VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
390
12. Juli 1867

Liebster Freund Bauer,

Doch noch ein Brief statt meiner, damit Sie nicht in Sorge sind meinetwegen und mich im Schnee verunglückt denken, wenn Sie mich am Dienstag nicht auf dem Schrecken treffen. Der Schule wegen könnt ich zwar schon morgen fort, wie ich eigentlich wollte, denn heute ist die Schule geschlossen wor­den. Aber das Wörterbuch und andere Geschäfte dringen mir doch noch einige Tage ab, und ich werde nicht vor Mitt­woch fortkommen. Aber da will ich bestimmt fort und fahre noch am Mittwoch bis München, wo ich übernachte, und dann am Donnerstag über Augsburg, wo ich mich nun nicht aufhalten will, um die Zeit möglichst einzuholen, nach Oberstorf. Dann will ich Freitag früh von da fort über den Schrecken, wo ich doch wol am Spätnachmittag eingetroffen sein kann und - Sie zu finden hoffe.

Ich werde Ihrem Rathe gemäß über den Paß einen Führer nehmen, von Mittelberg aus, falls ich nicht durchs Rappen­alpenthal gehe, was ich noch nicht sicher weiß. Ich freue mich unsäglich auf unser Zusammensein, auf Ihre Heimat und Familie, auf das was ich dort sehen und hören soll, ich ahne frisches, volles Leben wie es so ein Büchermensch (mit einem sehr durstigen Herzen) so sehr bedarf von Zeit zu Zeit.

Aber es muß genug sein für jetzt, ich muß bis zum Dienstag noch gewaltig schanzen, Arbeit für Wochen thun, um  mir mein  Ferienglück, das schon wie Morgenroth am  Himmel heraufzieht, zu verdienen. Also auf Wiedersehen bei Jochum!

Mit herzlichsten Grüßen an Sie und das brave Wible, auch von den Meinigen,

Ihr R. Hildebrand.

 

FRANZ MICHAEL FELDER:

LEIPZIGER TAGEBUCH, 14.-31. AUGUST 1867

Reise Tagbuch

Leipzig am 14 August 1867

Die-Zeit, wo ich regelmäßig das Tagbuch führte, ist längst vorüber. Ich sagte mir, weil ich glücklich meine Selbstbespie­gelungssucht los wäre, doch ganz und so ganz wie ich wähnte muß ich mich doch noch nicht aufgegeben, dem Allgemeinen untergeordnet haben, sonst würde ich nicht noch ein Heft von Hause mit haben, um allenfalls ein Tagbuch führen zu können.

Und nun fange ich wirklich und wahrhaftig an, das dient mir zum Beweise dafür, daß ich so ziemlich der Leipziger wurde, der ich zu werden erwartete. Ich fühlte, es werde nötig wer­den, mit Manchem innerlich gleichsam aufzuräumen, damit neues Platz habe, ohne daß Früheres mir ganz oder theil­weise verloren gienge.

Über meine Heimath kann ich schnell hinaus, denn sie mit allem ist ja ein Stück von mir, das mit auf Reisen geht, ich bin da mit allem so verwachsen wie die guten Bludenzer mit ihren Bergen. Mit Allem? Nun ja! Ich bin in königlicher Stimmung und „unser Schuldbuch sei vernichtet". Um des Pfarrers von Schwarzenberg Willen, sie alle, die wollen, sol­len mit in den Kreis gezogen sein. Aber! Der gute Pfarrer von Schwarzenberg, der mit einem ebenfalls geistlich ge­kleideten Herrn mit uns von Alberschwende nach Schwarz­ach fuhr, versicherte mich, daß er mir und dem deutschen Wesen durchaus nicht feind und auch sonst gar nicht so wäre, wie man sie Tiroler in Deutschland draußen zu verschreien gewohnt sei. „Sie, Sie kein Ultramontan?" frug der andere langberockte Herr mit Richterblick. So daß der greise Pfarrer dem jungen Hitzkopf schluckend antwortete: Ja wol-aber­Dieses „Aber" war so zu sagen das letzte Wort das ich in meiner engern Heimath hörte, und es liegt mir mit dem norddeutsch gegebenen R immer in den Ohren. Noch auf dem Dampfwagen, fast die ganze Strecke von Lindau bis Augsburg beschäftigte ich mich mit diesem Aber. Hildebran­den hatte ein Brief von daheim die Stimmung verdorben. Er sorgte, wie er seine Emmi treffen werde und ich kam mir da neben ihm zuweilen recht überflüssig vor. ­Zum Schlafen kam ich nicht, wie einladend weich die Polster und wie „still die Stille" im Wagen auch sein mochte. In Augsburg kam ich ganz wirbelig an, und die hier angelegte Binde machte meinen Kopf noch verwirrter. Herr Kleindienst, ein Angestellter bei Himmer den wir abends in der Ludwig­straße d 170 fanden that mir einen großen Dienst, als er mir sagte, wo Ost und West liege. Am Tage darauf wurde das Friedens- und Versöhnungsfest von Protestanten und Katho­liken gefeiert. Recht aber scheint diese Versöhnung noch nicht zu Stande gekommen, sonst würde es keine speziell katholische Frauentracht mehr geben. Das war wol der letzte Gedanke, die letzte Betrachtung über das Elend das durch religiösen Unfrieden geschaffen wurde. Ich verließ mein Dorf, nicht um das Mittelalter, um seine schlimmste Seite, sondern um die Neuzeit zu sehen. Und ich sollte das.

