dank wieder in Ihrer lieben Heimath und im Kreise Ihrer Familie.

In Ihrem lieben Schreiben vom 27/5 äußerten Sie den Wunsch, über Inhalt und Richtung meiner Schrift etwas Nähe­res, und Bestimmteres zu erfahren; und dieses bilde nun für heute das Hauptthema meines Schreibens.

Nach reiflicherer Überlegung habe ich den Titel nun anders gestaltet: „Aus dem Leben eines Proletariers." Ein Beitrag zur Beleuchtung der Arbeiterfrage von Friedrich Rau. Meinen Namen sezte ich deßwegen nicht hin, weil ich einen Schwager als Fabrikanten habe und der wie alle seinesglei­chen ein Feind solcher Broschüren ist, und da ich ihn in Geld­verlegenheiten schon oft brauchte, so möchte ich ihn mit meinem Namen unter dem Titel einer solchen social-demo­kratischen Broschüre, nicht vor den Kopf stoßen. In der Einlei­tung gebe ich den Grund an, warum ich die Broschüre verfaßt habe. Sie enthält 8-9 Seiten; und bespricht im Allgemeinen die Ansichten der beiden Rivalen: Lassalle und Schultze. Nun kommen die verschiedenen Abtheilungen der Arbeiterfrage in eine Erzählung oder besser gesagt in eine Novelle eingehüllt, zur Besprechung. Darunter sind: Erstens: Über Herbergen oder Vereinshäuser mit Arbeits-Nachweiß, 2tens Über Demo­ralisation des meisten Theils der Arbeiter, 3tens Wanderunter­stützungskassen, die katholischen Gesellenvereine und die deutschen Arbeitervereine der Schweitz. 4tens Die Staats­Werkstätten. Stens Die Arbeitervereine und ein allgemeines Organ derselben. 6tens Die delikate Lohnfrage. N. B. sehr ausführlich und tabellarisch behandelt. 7tens Die Wohnungs­frage, ebenfalls sehr ausführlich behandelt. 8tens Über Pro­duktiv-Genossenschaften. 9tens Arbeit und Kapital. 10tens Über Humanität in Fabriken. 11tens Eine häusliche Scene. 12tens Über Konsumvereine u.s.w. Das Ganze würde sich aber eben so gut wie in eine Broschüre, so auch in die Spalten einer Zeitschrift oder Zeitung mit social-demokratischer Ten­denz, passen.

Daß ich hierüber noch nichts thun konnte, ist der Unkenntniß solcher Redaktionen und meiner isolirten Stellung zuzuschrei­ben. Niemand geht mir zu Rathe und so werden Sie mir es wohl verzeihen wenn ich mich wiederholt an Sie wende. Sagt ja schon ein griechischer Dichter im grauen Altherthume: „Wie leichter läßt die Last des Mißgeschicks sich tragen,

Wenn einen Freund Du hast, dem Du Dein Leid kannst kla­gen."

In der That, wenn ich in Folge der drückenden Verhältnisse in denen ich mich wirklich befinde, oft recht traurig, mißmuthig und verlassen mich fühle, so ist es gerade wie eine Last von mir genommen würde, wenn ich am Tische sitze, um Ihnen als einem gebildeten, edeldenkenden Manne, meine Gedan­ken und Empfindungen schriftlich mitzutheilen. Wie wehe thut mir nur die Verachtung der gebildet sein wol­lenden höheren Klassen gegen mich als einem in geistiger Beziehung weit unter ihnen stehenden, Proletarier. Bin ich daran schuld, daß mein Vater die Mittel nicht besaß, mich die verschiedensten Bildungsschulen besuchen zu lassen, in Folge dessen ich natürlich nie Gelegenheit hatte mich in den höhern Cirkeln zu bewegen und deren Bildung anzunehmen. Auch Sie waren lange der gebildeten Welt unbekannt, bis es Ihrem unermüdeten Ringen gelang, Ihnen die Achtung die Ihnen gebührte zu verschaffen und bis auch Sie die Fesseln gesprengt hatten, welche die Vorurtheile so Vieler gegen Ihren Stand, noch gefangen hielten. Ob Gelehrter oder Bauer, Fürst oder Proletarier, wir sind alle Glieder einer Kette, sofern wir die Vervollkommnung und das geistige wie leibliche Wohl der Menschheit zu umschließen gedenken. In meinem letzten Briefe vom 29/5 an Ihnen, theilte ich Ihnen mit, daß ich um Ihnen eine bessere Einsicht in meine geistige Produktion zu geben, gesonnen sey das Manuscript unter Kreutzband Ihnen zuzusenden, und wenn Sie ein günstiges Urtheil darüber abgeben, dasselbe noch einmal einer tüchti­gen Revision zu unterwerfen. Oder soll ich die Revision gleich vornehmen und Ihnen die Korekturbogen zusenden? Wie Sie durch eine persönliche Einsichtnahme ein] Urtheil über die Gediegenheit der Schrift, so werden Sie auch näh[eres über m]eine häuslichen Verhältnisse daran erhalten. Bei dem schlechten Lohn, der hier bezahlt wird, bin ich nicht mehr im Stande auf die Länge hier zu bleiben, ja wenn ich durch den Druck der erwähnten Broschüre eine kleine Nebeneinnahme erzielt hätte, damit das Gleichgewicht zwi­schen Einnahme und Ausgabe wieder hergestellt worden wäre, dann wäre ich vielleicht hier geblieben, aber so erfor­dern es die Umstände, daß ich mich wo anders um eine bes­sere Stelle sehe.

Leider stehen aber allerorts die Lohnsätze im Verhältniß zur Miethe, Holz- und Lebensmittelpreiße zu nieder, so daß die Unkosten des Fortziehens mit Familie oft vergebens veraus­gabt werden. Diese delicate Frage wird in meinem Schriftchen ebenfalls eingehend behandelt. Wann und wohin ich ziehen werde, werde ich Ihnen dann seinerzeit melden. Es grüßt Ihnen freundlichst und empfiehlt sich Ihrem ferneren Wohlwohlen Hochachtungsvoll Ihr ergebenster

Friedrich Riedlin Schlosser Memmingen

Keine