VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
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1. Juni 1867

Lieber Freund,

Gut Glück zur Heimkehr. Mir ist es zwar zu früh, aber Sie müssen ja die Verhältnisse genauer übersehen. Ich dachte heute früh in meiner Kaffehausstunde lebhaft und zuversicht­lich an Sie, da ich von dem Antrag auf Revision des Concor­dats in der Addresse Ihres Unterhauses las. Das muß ja wer­den, muß jetzt werden, es ist eigentlich nöthiger als die Finanzlage. Was wird sich das gute Wible freuen, Sie wieder zu haben. Ich bin sehr begierig auf die Stimmung im Dorfe, die Sie finden werden. Wenn Sie freilich Äußerungen wie die von der Seele als einem nur theologischen Begriff auch dort haben fallen lassen, dann sind Sie dort allerdings un­möglich. Ich selbst erschrak darüber, wolverstanden nicht Ihres Seelenheils wegen, nur wegen der Berührung mit der unphilosophischen, materialistischen Richtung, die Sie da auf einmal sehen lassen, und von der die Wissenschaft selbst schon wieder umkehrt. Doch darüber ließe sich nur münd­lich etwas aufs Reine kommen. Aber daß Ihnen in einem praktisch pädagogischen Aufsatze der Gebrauch des Jahr­tausende alten Wortes Seele auffallen kann, das ist mir offen gesagt selbst sehr auffällig, ich müßte Sie denn gänzlich mis­verstanden haben.

Doch zur Hauptsache. Ihr Aufsatz für die Grenzboten ist richtig eingegangen. Ich wollte eben zu Freytag gehen, als er kam, hab ihn aber dann erst selbst noch durchgesehen und auch im Club vorgelesen, der gerade stark besetzt war. Die Wirkung war entschieden die, daß man, einen ausge­nommen, den ersten Theil für vortrefflich erklärte, den zwei­ten aber nicht. Auch der Unzufriedene hatte am 1. Theil nur auszusetzen, daß Ihre Bauern eine zu abstracte Sprache rede­ten (z. B. hier bist du ganz du selbst, er meinte, im Volke sagte man da: hier gibst du dich wie du bist). Mit dem 2. Theil aber waren alle unzufrieden (NB. 12 Mann), auch ich. Ich hab ihn dann noch mit dem Bleistift durchgegangen und fast einen ganzen Tag drüber gesessen, in der Besorgniß, daß Freytag es unannehmbar finden könnte. Ich habe ge­kürzt, hie und da auch im Stil geändert, den Satzbau aus­geputzt, in dem mir entschiedene Flüchtigkeiten entgegen­traten. Mir kams vor, als wäre es zu früh gewesen, den Vor­gang schon zu beschreiben. Sie hatten es noch nicht genug überwunden; aber mir kam es auch vor, als ob Sie sich da doch zuviel vertraut hätten. Wolverstanden, es sind ja vor­treffliche Dinge drin, aber der Gesamteindruck war ein zu unbedeutender. Dazu war der eigentliche Wendepunkt, das Gespräch mit dem Pfarrer, zu flüchtig behandelt, ja unklar, wie ich nach Ihren brieflichen Mittheilungen darüber deut­lich sah. Ich habe mir da erlaubt, den Satz gänzlich zu ändern. Schade nur, daß darüber nicht eine mündliche Verständigung möglich ist.