„Nach München 1 Uhr 35 Minuten!" hörten wir sagen, als wir uns die Fuggerschen Gemälde am Fuggerhaus in der Ma­ximiliansstraße sattsam besehen hatten. Aber schon wars bei­nahe 2 Uhr, und noch schien kein Mensch ans fahren zu den­ken. Hildebrand machte sich noch einmal hinaus und Bieera . . ob man darauf gewartet hätte, giengs ohne Gnade und Barmherzigkeit los. Und es gieng so glatt und prächtig, ob alles in der schönsten Ordnung sei. Da flogen Telegrafen­stangen vorüber so schnell ich 15 zählte, Bäume Häuser Dör­fer Berge schwanden dahin. Neben mir lag das graue Tuch meines Freundes und schien mich ernstfragend anzusehen. Unter dem Sitze das Felleisen und mir zur Seite zwei Reise­taschen. Die Unterhaltung der anwesenden ward bald sehr lebhaft, ich aber vermochte mich noch nicht daran zu be­theiligen. Mit rasender Schnelle giengs nach München, aber was sollte ich dort ganz alein oder wie sollte ich später Hilde­branden finden. Im Gewühl des Bahnhofs konnte er mich leicht konnte er von mir nur zu leicht übersehen werden. Schon waren wir auf der 2 ten Station, Hildebrand also schon meilenweit hinter mir. Wie furchtbar schnell doch Menschen sich jetzt entfernen und verlieren. Man könnte in dieser Zeit des Dampfes verzweifeln an sich und seinen Füßen die man nur noch zu haben scheint um gewichste Stiefel daran zu stecken. Aber die Menschen finden sich heute auch schnell wieder. Der Dampf lebt, es lebe auch die Elektricität die jenen ergänzt. Auf der 2 ten Station schon wartet ein Tele­gram mit der Nachricht von Hildebrands Zurükgelassenheit. Ich hatte irgendwo den Stachusgarten nennen hören und telegrafirte nun zurük, daß ich meinen Freund mit dem Ge­päcke dort erwarten werde. Dieser kleine Zwischenfall brachte den Bauern so recht ganz in unsere Zeit herein. Der Lokomotivpfiff schnitt mir nicht mehr so grell ins Mark die vorbeifliegenden Telegrafenstangen belebten sich und nach­dem ich eine Zeit lang an der Unterhaltung der Mitfahren­den lebhaftesten Antheil nahm, langte ich in der besten Stimmung von der Welt im Münchner Bahnhof an. Ich lud nun aus dem Wagen meine Tasche, Hildebrands Tasche, meinen Rock und seinen Rock, dann den Regen­schirm das Felleisen und das ernste graue Tuch, vielseitigem Gebrauche dienend. Ein münchner Nudelmüller sah mein Bemühen, er both sich als Träger an und mit seiner Hilfe war der Stachusgarten bald gefunden. Ich erlabte mich an einem Bier, wie ichs in meinem ganzen durstigen Jammerdasein noch nie getrunken hatte. Dann begab ich mich auf mein Zimmer Nr 38 wo ich eine herrliche Aussicht über ein altes Ziegeldach hatte. Im Zimmer 37 war ein verliebtes Pärchen. Ich habe nicht gehorcht, aber da geblieben bin ich trotz der dünnen Thür um mich zu sammeln, und hiezu hatte ich ein Recht. Ich setzte mich und schlief bald ein. Abends wagte ich einen Spaziergang, suchte dann meinen Freund im Bahn­hof, fand ihn aber später im Stachus wo er mit Schmerzen auf mich gewartet hatte.

