VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
199
10. Juni 1866

Mein lieber Herr Felder,

Ich bin schon seit einiger Zeit fertig mit den Sonderlingen, sie sind mir sehr lieb geworden, und ich will nicht länger verschieben, Ihnen auch vom Ganzen zu sagen wie es mir gefallen hat. Ich bin von der weiteren Entwickelung durchaus befriedigt, der eigentliche Umschwung durch den Lawinen­sturz ist vortrefflich erfunden und ausgeführt, von ergreifen­der Wahrheit und Feinheit in der Zeichnung äußerlich und innerlich. Daß Barthle stirbt, ist entschieden passend, Sepps Bekehrung ganz vortrefflich, die Entfernung des Pfarrers und seine Ersetzung die beste Lösung der religiösen Spannung, usw. usw. - ich bin begierig es gedruckt ausgehen zu sehen. Aber in dieser Woche wird wol das blutige Trauer- oder Pos­senspiel im Vaterlande beginnen! Dazu hat Hr. Hirzel in letz­ter Zeit ein tiefes schweres Leid in der Familie erfahren, das ihn fast beugte (es hangt auch mit der Kriegsnoth zusammen), so müssen wir leider auf hellen Himmel warten, und wer weiß wie lange. Vielleicht klärt sich wider Willen der Anstif­ter mehr nachher als die Menschen jetzt denken. Ich hab inzwischen schon ein paarmal aus den Sonderlingen in kleinem Freundeskreise einzelne Kapitel vorgelesen, und Sie können mit dem Erfolg sehr zufrieden sein. Auch hab ich vorige Woche in Halle auf einem geschäftlichen Besuch mei­nen dortigen Freunden über Sie Vortrag erstattet, darunter drei Herren von der Universität, mit gleichem Erfolg wie im Mai in Schulpforta; hab auch kürzlich bei Scheffel in Karls­ruhe brieflich angefragt, was er zu Ihrem Schwarzokaspale sagt. Er hat mir zugesagt es nun zu lesen und will mir sein Urtheil darüber mittheilen, ich bin sehr neugierig darauf. Der Redacteur der Europa, Dr. Steger, sprach mir neulich den Wunsch aus, Ihre Briefe an mich zu einer Mittheilung in sei­nem Blatte zu benutzen. Das hielte ich nun zwar an sich für ganz wünschenswerth, aber nur jetzt nicht wie mir scheint, was sagen Sie dazu? Er sprach von einem auszugsweisen Ab­druck der Briefe.

Ihre Ausführungen auf meine kritischen Bedenken waren mir sehr interessant; aber überzeugt haben sie mich freilich nicht allenthalben, z. B. in dem Punkte von Sepps Seelenheil in den Augen der Mari. Aber ich sehe wie mißlich es ist, dem Dichter in seine Arbeit hineinreden zu wollen, sonst hätt ich noch ein paar kleine Fragen der Art - z. B. daß die Bauern sich um die großen Ereignisse in Italien damals nur so gar kühl kümmern, daß selbst Franz sich die Zeitungen eben in dieser Zeit auch nicht einmal auf die Alp nachbringen läßt, während er bei seinem Gesichtskreis doch wol auch den Zusammenhang der großen politischen Entwickelung mit seinen persönlichen Interessen empfinden müßte, daß auch die Mariann ihn nach seiner Verwundung gar nicht fragt, sie die Liebende------- aber ich will nichts gesagt haben, es sind nur so Einfalle.