Gestern war ich bei Freytag in der Angelegenheit. Er hatte den Aufsatz gelesen (leider offenbar nur rasch, wie es Viel­beschäftigte geschäftsmäßig machen) und will ihn nehmen. Aber freilich nicht so wie er ist. Er müsse bedeutend kürzen, sagte er, weil beide Theile in eine Nummer kommen müßten, sonst würde der 2. Theil wirkungslos sein. Auch von nöthi­gen Änderungen sprach er, aber merkwürdiger Weise im 7. Theile, an dem ich kein Wort geändert sehen möchte. Ich habe mich vergeblich bemüht, ihn umzustimmen. Er sieht Sie noch nicht mit dem richtigen Auge an, weil er von den Son­derlingen noch zu wenig gelesen hat. Er sieht in Ihnen zu sehr bloß den Schriftsteller, der an Wirkung und Erfolg denkt, nicht den gesunden Menschen der aus bitterer Wirklichkeit schöpft. Ich konnte ihn durch Gründe nicht bekehren, aber den Aufsatz zurückziehen konnte und wollte ich auch nicht, und so hab ich ihm in Ihrem Namen die Vollmacht zu den Änderungen gegeben, die er für nöthig erklärte. Ich bitte Sie, sich das gefallen zu lassen, selbst wenn Sies ärgern sollte, was ich Ihnen nicht verdenken könnte, ich habe mich auch darüber geärgert.

Er nahm besonders Anstoß an der Art, wie Sie Ihre Bauern reden lassen, das könne Ihnen niemand glauben, das müsse wie gemacht erscheinen. Auch an dem Traum am Ende des 2. Theils nahm er Anstoß, als zu gemacht erscheinend, und will ihn weglassen - mich verdrießt das, obwol mir der Traum auch nicht ganz zusagen wollte aus ändern Gründen. Ich denke mir als möglich, daß Sie sich sehr ärgern über alles das; aber dennoch bitte ich Sie hoch und höchst, gute Miene zum bösen Spiel zu machen - Sie müssen eben noch über manche Stufe hinweg, ehe Sie auf die Höhe kommen. Sind wir doch in einem Jahre so weit gekommen, daß ichs oft bewundere, wenn ich zurückdenke, wie das in der kurzen Zeit möglich gewesen ist.

Ich darf übrigens nicht vergessen zu erwähnen, daß Freytag an sich von der wärmsten Theilnahme für Sie erfüllt ist und nichts will als Sie fördern und Ihnen nützen. Er will Ihren Aufsatz nur darum umgestalten (aufs schonendste, wie er mir wiederholt versicherte), damit er seinen Lesern möglichst anziehend erscheine, damit sein Publicum für Sie gewonnen werde. Sie bewahren ja wol die ursprüngliche Fassung auf, damit die nicht verloren geht. Übrigens wird, denk ich, die Zeit bald kommen, wo auch das Grenzbotenpublicum Sie gern hinnimmt wie Sie sind. Ich denke auch die Heilsgeschäfte Freytag anzubieten.

Von den Sonderlingen immer noch keine Besprechung! und Hirzel hat davon 20 sogenannte Recensionsexemplare ver­schenkt! Es mag keiner der erste sein, wie mir scheint. Stegern hab ich vorgestern auf der Kneipe darum gemahnt. „Kommt gleich!" war seine Antwort. Mündliche Anerkennung höre ich öfter in günstigster Weise. Hirzel selbst nannte es neulich ein bedeutendes Buch, nur daß etwa ein Drittel von vorn herein gekürzt werden könnte, und die Wirkung würde grö­ßer sein. Er hatte es aber da lange noch nicht ausgelesen. Übrigens sprach er da auch schon von einer zweiten Auflage, die er bald riskieren wollte, da nur noch 100 Stück auf Lager wären; freilich ist ganz unsicher, wie viel von den versende­ten nicht doch als Krebse zurückkommen. Ich werde übri­gens, wenns dazu kommt, ein höheres Honorar zu erwirken suchen.

Ich bin höchst gespannt auf Nachricht aus Schoppernau. Mit alter Anhänglichkeit

Ihr R. Hildebrand.

NB. Zum Abdruck Ihres Aufsatzes in der Feldkircher Zeitg hat Freytag seine Einwilligung gegeben. Das Gedicht der Ein­samen aus Straßburg interessirt mich aufs höchste, können Sie mirs nicht einmal mitschicken? ich bitte dringend darum. Auch ich bekomme übrigens Briefe von Leuten aus dem Volke, die auch entdeckt sein möchten.

Keine