Wir schliefen gut und lang auf Nr 44 obwol die Betten uns manches zu wünschen übrig ließen. Dafür aber kosteten auch die Zimmer nur 30 X. Und nun ein Tag in München. Was ist das für die zahllosen Kunstschätze und Sehenswürdigkeiten dieser merkwürdigen Bierstadt. Ich wage kaum auf Einzelnes einzugehen, ja ich wills noch nicht. Dafür aber auch kein Wort vom Hofbräuhaus. Die Bibliothek zählt über 700000 Bände. Ich durchschritt die Saale und es wurden uns die sel­tensten Herrlichkeiten gezeigt.

Am ändern Tage nach 5 Uhr dampften wir über Regensburg bis Schwandorf wo die Wagen gewechselt wurden, dann wechselten wir wieder in Eger die Plätze und fuhren in luf­tigen Wagen mit guter Gesellschaft, die kaum noch im Dia­lekt redete bis Altenburg, wo die Wagen sich gewaltig füll­ten. Die Beamten wurden in dem Grade höflicher, wie wir uns Leipzig näherten.

Zehn Uhr war vorüber. Ein glänzender Streif zog sich am Himmel hin. Das war das mit Gas beleuchtete Leipzig. Mir war beim letzten Pfiff der Lokomotive zu Muthe, wie damahls als ich am 24 November 66 des Uhrenmachers Stimme nach 10 Jahren wieder hörte und mich fragte wie wirst du ihn finden. Etwas stramm und unbeholfen vom 18 stündigen Sitzen, folgte ich meinem Freunde durch das Gewühl des Bahnhofs, aus dem plötzlich seine Familie heraus und ihm an den Hals flog. Sie alle küßten sich und Vetter Karl trug das Gepäck heim, während die Ändern erzählten, daß sie schon zum sechstenmal dem Zug entgegeneilten in der Hoff­nung uns zu treffen. Was war ich diesen Leuten? Was konnte ich ihnen werden? Nun ich war einmal da und das Übrige sollte sich finden wenn ich erst wieder ordentlich ausgeruht hatte. Emmi bemerkte vor der Thür, „er sieht aber doch nicht so bös aus". Nun wußte ich nicht, ob damit ich oder der schon besprochene Schnurrbart meines Freundes gemeint sei. Jedenfalls stand ich nun da wie eine Art - Schauthier für die, welche in diesem Gewühle allenfalls noch Zeit hatten, sich um das hereingeschneite Bäuerlein zu kümmern. Was mir im Kopf umgieng, hätte mich zu Hause sicher nicht schla­fen lassen, jetzt aber schwanden alle Hoffnungen und Sorgen, die Sonne stand schon hoch, als ich meiner wieder bewußt wurde. Es war Sonntag den 11 August, während man daheim bethete und Gott anschrie, schrieb ich ans Wible, dem ich doch vor Allem meine glückliche Ankunft melden wollte. An diesem Tage lernte ich noch die Bewohner des sg Hinter­hauses kennen; so viel ich weiß, sind wir die ganze männ­liche Besetzung. Nachmittags machten wir einen Spaziergang in die Stadt. Am Montag Fahrt über die Pleiße. Ich lernte dabei kennen Dr Flügel Privatgelehrten, ein herzguter Mann mit freund­lichem Ausdruck Lehrer Köhler, ein armer fleißiger Schulmann Luipold aus Altenburg der sich meiner als Führer und auf jede Weise annahm Hügel - ein blonder Preuße, scharf verständig viel fragend wenig sagend, schloß sich gern an mich an Dr Meißner Hildebrands Hausartzt Ich sollte nun noch besonders der herrlichen Fahrt gedenken und der am Abend hernach gesehenen Vorstellung im Theater, aber ich werde das auch ungeschrieben nicht ver­gessen und warte daher lieber noch, bis ich das alles in mir hübsch geordnet haben werde.

