VON JOSEF NATTER AUS GENEUILLE

lfndenr: 
223
26. August 1866

Lieber Freund!

Du hast nicht ganz unrecht, daß Du sagst, daß es jetzt bequem sei, keine Zeitungen zu lesen, aber noch bequemer ist es doch, von der Weltlage etwas zu wissen, als monatweis nichts davon zu hören. Ich war sehr erfreut, endlich wieder einmal Nachrichten von Dir zu bekommen. Ich habe mir zwar vorgenommen, die jetzigen Ereigniße zur Geschichte werden zu lassen, u. erst dann nachzusehen, wie alles gegangen sei. Auch ist der Mensch immer Egoist, hätte mir der Krieg sehr geschadet, würde ich wohl nicht ruhig geblieben sein, obwohl ich auch so nicht gleichgültig dagegen bin. Ich begreife leicht die Aufregung unserer Landsleute, denn ich habe das Beispiel davon an den hiesigen Montafonern u. deren Briefen die sie aus ihrer Heimath bekommen. Ärger können sie doch nicht wohl thun, als diese. Auch glaube ich, daß ihnen die Agitation jetzt schon von Nutzen, sie wissen jetzt jedenfalls besser, woran sie sind, als früher, wo sie sich selbst überlassen waren. Deine Pläne sind jetzt zwar aufge­schoben, aber nicht aufgehoben, besonders, da Du die tüchti­gen Männer im ganzen Walde herausfindest u. zusammen bringst. Was sagen jetzt die Unterdörfler dazu, die früher so mitleidig auf dieses Treiben herabsahen, als ob es sie gar nichts angienge.

Den Franzosen hört man es immer an, daß nicht allein ihr Kaiser, sondern das gesamte Volk des Glaubens ist, an der Spitze der Civilisation zu marschieren, immer sind sie voll Lobes über ihre Zustände u. Einrichtungen, den Fremden gegenüber u. nirgends ist es zu leben, wie in Frankreich. Auch der Kriegs- und Eroberungsgeist ist allen Franzosen gemein. Doch wird das auch sein Gutes haben, es trägt wenigstens zur Eintracht bei, die einem Volke Kraft gibt. Dächten die Deut­schen so, es wäre vielleicht manches anders. Über die jetzigen neuen Zustände in Deutschland können wir den Winter mit einander reden, hoffentlich ist der Friede geschlossen, bis Du diesen Brief erhältst, u. dann kann auch Dein Manuskript als ein neues Werk seine Reise in die Welt beginnen, daß man es im Winter zu lesen bekommt. Es freut mich auch sehr, daß es so gut ausfällt, das macht Dir wieder Lust zu neuem Schaffen, wenn einmal Dein jetziger Ärger vergangen ist.

Am 15. d.M. war ich in Besancon, bei dem glänzenden Feste, das abgehalten wurde. Mich hat es nicht sehr begeistert, obwohl viel Pracht u. Aufwand zu sehen war. Es war auch eine ungeheure Menge Volk dort, von allen Dör­fern in der Umgegend u. lief den ganzen Tag in den Strassen herum. Vormittag zog der ganze Gerichtshof in Amtstracht nach der Kardinalskirche, wo feierliches Amt abgehalten wurde. Nachmittags war grosse militärische Revue der Garni­son, der viele Hunderte von Menschen beiwohnten, unter anderm auch ich, was ich dabei dachte, will ich Dir später sagen, am Abend ein grosses Feuerwerk u. Beleuchtung in der Stadt. Wozu denn das Alles? Ich wüßte keinen hinlänglichen Grund dafür.

Die „Gottesidee aus der Schule" hat mir schon länger nicht mehr gepaßt, als seit ich von Hause weg bin. Doch bin ich früher nicht so gerade mit der Sprache heraus, wie jetzt, da ich ganz allein stehe, auch war ich mit mir selbst nicht ganzeins, wie auch jetzt noch nicht, denn es ist eben keine leichte Sache, wenn man gründlich dabei verfährt. Ich muß die Geschichte noch einmal gründlich durchnehmen, bevor ich zu einem Ende in dieser Sache komme. Ich begreife jetzt wie es so viele Ungläubige gibt, die an ihrem Lebensende alles wieder glauben u. thun, worüber sie im Leben so oft spotten. Denn sie geben sich nicht die Mühe, über diese Frage nachzu­denken, bis es zu spät ist u. ist ja der Glauben das Bequemste. Doch später mehr davon.

Wenn ich nur meine Bücher hier hätte, am Sonntag hätte ich den ganzen Tag Zeit zu lesen, da man mit Kirchengehen natürlich nicht viel Zeit verliert. Auch werden jetzt die Nächte länger, so daß man nicht mehr im Stande ist, dieselben ganz zu verschlafen. Deßwegen bin ich froh, daß der Sommer bald zu Ende ist, damit ich wieder in Dein trautes Stübchen hinein­sitzen u. nach Herzenslust in den Büchern herumstöbern kann. Das nächstemal werde ich die Bücher mitnehmen. Letzthin erhielt ich einen Brief von Hause, der nichts enthielt, als das Sterberegister von Au u. Schoppernau. Kein Wort von der Bewerbung um die Posthalterstelle, so daß ich nicht gern das Porto dafür bezahlt hätte, wäre er nicht frankirt gewe­sen.

Hoffentlich schreibst Du mir bald wieder, da Du doch nichts thust, als Dich ärgern.

Ich gratulire Dir zu Deinem neuen Sohne, möge er ein wahrer Hermann werden, wie sein - leider nicht heiliger - Namens­patron. Auch danke ich Dir für die Übersendung Deines Por­träts, ich werde das Meinige mit heimbringen. Mit dem freundlichen Gruß für die Deinigen Dein Freund

Josef Natter

Keine