VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
228
2. September 1866

Lieber Freund,

Ich darf Sie ja wol so nennen nach dem was wir zusammen und an einander nun schon innerlich erlebt haben - es läßt mir keine Ruhe Ihnen sofort Nachricht zu geben von einer glücklichen Wendung in unserer Angelegenheit, mit der wir vielleicht ein für allemal über den Berg sind, sodaß Sie nun freies Feld gewinnen. Vor zwei Tagen erhielt ich von Prof. Gosche aus Halle einen Brief mit der Bitte um Übersendung Ihres Schwarzokaspale zum Behuf einer Besprechung in dem Jahrbuch für Literaturgeschichte, das er seit vorigem Jahre her­ausgibt. Er hat für den 2. Jahrg. einen Aufsatz über die Dorf­geschichte unter der Feder, hatte durch meine dortigen Freunde von Ihnen gehört, und nun sollen Sie da mit ver­arbeitet werden vom literaturgeschichtlich ästhetischen Stand­punkt aus. Gosche ist ein Mann der ernsten Wissenschaft, zu­gleich geistreich im besten Sinn des Worts und hochbegabt, zufällig auch ein Universitätsfreund von mir. Sein Jahrbuch macht in trefflicher Weise den Versuch die Literaturgeschichte des Tages und die ästhetische Kritik wieder auf wissenschaft­lichen Standpunkt zu stellen und ist sehr angesehen, geht auch ins Ausland. Das ist denn der rechte Platz, den ich mir für Einführung Ihrer Arbeiten beim Publicum nur wünschen konnte, und auch Hirzel, dem ich den Antrag auf der Stelle mittheilte, und Freytag (der sehr theilnehmend nach Ihnen fragte) sind sehr zufrieden damit.

Ich. schickte ihm sofort mein Exemplar, und legte einige Ihrer Briefe bei, die ersten, mit denen ich für Sie Propaganda ge­macht habe; er wünschte nämlich Personalien von Ihnen und wußte schon von den Briefen. Schon heute hab ich nun Ant­wort von ihm, nachdem er das Schwarzokaspale erst zu lesen angefangen. Er schreibt mir über den Eindruck den es ihm macht, und - wir können sehr zufrieden damit sein, Sie wer­den neben Auerbach Figur machen in einer Weise die Ihnen wol große Freude machen wird, und Mut der Zukunft gegen­über; auch wird das sicherlich Ihren Leserkreis erweitern, hoffentlich auch in die Kreise hinein in denen die rechten Kenner zu suchen sind. Vor allem aber ist nun dadurch ent­schieden daß Hirzel die Sonderlinge druckt (deren Anfang ihm nicht recht zusagen wollte), ich denke auch bald, hoffent­lich bald nach dem Erscheinen von Gosches Aufsatz, der in den nächsten vier oder sechs Wochen zu erwarten ist. Inzwi­schen wird auch, über das Schwarzokaspale das Urtheil von Freytag einlaufen, der jetzt erst dazu kommt auf seinem Som­meraufenthalt bei Gotha es mit Muße zu lesen, und von Scheffel in Karlsruhe den ich brieflich darum gebeten habe; daß die beiden den Werth daran aber finden, dessen bin ich gewiß, und dann kann Hirzel nicht mehr widerstehen. Also guten Mut über alle Not hinweg!

Auch guten Mut in politicis! Deutsch-Österreich gehört zu uns, und es muß uns werden, wie auch immer, und wenn wirs auch nicht mehr erleben. Glauben Sie nur, sobald sich der Aufruhr der Dinge erst setzen und klären wird, wird als­bald ein gewaltiger Drang kommen von allen Seiten, von den Besten und von Vielen die jetzt erst zu national politischem Leben aufwachen werden, um die Zerreißung zu überwinden die man in Berlin jetzt für nothwendig hält und die bei dem dort einmal eingeschlagenen Wege auch nothwendig sein mag. Die ganze Kraft der Deutschen, deren Größe wir noch nicht kennen, hat nun nur ein Ziel und nur einen Weg, ein Glück das in der deutschen Geschichte kaum noch dagewesen ist: Einigung unter Preußens Führung, und das wird auch Ihnen bald zu Gute kommen, wenn auch, anfangs nur auf Umwegen. Sie müssen zunächst die Bureaukraten und be­sonders die Römlinge bekämpfen, und namentlich das Letz­tere wird vielleicht in nächster Zeit durch die Wucht der Dinge unterstützt, die sich in Rom selbst vorbereiten. Ich blicke wieder hoffnungsvoll in die Zukunft trotz der Cholera die jetzt auch hier bei uns stark auftritt, meine Hoffnung ist aber von je her nur an ganz Deutschland gebunden gewesen; während dieses Sommers hab ich in mir entsetzlich gelitten. Gosche bat mich übrigens um Erlaubniß, seinem Aufsatze auch von Ihren persönlichen Verhältnissen das Nöthige ein­verleiben zu dürfen. Daß er es mit Schonung für Ihre Stellung zu den Gewalten Ihrer Heimat thue, darum hab ich ihn schon gebeten; aber wer und wo Sie sind, das muß der Leser wis­sen, um Ihre Leistungen in ihrem rechten Lichte, in ihrem ganzen Glänze zu sehen, und Sie habens mir ja eigentlich auch schon erlaubt.

