VON H. F. W. GROTTENDIECK AUS ALKMAAR

lfndenr: 
568
30. Juli 1868

Hochgeehrter Herr!

Von einer kleinen Ferien-Reise wieder heimgekehrt, fand ich Ihre werthe Zuschrift aus Leipzig. Das zu hoffen, zu erwarten hätte ich nicht gewagt. Darf ich Ihnen dafür meinen aufrichtigen, herzlichen Dank bringen? Es war mir eine freudenvolle Überraschung. Bei der Probe vom letzten Bogen Ihrer, nun gänzlich übersetzten, Sonderlinge lag auch Ihr lieber Brief. Sie haben mir damit gleich­sam die Hand gereicht. Mir ist es ein Herzensbedürfniß Ihren warmen Handdruck zu erwiedern. Durch Ihre Dichtung, die mich so angriff, daß ich es wagen wollte, auch meine Landsleuten mit ihr bekannt zu machen, bin ich Ihnen herrliche Stunden und Tagen verschuldet. Bei der Übersetzung, beim Durchsehen der Proben ward Ihre Dichtung mir immer schöner, immer lieber. Fortwährend lernte ich sie besser genießen. Meine Anerkennung, meine Hoch­schätzung Ihres tiefen, warmen Blick im Menschenherzen nahm immer zu. Ihre warme Liebe für das wahrhaft-Göttliche im Men­schen erwärmte auch mich immer mehr. Meine aufrichtige Vereh­rung für Sie, den kräftigen Kämpfer für Freiheit und Humanität, blieb immer wachsen. Aus Ihrer Dichtung wehte mir stets der heilige Gottesgeist zu, der überall in der Welt, bis auch in den tiefsten Winkel, den Menschengeist erhellt und erleuchtet, das Menschenherz erwärmt, das Menschenleben verherrlicht, die Menschliche Gesellschaft erhebt. Es war mir so innig wohl auch in Ihre Schöpfung aus dem Bregenzerwald den Flügelschlag dessel­ben Geistes zu vernehmen, der immer durch die ganze Menschheit dahinrauscht, mit süßen Worten der Liebe, des Friedens, der Versöhnung kranke Herzen genesend, und dann wieder in breiten Strömen von den höchsten Höhen des Menschengeistes daher­braust, neue Kräfte, frisches Leben weckend. Fremd sind Sie vielen Gebildeten unseres Volkes nicht mehr. Ihr geehrter Freund Dr Hildebrand, wird Ihnen schon gemeldet haben, wie Sie in der besten, gediegensten Niederländischen Zeitschrift besprochen und anerkannt sind. In kurzer Zeit wird auch Ihre Dichtung in meine Übersetzung erscheinen, und ich bin tief überzeugt, daß Vielen mit mir in unserem Lande Ihnen dafür danken werden, daß Sie uns in Ihren frischen Wälder- und Alpenle­ben, arbeiten, streiten, leben lassen, was unendlich Vielen Kopf und Herzen erfüllt, was den reichsten, größten Geister beschäftigt. Auch bei uns im hohen Norden werden dann auch gefunden werden, die den Vorarlberger in fernsten Südwesten Deutschlands die Hand drücken, als wollten sie sagen: „Sie sind Unser Einer, Sie wollen, wie wir, was wahr, schön und gut ist!" In unserer Zeit, wo zwei Einander gegenüberstehende und doch Einander verwandte, Mächten, Jede für sich, den Menschen sich bemächtigen wollen, wo der praktische Materialismus an der einen Seite, der Geist und Herztödtende Formalismus auf die andere Seite, den Menschen zum Sklaven machen wollen, thut's Noth, daß da auftreten, die in Schrift und Wort und Lied, in Gleichniß, Ton und Farbe, in jede wahre, schöne Lebensform dem Mitleben­den zurufen, daß er noch höhere Aufgaben hat als die des Thieres, und daß auch nicht die Weltanschauung des Mönches die Gott­verherrlichende, Menschen-beglückende ist. Auch bei uns streiten Vielen diesen Kampf und von diesen werden Sie als Einer der Ersten, meist begabten Kämpfer erkannt und begrüßt werden. Meine Übersetzung Ihrer Sonderlinge ist vollendet. Sie werden wohl von Ihrem Freunde Dr Hildebrand wissen, wie ich von Ihnen ein Bild wünschte. Das mir durch Ihn freundlichst zugesandte Photogram wollte ich durch Lithografie vervielfältigen lassen, damit meine Landsleute den Dichter der Sonderlinge und des Schwarzokaspale auch dem Äußeren nach könnten kennen. Die erste Probe aber, war, leider! nicht die glücklichste. Nun muß ich ein besseres machen lassen, deshalb wird die Herausgabe der Sonderlinge noch eine kleine Frist warten müssen. Sehr angenehm würde es mir sein, wenn ich wissen möchte wieviele Exemplaren ich Ihnen anbieten darf, ebenfalls, auf welche Weise Sie dieselbe zu empfangen wünschen, direkt nach Schoppernau, oder...? Recht viele Freude hat's mir gemacht, von Ihnen selber zu wissen, daß Sie dem Erscheinen einer neuen Dichtung entgegensehen. Wenn es möglich wäre, so möchte ich sie recht bald genießen. Wenn ich weiß, wo sie gedruckt und herausgegeben wird, will ich sie mir gleich kommen lassen, damit ich wieder bald eine recht schöne Freude erleben möchte.

Hochachtend und ergebenst

einer Ihrer aufrichtigsten Verehrern

H. F. W. Grottendieck.

Keine