VON FRANZ XAVER JOCHUM AUS WIEN

lfndenr: 
379
5. Juli 1867

Lieber Freund!

Ich hoffe, daß diese Zeilen Dich wieder in Deiner speciellen Heimat treffen werden, und daß die Zeit der Verbannung, wovon ich durch die „neue freie Presse" Nachricht erhielt, vorüber  und  die  Wiedereinsetzung  in   den  vorigen  Stand erfolgt ist. Auch hoffe ich, daß meine 2 letzten Briefe Dich noch in ungestörter Ruhe gefunden haben werden.

Ob die freiwillige Verbannung von Schoppernau Dir wirklich nothwendig schien, kann ich natürlich nicht wissen, da ein Besuch des H Schwagers von der Feldkircherin auch ohne zwingende Notwendigkeit als Vertreibung aufgefaßt worden sein könnte, von wo die „Presse" schöpfte. Zu der guten Aufnahme der „Sonderlinge" die ich durch die Gartenlaube erfahren habe, gratulire ich, obwohl sie zu erwarten war. Daß nicht die Sonderlinge, sondern die zwei „Rufe" Dir den Haß des Clerus an den Hals geworfen haben sollen, finde ich denn doch etwas zu stark. Wie wollen denn die geistlichen Herrn aus den Innern Merk­malen der Heiligen Schrift ect., deren Echtheit heraus fühlen, wenn sie nicht einmal aus diesen 2 Heften Deine Nichtautor­schaft erkennen können. Von der Sprache gar nicht zu reden, hätten sie doch als Kenner des canonischen Rechtes (das soll­ten sie doch sein) einen Juristen ex professo ohne sonder­lichen Scharfsinn als Autor vermuthen können. Meine Dir schon mitgetheilte, wahrscheinlich von Dir nicht getheilte Meinung über die gedachten Brochuren hat sich nicht geändert. Ich habe seither mit etlichen von mir als ver­nünftige und wissenschaftliche Männer angesehenen Leuten darüber gesprochen, und sie waren wie ich der Meinung, daß Unveräußerlichkeit der Güter und alleinige gesetzliche Erb­folge nicht nur nicht wünschenswert seien, sondern daß gerade im Gegentheile die freie Veräußerlichkeit zu befür­worten und das Fideicommißwesen wo möglich ganz zu ent­fernen sei. Auch begriffen sie nicht, wie diese Forderungen zu der auch von ihnen als wünschenswert anerkannten Associa­tion der Arbeit passe. Wenigstens habe ich dadurch zu meiner Genugthuung erfahren, daß auch meine Ansicht über diesen Punkt bei von mir als Sachverständigen angesehenen Män­nern Theilhaber findet, ja unter allen, mit denen ich sprach, nicht Einen Gegner fand.

Romanismus, Germanismus ect. kommen mir überhaupt wie andere Schlagworte vor (z. B. liberale Partei in Vorarlberg?) und es kümmert mich nicht so sehr woher etwas kommt, als was kommt. Ein in Wien gemachter Wagen müßte daher, wenn ich Pferde und Wagen halten könnte und wollte, nicht den weiten Weg über Paris und London machen u. etliche Male verzollt werden, bevor er mir recht wäre, wie dies nicht selten vorkommt.

Im übrigen habe ich meine gute Meinung davon wiederholt ausgedrückt.

Die „neue fr. Presse" wußte auch zu erzählen von der guten Aufnahme die Dir in Feldkirch zu Theil wurde. Waren es die liberalen, die Dich so gut aufnahmen? Da die Nachricht von dorther kommt, so scheint es. Haben sich vielleicht gar Mei­nungsdifferenzen bei diesem dem in Paris vorangehenden Congresse begleichen lassen? Daß dieses weder zu ernst noch als böswillig aufzufaßen ist, werde ich nicht anzuführen nöthig haben; doch schaden kann es ja auch nicht; so geht es einem, man verliert die sichere Grundlage u. muß von allen Seiten Stützen anbringen, wenn man von subjectiv wichtigen verschiedenen Vorfällen mehr Muthmaßungen als Gewißheit hat; daher wäre es mir sehr angenehm, wenn Du mir wieder einmal und zwar recht balde, wenigstens in Kürze, über die seit Februar vorgekommenen Ereigniße berichten würdest. Ich weiß zwar recht gut, daß jetzt eine Zeit der Arbeit für Dich ist, doch etliche Minuten wirst Du deßungeachtet für diesen Zweck entbehren können. Ich hoffe dies um so mehr, da ich wahrscheinlich bald in eine andere Kanzlei kommen werde u. auch am Ende dieses Monats aus dem jetzigen Quartier ausziehen werde, da auch mein Quartiergeber aus­zieht, da ich Dir somit nur bis Ende dieses Monats eine ganz sichere Addresse geben kann, die lautet: „Wien, Roßau, Servi­tengasse Nr. 14 Thür 11." Allerdings würde mir wahrschein­lich auch unter einer ändern Addresse oder später der Brief zugestellt werden, aber wann?

Wie es mir geht, wirst Du schon aus den österreichischen Zei­tungen vermuthen können, wenn Du gelesen hast, daß die jungen Juristen etwas schlechter bezahlt werden, als Taglöh­ner, vorausgesetzt, daß sie einen pekuniär guten Posten haben. Verdienen kann sich unserer Einer nur das Allernö­thigste. u. die Arbeit, die mir bisher unterkam, kommt mir höchst langweilig vor. In allem übrigen geht es mir sehr gut.

Ich luge nach allen Seiten um, finde ich irgendwo ein anderes annehmbares Loch, so schlüpfe ich hinein.

Lebe wohl, grüße mir Weib, Mutter, Kinder, meine Mutter u. alle Bekannten

Dein Freund

F. X. Jochum

Keine