24 August.

Heute bin ich nicht recht in der Stimmung, an den Liebes­zeichen fortzuschreiben. Ich denke viel an die, welche schwit­zen und sich plagen müssen, während ich hier sitze. Freilich schrieben mir Wible und Mutter ich sollte mir keine Sorgen machen, aber das würden sie schreiben, wenn sie sich halb zu Tode plagen müßten. Ich schrieb so wenig am Tagbuch, daß ich jetzt selbst kaum begreife was ich mit den 14 Tagen machte, da doch auch an den Liebeszeichen nur sehr wenig geschah. Denke ich aber, was ich alles erlebte, so nimmt mich wieder Wunder, daß ich überhaupt zum Schreiben noch Zeit fand. Ein bedeutender Mann schien mir Rektor Ekstein, bei dem ich wol eine Stunde war, bevor ich zu Hirzeln gieng. Der Letztere ist ein Älterer Mann, etwas kühl schien er mir und seine Art, etwas kurz abzuthun, hat mich nicht besonders angezogen. Als ich am Mittwoch Abends wieder zu ihm ge­laden wurde, hat mich das nicht einmal recht besonders ge­freut, obwol es für eine Ehre zu halten war. Ich fand ihn in liebenswürdigster Stimmung, und mir wurde bei Tische der Ehrenplatz neben ihm angewiesen. Die Unterhaltung dauerte ausnahmsweise bis 1/2 12 Uhr und Hildebrand äußerte sich über den Abend sehr zufrieden. Das nur so, um Hirzeln etwas beisammen zu haben, und nun wieder zur ordnungs­mäßigen Erzählung zurük.

Der Germanisten-Club hat mich zum Ehrenmitglied ernannt, bei seiner Sitzung am vorigen Mittwoch. Die Heimreise durchs Rosenthal bei Mondschein wird mir unvergeßlich blei­ben. Erst bestiegen wir in heiterster Stimmung eine deutsche Eiche, von der aus Hildebrand von dem Hurrenbuch und mei­nerVerfolgung erzählte, dann besuchten wir den guten Geliert wo humoristische Vorträge gehalten wurden und wir kamen erst um 12 Uhr heim. Donnerstag wieder nach Konnewitz wo ich Döhring kennen lernte. Freitag im Museum sah ich die Landschaftsbilder von Kalame, den Spieler und andere. Luipold zum letzten Mal mein Führer, kaufte mir für alle Fälle einen Gugger, der mir oft zu statten kommen und mich stets an den wakern Altenburger in der weißen Sommer­kleidung erinnern wird. Abends Wahlversammlung. Samstag im Bahnhof traf ich Herrn Time der mich zu sich einlud und mir Tobak und Bücher schickte. Sontags besuchte ich deut­schen Gottesdienst und Abends - das Schützenhaus, wo ich in einer Märchenwelt zu sein meinte, Montags mit Meißner den Botanischen

am 29 August 1867

„Garten besucht" wollte ich letzthin noch schreiben, aber ich wurde unterbrochen und es ist schon so lang, daß ich nicht einmal mehr weiß, durch wen oder was. Vermuthlich waren es die Studenten, denen Freund Hildebrand, wie überladen er auch mit Arbeit ist, an jedem Samstag aus und über Wal­ther von der Vogelweide vorträgt. Ich war mit in 2 solchen Stunden und wollte, daß ich jeden Samstag dabei sein könnte. In den alten Dichtern geht mir wirklich eine zum Theil der Meinigen nahe verwandte Welt auf. So hab ich jetzt meine Freude an dem Bild eines Kanzelredners, der die geistliche u weltliche Regierung zwei sich auf einem schma­len Stege begegnenden Ziegen vergleicht. Ich hab aber bei dem Alten das Neue nicht vergessen. Am Dienstag hatte ich es schlimm. Hirzel sagte mir vormittags, daß Heute von Lehfeld Goethes Götz gegeben werde, das Tagblatt verkündete Conzert im Schützenhaus und Lehrer Köhler mit den länglichen Gliedmassen, der sg Klubriese, erbot sich, uns in eine Lassalleaner Versammlung im Kolos­seum zu begleiten. Das Conzert schlug ich leichter aus, den Götz jedoch hätt ich gar gerne gesehen, doch entschied ich mich für die Arbeiterversammlung. Im Garten nahmen wir unser Abendbrot ein, und machten uns dann auf den von Luise für sehr gefährlich gehaltenen Weg. Ihre Glückswünsche begleiteten uns in die weiten Räume, während im Osten ein Gewitter aufstieg, welches wol viele nicht kommen ließ. Die Versammlung war still und ernst. Ihre Beifallsäußerungen verriethen Versändniß dessen, worum es sich handelte. Ihr Humor ist etwas bitter und so eine Versammlung macht einen Eindruck, der sich so in aller kürze nicht wieder geben läßt. Im Klub ists weit denn die Studenten sind heim, gestern saßen unser sieben auf der Wartburg und schmiedeten einen Plan gegen den guten Lotze der nicht wählen will und den wir nun übermorgen mit Gutem oder Bösem auf die Armen­schule nehmen wollen. Übrigens dachte ich mir die Wahl­bewegung etwas lebhafter, doch es haben ja viele den Glauben, daß die erste Wahl doch ohne ein Ergebniß bleiben werde.