Eigen wie Ihnen Nordeutschland entgegen kommt - Gosche ist ein Berliner Kind, sein Jahrbuch erscheint in Berlin, Hirzel ist ein halber Berliner, nur hab ich Mitteldeutscher das alles vermittelt. Der Verf. des Aufsatzes in der Flensburger Nordd. Zeitung ist ein preußisch gesinnter Leipziger, Hr. Dr. Land­graf, aus einer unsrer Patrizierfamilien, der jetzt im Dienst der preuß. Regierung in Flensburg das Annexionsblatt leitet, übrigens ein trefflicher begabter junger Mann, den ich bei Hofrath Freytag kennen lernte und der zugegen war bei Buchh. Mayers, als ich diese mit Ihrer Angelegenheit eines Abends unterhielt, daher der Aufsatz. Ich hab ihn übrigens nicht gelesen, die Zeitung ist hier nicht zu haben; Landgraf konnte übrigens so klug sein mir auch ein Exemplar davon zuzuschicken, vielleicht kann ich ihn noch drum bitten lassen, wenn ich schon Gruß und Dank bestelle; ich. weiß freilich noch nicht wie.

Die mitgeschickten Nummern der Zeitungen aus Ihrer Hei­mat waren mir sehr interessant, Sie lassen sie mir wol noch ein Weilchen. Aber, lieber Freund, ein Schimpfartikel ist das doch nicht von Vonbun, wie Sie es zuerst nannten - ei ei! Die hypochondrische Dichterempfindlichkeit! Vonbun ist da­nach einer von den selbstgefälligen Studierten, die sich für geistreich halten, wie sie es zu Hunderten gibt, und Ihr Herr Schwager hat ihn wahrhaft vortrefflich abgefertigt (bitte grü­ßen Sie mir doch Ihren Hrn. Schwager bei Gelegenheit); aber Übelwollendes kann ich. in Vonbuns Aufsatz doch nicht fin­den, auch nicht die Meinung, daß ein Dorfbewohner nicht der Mann wäre um eine Dorfgeschichte zu schreiben, wie Sie mir ein andres Mal angaben. Aber nichts für ungut, ich will sie nicht auch noch ärgern.

Und doch - ich muß Sie wirklich noch einmal ärgern - Ihr Gedicht, das Sie mir mitschickten, war mir sehr interessant durch seinen Inhalt, es spiegelt Sie in liebenswürdiger Weise wieder; aber - als Gedicht, lassen Sie michs offen sagen, ist es mit Ihren Romanen durchaus nicht auf gleiche Stufe zu stellen, es klingt mit Abrechnung einiger vortrefflicher Zeilen zu sehr wie 18. Jahrhundert, an Gleim, Hölty, Salis erinnernd - bitte, ärgern Sie sich nicht darüber. Ich will Ihnen lieber rasch doch noch herschreiben, was Gosche vorläufig von Ihrem Nümmamüllers urtheilt: „Zwar übersehe ich natürlich noch nichts von der Architektonik (dem künstlerischen Auf­bau) seiner Erzählung; aber seine Behandlung des Einzelnen ist so frisch charakteristisch und wirkt so unmittelbar, daß ich in dieser Beziehung an die wirksamsten Momente des Goetheschen Realismus erinnert werde" - was ich wörtlich unterschreibe.

Aber genug für dießmal. Glück zur Zukunft für Sie und uns Alle, damit grüßt Sie herzlich Ihr

R. Hildebrand.

Keine