Mein Besuch im Bregenzerwalde ist bei jetzigen Umständen leider sehr fraglich, während ich eine Zeit lang dazu fest ent­schlossen war, als man noch Hoffnung auf Friede hatte. Ihr Besuch in Leipzig würde mir aber eben so lieb und erwünscht sein, und wenn das Schwarzokaspale eine zweite Auflage erlebt, oder wenigstens wenn erst die Sonderlinge zum zwei­ten Mal gedruckt werden sollten, auf diesen Fall möcht ich Ihnen eigentlich das Gelübde Ihres Besuchs bei mir abneh­men. Ich wäre wahrhaftig begierig Ihnen die Kunst in Concert und Theater und Malerei vorzuführen-Sie kennen die eine ganze Hälfte der Seelenwelt noch nicht wirklich, wenn Sie die Kunst in ihrer Blüthe noch nicht haben auf sich wirken lassen können - nun das muß ja noch werden, und ich freue mich darauf Sie da einmal einzuführen. Hier in Leipzig wären Sie natürlich mein Gast; aber im Sommer werden Sie nicht kön­nen, eher wol im Herbst, etwa im October? Die Reisekosten würden sich, um auch das einstweilen zu erwähnen, auf höchstens 25 Thaler belaufen, freilich Geld genug. Ich möchte Sie gar zu gern einmal ein paar Wochen um mich haben, und am liebsten wäre mir das allerdings hier auf dem Ihnen neuen Boden. Nun, kommt Zeit kommt Rath. Ich weiß nicht wie viel Sie bis jetzt von unserer Vorzeit wis­sen, die mein Liebstes im Studium ist; ich möchte Sie gern ein wenig dazu heranziehen. Da ich zu meiner Überraschung von Ihnen ein altdeutsches Wort angeführt fand, erlaube ich mir Ihnen als einen Appetitsbissen aus unserm engeren Stu­dienkreise einen Vortrag von mir mitzuschicken, aus dem Sie sehen können was für den gebildeten Deutschen überhaupt etwa aus unsern Studien herausspringt - wir arbeiten daran, unser eignes verschüttetes und verkanntes Alterthum wieder auszugraben ans Licht, den Faden wieder anzuspinnen, der unsere Gegenwart mit dem Leben und Denken unsrer Vor­fahren verknüpft oder verknüpfen sollte, denn er ist im 17. Jahrh. abgerissen worden.

Um weitere Spähne aus Ihrer Sprache bitte ich angelegent­lich. Aber Ihr f und s setzt mich in Verlegenheit, weil ichs nicht unterscheiden kann.*) Ist das Klipso das Sie mir gaben, klipfo wie ichs gelesen habe, oder klipso? Da es jetzt zum Druck kommen soll, möcht ich gern baldige Berichtigung haben, ich habe den Druck noch warten heißen. - Wie nen­nen Ihre Landsleute das Echo? Echo doch wol hoffentlich nicht; Sie nennens einmal das antworten der Berge, und das ist der Ausdruck unserer Vorfahren, bezeugt aus dem 13. Jahrh.:

von Muten und von hünden | der schäl was so gröz,

daz in (ihnen) da von antwürte | der berc und oüch

der tan (Wald).                                             Nibel .883,3

Wie kommt klapf zu der Bedeutung Menge? Ich komme nächstens daran, klapf ist alem. eigentlich Schlag, Krach u. ähnlich, es muß noch eine erklärende Zwischenbedeutung geben. Haben Sie klamper oder ähnlich = Klammer? haben Sie eine Redensart einem ein klempferle anhängen oder ähnlich = einem etwas seiner Ehre Schädliches nachsagen? Haben Sie etwa ein Wort klampe oder ähnlich = Klumpen, großer Bissen? Wie sprechen Sie Ihr lauine Lawine aus, laufne oder läuine? wol das letztere. Wir sagen, als wäre es romanisch, lawine.

Ich habe noch mehr Fragen, wenn wir erst zum Druck kom­men, so Gott will. Manches kann ich auch nicht sicher lesen. Mir ist eingefallen, daß ich Ihnen Ihre Zeitschriften am Ende von hier aus billiger besorgen könnte, d. h. gelesene, und später erst, wenn Ihnen das nichts verschlägt. Doch für heute guten Abend, ich hätte eigentlich noch ein halb Dutzend Briefe zu schreiben.

Grüßen Sie mir Ihr liebes Wible, ich grüße Sie mit den Mei­nigen, in freundschaftlichster Gesinnung ,      ., . , .

Ihr R. Hildebrand.

Ich lege noch ein paar Correcturbogen bei, die vielleicht theilweis Interessantes für Sie enthalten.

Die gedruckte Bitte von Mannhardt ist bestimmt, möglichst verbreitet und - beantwortet zu werden. Es sind schon tausende von Exemplaren durch Deutschland verschickt.

*) nicht wahr: grübeln und grilleln, nicht grisseln?

Keine