Ich komme bisher nur zu einer flüchtigen Aufzeichnung ein­zelner Thatsachen, die zu verarbeiten ich daheim Zeit genug finden werde. Es kommt mir selbst fast wunderlich vor: daß ich in der belebtesten Zeit wieder zum Tagbuch komme. Freilich zur frühern behaglichen Selbstbespiegelung hab ich keine Zeit gehabt, da ich doch [die] für diese Zeit hinter­legten Liebeszeichen fertig abschreiben wollte was nun ge­schehen ist.

am 30 August

In der großen Seestadt Leipzig

War ne große Wassersnot

Häuser starben an die dreißig

Viele Menschen stürtzten Tot,

Mütter ringen mit den Händen

Kinder krabbeln an den Wänden

Auf dem Dache sitzt ein Greis

Der sich nicht zu helfen weiß,

Ach die Fluth sie ist so kühle

Und so duster ist das Grab

Das erweichet mein Gefühle

Drum brech ich mein Liedchen ab.

Tschira tschara Kassanova detscha rentscha, zwei drei vier So sang gestern das Hinterhaus auf dem Heimgang von Kunnewitz wo es den Damen wunderlich vorkam, daß ich die Kühe hauptsächlich „von Hinten" besah. Wir hatten unser 26 bei Sonnenschein den Ausflug gemacht und erlab­ten uns nun an Butter, Gurken Erdäpfeln, Bier und Häringen. Neidlos sah ich die letztern verschwinden, denn leichter ver­söhne ich mich mit gesalzener Butter und mit dem schlechten Wasser, als mit diesen gesalzenen Dingern, die noch todt uns beißen und würgen, dh. mich, denn es ist den ändern unbegreiflich, daß ich erst in der großen Seestadt Leipzig mit den Häringen Bekanntschaft gemacht habe.

Die Leute hier fragen mich in der Regel, ob ich nicht unsere Berge schmerzlich vermisse, worauf ich ruhig mit nein ant­worten kann. Aber die Dörfer, die ich bisher sah, würden mir wol langweilig werden, ohne Berge. In der Stadt aber hab ich so vieles, daß es mir wirklich an nichts fehlt als an Zeit. Nun noch Morgen - übermorgen und noch ein Tag dann geht es schon wieder der Heimath zu. Ich freue mich darauf, die meinen wieder zu sehen, aber wenn ich an Holz, Streue, Mist u an dergleichen denke, so wird mir unbehaglicher zu muth als je vorher. Warum kann ich nicht der Kunst leben und dem Berufe, den ich in mir zu empfinden wähne! Nun in jedem Gefühl soll auch die Kraft liegen, es zu Geltung zu bringen. Bin ich doch seit 18 Monathen weiter gekommen als ich in meinem Leben zu kommen hoffte und noch ists nicht aller Tage Abend. Ich kehre reicher - wenn auch nicht an Geld, in die Heimath, für deren Werth ich erst hier den richtigen Maßstab zu fin­den glaube.

