VON LOREZ MAYER AUS WIEN

lfndenr: 
393
16. Juli 1867

Lieber Freund!

Ich war wegen des Abdruckes ihrer „zwei Namensfeste" bei der Redaktion der fr. Presse, habe jedoch Hr. Lecher nicht getroffen. Ich habe ihn dann schriftlich um den Abdruck ersucht, aber keine Antwort erhalten. Den Grenzboten habe ich ihm nicht zugesendet, da die Redaktion ohnehin im Besitze desselben ist. Die Kritik der Sonderlinge scheint auch eingeschlafen zu sein samt meinem Manuskript, das derselben angeschlossen werden sollte. Ich habe schon Ihrem Schwager berichtet, daß mit der fr. Presse nicht gut zu fahren sei, wenn es sich nicht um ein speziv. Bourgeoisintresse handelt.

Zudem ist Gustav Freitag den Herren unserer Presse vorläufig verhaßt, weil er im letzten Herbst die gesammte österr. Presse wegen ihrer letztjährigen Haltung an den Pranger gestellt hat. Übrigens mag die polit. Situation, wie sie jetzt bei uns ist, den Herren auch viel zu schaffen geben. Weil es in unserem Reichsrathe noch keine fest abgeschlossenen Parteien gibt, (die Partei Herbst scheint im Verfall begriffen), so heißt es für die fr. Presse, welche unter allen Umständen wegen des mate­riellen Intresses die Majorität vertreten will, vor allem genaue Fühlung mit den Abgeordneten zu halten. ­Sie fragen mich, was man über Ihre „Sonderlinge" in Wien urtheile. So weit ich ein Urtheil vernommen, lautet dasselbe sehr günstig. Auf einen größeren Leserkreis können Sie jedoch vorläufig in Wien nicht rechnen; denn die Politik nimmt jetzt alle Geister zu sehr in Anspruch. Zudem pflegt man hier der­artige litter. Erscheinungen aus den Leihbibliotheken zu ent­lehnen. Ich habe auch bereits in Erfahrung gebracht, daß die Sonderlinge in der That in mehren Leihbibliotheken zu haben sind. Die Kritik in den deutschen Blättern (Beilage der Gar­tenlaube) habe ich gelesen, u. ich wie andere finden, daß der betreffende Kritiker kein Sachverständniß hat. Derselbe scheint mir ein Städter zu sein, der das Landvolk nur vom Sehen aus kennt, u. dasselbe als dumme rohe Masse be­trachtet.

Es wird Ihnen intressant sein zu vernehmen, daß unter der hiesigen Arbeiterbevölkerung sich ein reges Leben entfaltet. Die Bourgeoisblätter müssen das freilich verschweigen. Der Name Lasalle's wird von einem großen Theile der Arbeiter oft, u. mit Ehrfurcht genannt. Petitionen an den Reichsrath von Seite der Arbeiter wurden viele eingereicht, u. Beust u. Taafe haben Arbeiterdeputationen empfangen. Eine rege Agitation um soziale Reform findet allenthalben statt. Es ist auch ein Arbeiterkongreß in Wien beabsichtigt. Wenn nur nicht etwa die Regierung durch die Bourgeois gedrängt hinderlich entge­gentritt, so ist der Zusammentritt gesichert. Seifferitz sitzt im volkswirthschaftl. Ausschuß, an welchen obige Petitionengeleitet wurden. Ich bin begierig, wie er sich verhalten wird, nachdem er mir vor Wochen erklärt hat, es existire für ihn keine soziale Frage. Sie werden sehen, wie sich die Herren winden u. drehen werden, bis sie den Arbeitern ein Vereins­recht gestatten werden.

Anfangs August komme ich nach Bludenz, wo ich mich dann mit Ihrem Schwager verständigen zu können hoffe. Über die Ziele sind wir zwar einig, aber kaum noch in der Wahl der Mittel. Vor Allem ist meiner Ansicht nach nothwendig, die Arbeiterfrage in möglichst populärer Weise durch eine Bro­schüre dem Volke klar zu machen.

Vielleicht finde ich während meiner Ferien auch Gelegenheit, mit Ihnen einmal persönlich zu verkehren, wenn Sie sich etwa nicht die ganze Zeit hindurch in Leipzig aufhalten. Daß mir von einer Sammlung für Sie nichts bekannt ist, werden Sie schon v. Ihr. Schwager erfahren haben. Es grüßt Sie freundlichst Ihr Ergebener

L. Mayer

Keine