VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
705
11. April 1869

Lieber Freund,

Ich darf Dich doch nicht länger ohne Nachricht lassen, daß Dein Leben 1. Band diese Woche aus Bludenz richtig bei mir eingegangen ist; Dein Schwager hatte es übrigens bei mir angemeldet, sodaß ich zugleich die Freude hatte, von ihm einmal etwas an mich gerichtet zu sehen, ich werd ihm auch ein paar Zeilen schreiben.

Lesen kann ich freilich an Deinem neuesten opus nur Abends, weil ich bis über die Ohren in den Vorbereitungen zu meinen Vorlesungen stecke, die nächstens beginnen; auch hab ich nur einige Abende frei. So bin ich erst bis ins fünfte Capitel, ich habe es zum Theil in der Familie, unter Karls Anwesenheit, gelesen. Wir sind aber sehr zufrieden damit, es wirkt auf mich sehr angenehm und spannend zugleich. Es ist ein sehr hübscher, epischer Grundton drin, mit einer dahinter­liegenden zuversichtlichen Heiterkeit, wie ich sie noch in keinem Deiner Werke so gefunden habe. Dabei erzeugt das Heranwachsen dieses eigenartigen Geistes eine angenehme, erwartungsvolle Spannung, daß ichs am liebsten in einem Zuge durchlesen möchte. Im Stil find ich den lange ge­wünschten Fortschritt von den Nachwirkungen des Wieland­schen Stils zu wirksamer Einfachheit, die Dir doch im Spre­chen so zu Gebote steht.

Hirzeln hab ichs auch schon gesagt, er war freudig überrascht davon, sagte aber sonst nichts weiter von etwaigem Druck, Du kennst ja seine diplomatische Art. Ich habe natürlich auch nichts davon gesagt. Wünschest Dus jetzt gleich gedruckt? Ich fände es schon auch passend.

Die Geschichte vom Siegfried ist freilich in dieser mehr schön­geistigen Fassung für eine wissenschaftliche Zeitschrift nicht recht passend, oder vielmehr ich fürchte, Zacher oder Bartsch, wenn ichs ihnen einschickte, würden diese Fassung zu belle­tristisch finden. Kannst Du Dich nicht noch mehr einzelner Züge erinnern? oder sie noch erfragen? Dann würd ich Dich bitten, mir die Sache in einfachstem Erzählerton noch einmal aufzusetzen, oder doch jene Züge zu ergänzen. Mitgetheilt für unsere wissenschaftlichen Kreise muß die Sache jedenfalls werden.

Im Eingang Deiner Geschichte hätte ich übrigens eine kurze Schilderung von der Lage Schoppernaus gewünscht wie vu,, den Verhältnissen Eures Ländchens überhaupt, daß der Leser mit einem deutlichen Gefühl von der Entlegenheit und Ver­stecktheit Deiner Heimat an Dein eigenes Werden herange­kommen wäre. Das wäre wol noch nachzuholen. Denn diese Entlegenheit von den Welthändeln und Weltdingen, wie sie dann in der Erzählung von 1848 zu Tage kommt, ist uns hier zu Lande und eigentlich übeiall sich vorzustellen unmöglich. Auch die Einfachheit Eurer Verhältnisse, wie ich sie zu meiner Überraschung auch nach dem was ich schon wußte, bei Euch fand, hätte ich eingehender gezeichnet und z. B. da, wo von Euren Kinderspielen die Rede ist, genauer von deren Einfach­heit geredet, und daß Ihr z.B. keinen Spielball kennt und keine Bleisoldaten, eigentlich auch keine Bilderbücher. Das alles zieht die Leser außerordentlich an, und es hat zugleich Sitten- und culturgeschichtlichen Werth, und aufs Culturge­schichtliche ist gegenwärtig der Sinn gerichtet und wirds im mer mehr. Das alles wäre auch durchaus nicht ohne Bezug auf Dich; denn diese ganz außerordentliche Einfachheit Eures Lebens macht es begreiflicher, wie Dein arbeitsbedürftiger Geist mit den Gegenständen Deiner Heimat bald fertig sein mußte und nun früher als sonst geschehen wäre in die Tiefe und Weite strebte. Auch daß Eure Mundart gar nicht vor­kommt und so wenig von Euren treffenden Redensarten, thut mir leid, das hälfe mit den Hintergrund Deines Denkens zeichnen. Vielleicht ließe sich dergleichen kurzweg in einem Vorwort nachholen, in dem auch die ernste Veranlassung anzugeben wäre, die Dich so früh zur Schilderung Deines Lebens bewogen hat. Und da würde ich auch mit vorbringen, daß Dir über die Einfachheit und Eigenheit Eures Weltdaseins eigentlich erst in der Welt draußen so zu sagen die Augen aufgegangen sind.

Doch genug der Ratschläge. Die vorgeschlagenen Titel ge­fallen mir eigentlich alle beide, ich wüßte nicht entschieden zu wählen. Doch das wird sich finden, in solchen Dingen hat Hirzel einen guten Blick. -

Also eine namhafte Summe steht Dir von Wien in Aussicht? Nun Gott gebe es, ich würde jubeln, wenns erst richtig wäre. Wegen der Phisharmonika hab ich mich nun an Thieme ge­wendet, der hat glücklich einen Musikalienhändler zum Freunde, und so hoffe ich in meinem nächsten Briefe die gewünschte Auskunft geben zu können. Sie muß doch aber auch im Pierer zu finden sein, den Du von Flügeln hast, hast Du da schon nachgesehen?

Ich schicke Dir einen Brief aus Danzig mit, aus dem fernsten Nordosten, der auch von Dir beiläufig handelt. Dr Menge ist Professor an der dortigen Realschule, treuer Anhänger und Stofflieferer für Grimms Wörterbuch und eine der rein­sten Seelen die ich kenne, mit kindlich tiefer Wärme für alles Schöne und Gute.

Nun leb wol für dießmal, grüß mir Deine gute Mutter und die Mariann und alle die sich meiner erinnern, ich grüße Dich

Dein Rud. Hildebrand.

Keine