Nachmittags 4 Uhr

Das Mittagsschläfchen ist vorbei, der Kaffee getrunken, und ich hab noch ein Stündchen, bis es Zeit ist zu Dr Flügel der mir ein Kistchen versprach um die von ihm geschenkten Bücher u dgl einzupacken. Ich möchte denn doch einmal das Bild so eines Leipziger Tages aufs Papier bringen und nehme gerade den heutigen, der trotz dem aus der Arbeiterver­sammlung mitgebrachten Schnupfen keiner der schlechtesten ist und roth angestrichen zu werden verdiente. Daß ich nach dem Morgenkaffee, wie gewöhnlich, am Schreib­tische saß, beweißt das Lied von der Seestadt Leipzig. Dann lernte ich auf meiner Conzertine ich habe nämlich so ein Ding für etliche oder einige Thälerchen an der Pleiße gekauft bei einem Händler, dessen Adresse mir von einem Arbeiter gegeben wurde, der das Instrument noch in betrunkenem Zustand anständig [spielte]. „Die paar Thaler" dachte ich, mich in Gedanken vor den meinigen rechtfertigend, wird mir Keil für dieTannbergerreise und die Heilsgeschäfte wol geben. Das Instrument wird mir eine passende Erinnerung an das liebe musikalische Leipzig sein und etwas Lärm machen in meinem eintönigen Schoppernauer Dasein, denn es spielt aus drei Tonarten. Als ich heute nun wieder meine Freude über das Ding ausließ und vielleicht die ändern Bewohner des Hinterhauses ärgerte, - Ja da war es auf einmal 9 Uhr. Luise brachte das Frühstück, Brot Schinken und ein Schnäps­chen, welches geeignet wäre, mich mit diesem Wort auf bes­sern Fuß zu bringen. Nun steckte ich als eingeleipzigertes Menschliches Wesen eine Cigare ins Gesicht und trottete die Windmühlenstraße hinab bog in die Petersstraße ein und kam wie gewöhnlich ins Kafe National wo etliche Zeitungen sind. Es war heute nicht lebhaft und mir sind nur 28 Wagen begegnet. Wir lasen hier, und auf dem Gang in die Königs­straße lachten wir und ärgerten uns über die angeschlagenen Aufrufe an die Wähler Leipzigs. Hirzel war in guter Stim­mung. Er ist freundlich gegen mich und Hildebrand will wis­sen, daß er mir sehr gewogen sei. Ich sagte ihm, daß ich die „Liebeszeichen" fertig habe, er wünschte sie durchzusehen bis zur Abreise und ich ließ sie ihm da. Er scheint geneigt, das Werk zu drucken, was mir ein erfreuliches Zeichen wäre. Allerdings dürfte eine Zeitschrift etwas mehr zahlen, aber es ist doch wol gut, mir den gewonnenen Kreis zu halten u zu erweitern. Jedenfalls wird Hirzel mir gut rathen was mit der Erzählung anzufangen sei. Er schenkte mir Springers Ge­schichte Ostreichs und wir unterhielten uns längere Zeit, giengen dann, Hirzelsche Cigaren dampfend in Keils Palast hinaus, da ich eben auch die Heilsgeschäfte mitgenommen hatte. Keil war freundlich und wir blieben weit über die vor­geschriebene Audienzzeit im Zimmer. Es steht da nämlich für jeden geschrieben:

Zeit ist Geld   5 Minuten.

Keil bezahlte mir den Tanberger Aufsatz u die Heilsgeschäfte, die er ungeprüft annahm. Nun - die Concertine ist bezahlt und ich mache noch hübschen Profit so daß ich schon noch ein Glas Nasses bei Steinbach nehmen durfte, dann wars Zeit zum Essen, zum Schlafen und nun zum Einpacken, damit mein Kram mit mir nach Lindau gelangt. Es erfaßt mich beim Gedanken an die Abreise ganz eigen. Nun werde ich bald wieder weit, weit von so vielen guten Menschen sein, die so innigen Antheil an meinem Schaffen nehmen u deren Lebensgang auch ich in Gedanken beglei­ten, aus deren Kreis ich nicht mehr ausgeschlossen sein möchte. Das Wible wird mir diesen Seufzer verzeihen ich glaube nicht, daß es ihm selbst anders gienge. Übrigens ­wenn man's Geld hätte, oder jeden Monath einmal so abge­keilt würde, wie ich heute, ließe sich ja die Fahrt wieder wagen. Eben lud uns Meißner zu einem Abendvergnügen ein, aber leider fehlt es mir an Zeit und ich kann nicht mehr denken; Die nächste Woche dafür aber sehe ich dann die Meinen. Ich habe sie häufig zu mir gewünscht, mich aber seltener zu ihnen zurükgesehnt. Nur das lag auch in den schönsten Stunden wie eine Last auf mir, daß während ich mir so wol sein lasse, das gute Wible Pfenninge spalten und sich plagen muß. O, wir sollten eben recht oft abgekeilt werden. Nun, es ist schon viel niemahls Erwartetes gekom­men. Kehr ich doch nun in jeder Beziehung reich zurük.

