VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
609
27. September 1868

Lieber Freund,

Dein Brief war mir sehr wohltuend und beruhigend; er ist auch im Club und sonst gelesen worden, z. B. von den Frauen und Mannen des Hinterhauses, Hirzels, überall mit wärmster Theilnahme. Ich hätte Dir auch längst wieder geschrieben und länger als heute, wenn nicht ein Arbeitssturm und ande­res Abziehende dazwischen gekommen wäre; z. B. hab ich bis gestern drei Wochen lang den Universitätsfreund (Her­mann Schmidt) zur Cur im Hause gehabt, dessen Rückfall in eine Gemüthskrankheit mir bald nach Deiner Ankunft hier gemeldet wurde; Du erinnerst Dich wol noch der Bestürzung, in der Du mich einmal bei einer Frage fandest, als Du hinter mich an meinen Schreibtisch tratest. Morgen aber, mit Dei­nem Zuge, 4 Uhr 40 M., reise ich nach Würzburg, zur Philo­logenversammlung, Flügel geht auch mit; ich hab mir die Reise durch stürmisches Vorarbeiten verdienen müssen (ich meine die Zeit hauptsächlich) und bin nun marode, wie mirs immer geht, wenn ich einmal fort will. Doch zu Dir zurück. Beruhigend ist vor allem was Du von dem Sonderling oder der Sonderlingin, der Mariann schreibst; die wird sich ja wol leicht einleben in Deinen äußern und innern Lebenskreis. Grüß mir sie herzlich, ich wollte ich hätte sie dort kennen lernen. Einen schweren Stand wird sie frei­lich haben mit Kindern und Wirthschaft, aber die Abende mit Lust und Lehre werden sie ja aufrecht erhalten.

Reich und Arm ist nun fertig, wenigstens was mich angeht. Ich hab heute das Letzte corrigirt - mit eigener Wemuth hab ich da jetzt die von Deiner Katharina geschriebenen Worte in der Handschrift angesehen, sie sahen mich so rein, frisch und innig an. - Die Dorothee, der Hans, besonders die beiden sind mir schon so lebendig geworden in mir, daß ich oft an sie denke wie an vorhandene Menschen; weniger hat der Jos in mir Gestalt und Dasein gewonnen, er tritt in der zweiten Hälfte doch etwas zu sehr zurück. Das Ganze ist aber vortrefflich, es freut sich hier schon mancher darauf.

Die Äußerungen Frickes über die Sonderlinge schicke ich Dir mit. Du mußt mir aber das Blatt wieder zukommen lassen, ich werde Dir von Fricke oder Hirzel ein anderes besorgen. ­Die Aufsätze des Diaconus Hirzel über Dich in der Neuen Zürcher Zeitung hat er Dir sicher zugeschickt, mich haben sie lebhaft gefreut. Der Mann hat Geist und Herz.

Und noch etwas von den Sonderlingen. Vielleicht werden sie nun übersetzt ins - Französische. Bestimmt versprochen ist mirs wenigstens. Vor ein paar Wochen war nämlich ein Pari­ser hier, an mich empfohlen durch seinen Schwager in Paris, einen Gelehrten mit dem ich befreundet bin, er selbst Lehrer des Deutschen (z. B. beim kaiserlichen Prinzen), begeistert für deutsche Literatur, selbst eigentlich ein Deutscher, d. h. ein Elsässer, mit Namen Prof. Levy - erschrick nicht vor dem Judennamen, er war sonst nicht wie ein Jude. Wir waren für ein paar Tage zusammen, nach Clubart, und da hab ich ihn denn für Dich gewonnen, sodaß er von selbst jene Überset­zung versprach und überhaupt ein Wirken für Dich in der Pariser Presse. Ob er zugleich ein Worthalter ist? Das müssen wir abwarten. Ich las ihm auch ein Cap. aus Reich und Arm vor, Zacharias war dabei. Von der holländischen Übersetzung hat man doch noch nichts gesehen!

Doch ich muß weiter für heute, und morgen fort an den Main. Wünsche mir Glück, wie ich Dir,

in alter Liebe Dein R. Hildebrand.

Den Gedanken, Deine Lebenserinnerungen zu schreiben, halt doch ja fest, mach doch gleich eine kleine Skizze, die Du dann nach Belieben hier und da ausführen kannst?

Keine