VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
685
14. März 1869

Lieber Freund,

Mein Schreiben an Dich hat sich immer von Sonntag zu Sonn­tag verschoben, aber nun sind mir denn doch zu viele Wo­chen daraus geworden, daß ich nichts von Dir gehört habe. Von Zeit zu Zeit findet man in der Neuen Freien Presse einen Brief aus Vorarlberg, aber da ist immer nur von dem vorde­ren Lande die Rede, nicht von Schoppernau, Au u. dgl. Also wie geht es Dir? Ist denn in Wien die Entscheidung ge­schehen wegen Deiner Eingabe an den Schillerverein? Es sollte ja wol schon im Januar sein, und nun schreiben wir März. Sollte man Dich abfällig beschieden haben? Was macht Euer öffentliches Leben? Es muß Dir doch eigen sein, wenn Du an die gährenden Zustände und an die Gefahren des vorigen Winters denkst. Was Du von den Erfolgen Deiner Vereinsbestrebungen schreibst, freut mich außerordentlich, auch daß Ihr an Gründung einer Landesbibliothek denkt. Wie stehts mit der Biographie? Neulich hab ich schon davon gedruckt gelesen, in Diak. Hirzels Besprechung von Reich und Arm, die mir Dr. S. Hirzel zu lesen gab und die mich lebhaft gefreut hat; beherzige doch ja auch den Wink wegen Deines Stils, den er so wahrhaft geistreich zu begründen wußte. Könnte man nicht eine Probe Deines Lebens einmal nach Sachsen geschickt bekommen? Die Geschichte vom Sieg­fried und auch die vom alten Hildebrand bist Du mir eigent­lich förmlich schuldig in Folge gethaner Versprechen, und ich möchte sie gern, natürlich unter Deinem Namen, zum Abdruck bringen. „Versprechen und halten Steht fein Jungen und Alten" sagte meine Mutter.

Uns hier geht es im Ganzen gut. Meine Emmy wird nun con­firmirt und verläßt die Schule, nächsten Sonntag ist der Tag. Dafür kommt Hedwig nun in die Schule, ich aber komme jetzt endlich aus der Schule, um nach Ostern meine Vor­lesungen zu beginnen. Ich hab übrigens schon mehrmals den Professor zu schmecken Gelegenheit gehabt, z. B. als vor einigen Wochen unser König zum Besuch in Leipzig war. Da fand unter anderm eine Assemblee im königl. Palais statt, zu der auch die Universitätsprofessoren geladen waren. Da war ich denn auch dabei - den Glanz hättest Du sehen sol­len - und hatte denn auch die Ehre, Sr. Maj. vorgestellt zu werden. Ich schätze unsern König sehr hoch und freute mich denn auch über diese Gelegenheit, ihn persönlich kennen zu lernen.

In unserm Club gehts lebendig und lustig fort, wir schlie­ßen uns wirklich immer enger aneinander. Lippold und Hü­gel und Döring sind nun Dr. phil. geworden, Lippold denkt an eine wissenschaftliche Reise nach Paris, wenn auch erst für nächsten Winter. Vorgestern haben wir im Schützenhause unser zweites Stiftungsfest begangen, wozu wieder die Jugend alle Anstrengungen gemacht hatte. Auch dießmal Thea­ter zur Eröffnung, man spielte Doctor Faust als Puppenspiel, ich wollte Du wärst dabei gewesen, um die Wirkung dieses auch in dieser volksmäßigen Gestalt überaus großartigen Stoffes mit zu haben. Reuter als Faust, Lippold als Mephi­stopheles, Hügel als Kasperle, fünf Andere als Teufel; Lippold und Hügel waren vortrefflich, theilweis geradezu bedeutend. Nachher folgte eine Tafel mit zwanzig Gedecken, mit Sprü­chen und Gesang und Ernst und Lust. Auch Deiner als aus­wärtigen Mitglieds ward nicht vergessen, Jungmann brachte ein Hoch auf Dich aus. Übrigens waren, wie voriges Mal, Damen dabei, ein sonst im Club unerhörter Anblick, wenn man so sagen kann. Erst früh um drei schloß ich unsern Thor­weg auf.

Hast Du denn nun Deine vier Exemplare der holländ. Sonder­linge erhalten? Ich wollte eigentlich an Grottendiek schreiben, um ihm für die Liebe und Sorgfalt, mit der er es gemacht hat, Dank und Anerkennung auszusprechen; ich thu es wol auch noch. Wie mir Hirzel sagt, hat er auch Reich und Arm in Aushängebogen zugeschickt erhalten, um es frisch zu über­setzen.

Mit dem milden, schneelosen Winter habt Ihr wol eure Noth gehabt? Da könnt Ihr doch kein Heu und Holz von den Ber­gen holen. Aber Du holst doch wol überhaupt selbst keins mehr herunter, nichtwahr? Bei uns ist übrigens im März plötz­lich noch Kälte und Schnee eingebrochen, nachdem wir im Februar schon den beginnenden Frühling hatten. Des Herrn Curats Wunsch wegen der Phisharmonika kann ich leider immer noch nicht erfüllen, der Lippold ist ein saumseliger Mensch und etwas unstät in seinen Gedanken. Grüß mir die Deinigen aufs herzlichste, auch Deine gute Mutter, an die ich eignerweise beim Schreiben nicht mehr dachte seit ich selbst keine Mutter mehr habe. Dich aber grüßen die Meinigen bestens, auch der Club, wie ich, der Dir das Beste wünscht,

Dein Rud. Hildebrand.

Keine