31. August 1867

Dichter und Schauspieler! Wie oft las ich von Beiden und doch galten sie mir für Leute, die in dieser Alltagswelt nur Auserwählte sehen und sprechen dürfen. Gestern sah und sprach ich Beide. Da war ein gewisser Zacharias von dessen Vergangenheit ich wenig weis von dessen Zukunft ich aber­das beste hoffen will. Freund Hildebrand findet mein Urtheil oft zu rasch. Nun, es wird sich ändern, wenn ich mich recht oft getäuscht sehe. Ich wünsche Herrn Zacharias und seinem wilden Humor, daß das der Fall sein möge. Wir saßen beim Bier und es wurde wieder einmal über das liebe Publikum geklagt, während im Garten die lieblichsten Weisen erklangen. Der Dichter sah im Volk eine Masse, der auf dem Kopf herumgetrommelt wird. Da handelt sichs also für den Künstler drum, die Klopfer in die Hände zu bekom­men. Mir that es recht in der Seele wohl außer Hildebrand ­von dem ichs erwarten konnte auch den Schauspieler - den ich im Lear als Narr sah, jetzt dagegen reden zu hören. Er vertheidigte mit Wärme das Volk welches auch Gefühl habe für das Ächte, Wahre. „Ich fürchte das Volk nicht", sagte er, „und wer das Volk als Richter fürchtet, und nur die Verrenkun­gen der Gebildetseinwollenden Kritiker studiert, der ist nach meiner Ansicht schon gerichtet". Deutschinger heißt dieser Mann und ich drückte ihm mit Herzlichkeit die Hand.

Heut hab ich meine Kiste gepackt und abgesendet. Ein Nudel­müller brachte sie auf den bairischen Bahnhof. Meine Kon­zertine trage ich selbst mit sie macht mir von Tag zu Tag mehr Vergnügen und dürfte im Stüb[l]e, wo keine Madam Engelhardt mehr hinter der Wand wohnt, für einige Zeit das Mittagsschläfchen unmöglich machen.

Übrigens bin ich für heute Abend zu der letztgenannten Dame eingeladen und ich werde dort auch den Stadtrath treffen, der mir im Frühling nötigen Falls Geldmittel zu ver­schaffen versprach. Morgen um diese Zeit werde ich in Kößen, also auf preußischem Boden sein und wieder neue Bekanntschaften gemacht haben. Meine Welt wird also auch daheim nicht mehr so eng sein. Ich sehe erst jetzt, wie Hilde­brand für mich wirkte und ich fühle mich wohl in dem Kreis in den er mich führt; ich hoffe, daß der Boden auf den er mich stellte, so fruchtbar ist, und so befruchtend auf mich zurükwirke, daß auch er daran seine Freude haben könne. Wie gönne ich ihm die Anerkennung die ihm im Central­blatt wurde für sein Streben, das ich immer mehr verstehen u würdigen lerne. Mir war das eigentlich mehr ein festlicher Tag des Sieges als der Gestrige der mir wol ein paar Duzend Thaler, der Welt aber darum wenig oder nichts brachte, was eine besondere Feier verdiente!

Mit der Kiste ist auch ein Stück von mir fort. Meine Gedanken beschäftigen sich mehr als gewöhnlich mit der Heimath. Ich sah, - während Hugo und Rudolf nagelten und die gekauften 100 Stück opfern zu wollen schienen - ja da sah ich die Mutter, das Wible den Jakob und den Kaspar und das Mikle um die Kiste versammelt, an der Hermann sich aufzurichten versucht. Alle spähen, ob unter so vielem für mich nicht auch für sie sich etwas finde. Leider war es nicht zu machen, aber diese Zeilen werden beweisen, daß ich wenigstens ihrer beim Einpacken gedachte.

Keine