VON JOSEF NATTER AUS NEUÄGERI/SCHWEIZ

lfndenr: 
354
1. Juni 1867

Lieber Freund!

Es dauert wieder ziemlich lange, bis Du einen Brief von mir erhältst, allein die Schuld davon ist, daß ich früher keinen Brief von daheim erhalten, u. auch mein Koffer noch nicht angekommen ist. Ich habe letzten Sonntag zum zweitenmal darum geschrieben, bevor es hier ist, werde ich diesen Brief nicht fortschicken. Wie Du weißt, habe ich meine Reise in Gesellschaft des Aberers angetreten, dieselbe war nicht ganz unintressant. Als wir nämlich nach Schwarzenberg kamen, eröffnete mir der Herr Lehrer, daß er gesonnen sei, nach Altenstadt zu Herrn Stockmair zu gehen, um demselben die neuesten „Schoppernauer Geschichten" mitzutheilen, dann auch, um für sich selbst ein gutes Wort einlegen zu lassen, beim Bischof, da er wußte, daß er schwarz angeschrieben ist, beim Dekan. Nun, wir kamen am ersten Tage glücklich in Altenstatt an, blieben dort Übernacht, am ändern als am Sonn­tage, giengen wir nach dem Mittagessen zum Herrn Pfarrer, der uns freundlich empfing, u. blieben den ganzen Nachmit­tag bei ihm u. erzählten ihm unsere Angelegenheiten. Du glaubst gar nicht, wie aufgeregt der Lehrer dabei war, ich hatte nur Mühe, ihn immer zu ergänzen, da er sonst das Halbe vergessen hätte. Es that ihm herzlich wohl, sein Herz ausschütten zu können, u. zwar genau so, wie wir die Sache am letzten Abend in Schoppernau besprochen hatten. Der Stockmayr sagte nicht viel dazu, er meinte, das sei noch leicht, gegen die Kämpfe, die er hier zu bestehen habe. Und er hat wirklich den nämlichen Kampf zu bestehen, den Du u. Deine Parteigenossen in Schoppernau zu bestehen haben, nur daß er gegen den gemeinen Pöbel in Altenstatt kämpft, u. wir gegen den Pfarrer. Es war nämlich bisher dahier im Brauch, daß man am Charfreitag u. Samstag die ganze Nacht hindurch Betstunden gehalten werden, u. wollte diese nächtlichen Bet­stunden abschaffen, u. auch der Vorsteher u. einige Aus­schußmitglieder waren dafür, u. nun empörte sich das ganze Befrömmelte Volk gegen ihn, man nannte den Pfarrer u. die Gemeinderäthe Freimaurer, am Charfreitag Nachts forderte einer öffentlich in der Kirche ein Vaterunser für die Frei­maurer.

Am Montag nun fuhren wir bis nach Einsiedeln, besahen uns die Kirche, blieben dort Übernacht, nachdem wir unsere Gedanken über allerhand ausgetauscht hatten. Ich und der Lehrer hatten einestheils eine sehr gemüthliche Reise mitein­ander, ich war gar nicht versteckt gegen ihn mit meinen Ansichten, wir hatten viel von der Geistlichkeit, wie sie ist, u. wie sie sein sollte, u. über den Sozialismus. Ich fand ihn frei­sinniger, als ich erwartet hatte, er hatte doch in der Schweiz etwas anderes gelernt, als nur anstreichen. Von Einsiedeln giengen wir auf unser Reiseziel los, das für mich in Zug war. Unterwegs kamen wir in das Dorf, wo Xaver Strolz arbeitet u. Gesellen hatte. Wir trafen ihn an, unterredeten uns mit einan­der, u. am Ende blieb ich bei ihm. Er ist ein ordentlicher Bursche, der sich mit Fleiß u. Geschicklichkeit sehr gut durch­geschlagen, so daß er jetzt für drei Gesellen Arbeit hat. Ich bin nicht ungern bei ihm, er ist freundlich u. uneigennützig, ein ächter Strolz. Ich bin jetzt freilich nur auf einem Dorfe, doch wiegen die finanziellen Vortheile u. die Gemüthlichkeit der Leute das Stadtleben völlig auf. Auf Zug ist es nur eine Stunde, wo [Bierers] u. der Bader u. noch viele Landsleute sind, was mich zwar nicht so sehr freut, als daß ich dort in die Zeichnungsschule gehen kann. Sonst bin ich gesund u. froher, als daheim, nur daß ich noch immer etwas bitter werde, wenn ich an das zulezt Erlebte denke. Wenn ich Dich bitten darf, so schreibe mir recht bald, damit ich über die Schoppernauer Verhältnisse aufgeklärt werde.

Das nächste mal mehr, ich grüße Deine Familie recht freund­lich Dein Freund

Josef Natter.

Adresse: H Jos. Natter, bei H. Xaver Strolz, Gipsermeister in Unterägeri Kanton Zug, Schweiz.

Keine